Steve Murdoch: Network North. Scottish Kin, Commercial and Covert Associations in Northern Europe, 1603-1746 (= The Northern World. North Europe and the Baltic c. 400-1700 AD. Peoples, Economies and Cultures), Leiden / Boston: Brill 2006, xii + 425 S., ISBN 978-90-04-14664-8, EUR 147,00
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Steve Murdoch hat sich zusammen mit der Historikerin Alexia Grosjean, seiner Gattin, seit einer Reihe von Jahren bemüht, die Netzwerke zu rekonstruieren, die schottische Soldaten und Zivilisten im 17. Jahrhundert im skandinavischen und baltischen Raum aufbauten. Der Hauptakzent lag dabei vor allem auf jener Gruppe von Schotten, die als Soldaten in fremde, in diesem Fall vor allem in dänische oder schwedische Dienste gingen, und die Zahl dieser Auswanderer war im 17. Jahrhundert erheblich. In der vorliegenden Studie ist die Fragestellung aber umfassender; Murdoch blickt nicht nur auf Söldner und Kriegsunternehmer, sondern auch auf Kaufleute, Geistliche, und politische Exulanten wie die Jakobiten des 18. Jahrhunderts.
Er beginnt seine Arbeit mit der Beobachtung, dass der Erfolg eines politischen oder wirtschaftlichen Unternehmens - aber auch von kirchlichen Projekten - oft davon abhing, ob das dafür notwendige soziale Kapital in Form von Verwandtschafts- und Freundschaftsverbindungen mobilisiert werden konnte. John Durie etwa, dem presbyterianischen Pastor der schottischen Gemeinde in Elbing, gelang es auch deshalb, Gustav Adolf von Schweden für sein Projekt eines Ausgleichs zwischen den protestantischen Konfessionen einzunehmen, weil es in der Umgebung des Königs zahlreiche schottische Offiziere gab, die mit Durie verwandt oder bekannt waren. Durie nutzte diese Verbindungen, um gegen die etablierten konfessionellen Netzwerke ein Gegen-Netzwerk von Irenikern aufzubauen, das Skandinavien und das Baltikum ebenso umfasste wie Mitteleuropa und die Britischen Inseln.
Da es in dieser Epoche eine so große schottische Diaspora gab, waren Schotten in besonderem Maße darauf angewiesen, sich auf Verwandtschafts- und Freundschaftsverbindungen zu verlassen, um den Kontakt mit der Heimat nicht zu verlieren und um die relative Isolation in der Fremde zu kompensieren. Die schottische Familienstruktur, die auch weitläufigeren oder bloß angenommenen Verwandtschaftsverbindungen noch eine große Bedeutung zumaß, kam dieser Form des 'networking' allerdings auch sehr entgegen. Derselbe Familienname reichte häufig aus, um die Vermutung einer, wenn auch oft entfernten Blutsverwandtschaft zu begründen. Relativ großes Gewicht kam aber auch den Beziehungen zu den 'foster parents' und ihrem jeweiligen Clan zu. In Schottland war es nicht unüblich, Kinder an Pflegeeltern zu geben ('fostering'), die dann zu einem Teil des eigenen Verwandtschaftsnetzwerkes wurden. So wurde der spätere schwedische Feldmarschall Alexander Leslie von Sir Duncan Campbell of Glenorchy aufgezogen. Die Verbindung zum Clan Campbell und zu dessen Oberhaupt, dem Earl of Argyle, erwiesen sich als stark genug, um Leslie 1638/39 in das Lager der aufständischen Covenanters und nicht in das des Königs zu führen.
Man könnte freilich auch konfessionelle Loyalitäten für Leslies Entscheidung verantwortlich machen, doch wird dieser Faktor von Murdoch eher gering bewertet. Er verweist unter anderem darauf, dass nicht wenige schottische Katholiken als Offiziere im Dreißigjährigen Krieg für Schweden fochten, und dass sich Verwandtschafts- und Freundschaftsverbindungen oft als stärker erwiesen als die Konfession. Den Einfluss von 'kinship' glaubt er auch noch in der Form der Kriegführung zu erkennen, denn schottische Offiziere im Dreißigjährigen Krieg weigerten sich in der Regel, im Kampf zu kapitulieren, wenn das mit dem Risiko verbunden war, dass nur sie selbst Quartier erhielten, während ihre Männer umgebracht wurden. Ein solcher Verrat an eigenen Verwandten - und schottische Militärunternehmer rekrutieren ihre Einheiten oft unter näheren und ferneren Verwandten - hätte sie in Schottland selbst zu sozialen Außenseitern mit Pariahstatus werden lassen.
Die Stärke von Verwandtschafts- und Freundschaftsverbindungen konnte auch von jenen genutzt werden, die gewissermaßen im politischen Untergrund arbeiteten. Das galt etwa für James Spens, einen zeitweilig in Danzig ansässigen Schotten, der in Polen in den 1620er Jahren ein Netzwerk schwedischer Spione aufbaute, oder für die schottischen Jakobiten, die nach 1688 nach Schweden oder Russland auswanderten und von dort aus ein ausgedehntes eigenes Netzwerk aufbauten, das einen Aufstand in Schottland vorbereiten sollte und für diesen Zweck auch 1715 und 1719 bis zu einem gewissen Grade aktiviert werden konnte. Später wurde daraus eher eine Art jakobitischer Veteranenvereinigung, die ihr Zentrum u.a. im so genannten "Order del Toboso" zum Teil aber auch in den Freimaurerlogen Nordeuropas fand.
Murdoch hat eine Fülle von Material zusammengetragen, das deutlich macht, wie wichtig die von ihm untersuchten Netzwerke für die Geschichte Schottlands und Skandinaviens im 17. und frühen 18. Jahrhundert waren. Gelegentlich vermisst man ein wenig eine analytische Vertiefung der Interpretation, aber die Studie hat dennoch ihre Meriten.
Ronald G. Asch