Stefan Burkhardt: Mit Stab und Schwert. Bilder, Träger und Funktionen erzbischöflicher Herrschaft zur Zeit Kaiser Friedrich Barbarossas. Die Erzbistümer Köln und Mainz im Vergleich (= Mittelalter-Forschungen; Bd. 22), Ostfildern: Thorbecke 2008, 784 S., ISBN 978-3-7995-4273-9, EUR 84,00
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Neue methodische Ansätze verfolgt Stefan Burkhardt mit seiner Studie zu den Erzbischöfen von Köln und Mainz in der Regierungszeit Kaiser Friedrichs I., indem er erstmals den Versuch unternimmt, die bereits - mehr oder weniger gut - erforschten Pontifikate in einer nicht zuletzt durch den Investiturstreit eingeleiteten Umbruchphase bischöflichen Amtsverständnisses einer umfassenden vergleichenden Betrachtung zu unterziehen.
Sechs der sieben relevanten Erzbischöfe werden - ungeachtet der Amtszeiten und des jeweiligen Bischofssitzes - gemäß der Fragestellung eines jeden Kapitels in der Reihenfolge ihrer mutmaßlichen Geburt, und damit fokussiert auf ihre "Sozialisation", eingehend untersucht. Es sind dies: Arnold von Selenhofen, Friedrich von Berg, Rainald von Dassel, Bruno von Berg, Konrad von Wittelsbach, Christian von Buch und Philipp von Heinsberg. Arnold von Wied wird nicht eigens behandelt; stattdessen erfährt der erst nach Barbarossas Tod auf die Kölner cathedra erhobene Bruno III. von Berg in Zusammenhang mit seinem bereits in den 50er Jahren des 12. Jahrhunderts als Kölner Erzbischof amtierenden Bruder Friedrich besondere Aufmerksamkeit. Da Burkhardt den Zeitumständen, die die späteren Erzbischöfe zwischen ihrem 10. und 20. Lebensjahr beeinflussten, besondere Bedeutung beimisst, liegt ein Schwerpunkt des ersten Teils seiner Arbeit auf der Darstellung der jeweils prägenden Faktoren bis zur Wahl zum Erzbischof. In diesem Kontext gelingt dem Autor unter anderem der Nachweis, dass sämtliche behandelte Erzbischöfe über herausragende Bildung verfügten und bereits frühzeitig kirchliche und politische Aufgaben übernahmen, die ihre Befähigung für höhere Ämter offenbarten. In der Regel bestanden auch schon vor der Wahl zum Metropoliten intensive Beziehungen zu den jeweiligen Erzbischofssitzen.
Man wird gewiss geteilter Meinung sein können: Aus Sicht des Rezensenten erscheint jedoch die auf die behandelten Erzbischöfe angewandte These Bourdieus [1], wonach jeder Mensch über individuell einsetzbare und untereinander austauschbare ökonomische, kulturelle, soziale und ergänzend dazu auch symbolische Kapitalformen verfüge - zumindest in der von Burkhardt dargelegten Art und Weise - wenig Erkenntnis fördernd. Das gilt auch für das vom Autor als Unterkategorie des "symbolischen Kapitals" eingeführte "sakrale Kapital" zur Beschreibung der Heilswirksamkeit von Personen oder Gegenständen (14f.). Vielfach handelt es sich lediglich um eine terminologische Überformung und teilweise Akkumulation von Begriffen wie Macht, Herrschaft, Bildung, Beziehungen, Ansehen, Rang, Besitz, etc. durch die oben genannten Kapitalformen.
Im zweiten der drei umfangreiche Kapitel umfassenden Studie beschäftigt sich Burkhardt mit "Bildern" von Erzbischöfen und deren Herrschaftsausübung. Anhand des kommunikativen Aspekts erzbischöflicher Hofhaltung stellt er die Entwicklung und Wirkung von "Bildern" des Erzbischofs und deren Rückwirkung auf das jeweilige Umfeld dar. Im Rahmen einer quantitativen Zusammenstellung von mindestens fünf (Köln) bzw. vier (Mainz) Nennungen als Zeugen in erzbischöflichen Urkunden werden die numerisch "wichtigsten" Zeugen erfasst (88). Um diese Testierenden hinsichtlich ihrer Bedeutung weiter aufzuschlüsseln, setzt Burkhardt die Herkunftsorte der Zeugen in Beziehung zu den Sitzen der Urkunden empfangenden Institutionen. Derart soll die "Überregionalität" der Zeugen ermittelt werden, die wiederum Aufschluss über deren Bedeutung als Berater für den Erzbischof liefern soll. Auf Grundlage der ermittelten und in Anhang I aufgelisteten Daten stellt der Autor in Anhang II die Netzstruktur der erzbischöflichen Höfe grafisch dar. Darauf folgen 93 (!) so genannte Empfängeritinerare, die kartografisch die Beziehungen der wichtigsten Zeugen zu Empfängerinstitutionen wiedergeben. Anhand dieser Darstellung kann Burkhardt Verknüpfungen mit der Ereignisgeschichte insofern verdeutlichen, als bereits die Zonen größter Verdichtung im Kölner Erzbistum in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts den Territorialstaat des 14. Jahrhunderts widerspiegeln; Ähnliches gilt mit Abstrichen auch für Mainz (89). Gleichwohl halten die zugrunde gelegten Kriterien der Kartierung einer kritischen Prüfung nur bedingt stand. So erscheinen sowohl die bloße Nennung als Zeuge in erzbischöflichen Urkunden als auch die "Überregionalität" von Testatoren nur von geringer Aussagekraft im Hinblick auf deren Bedeutung als erzbischöfliche Berater. Eine detaillierte Auswertung sämtlicher (über die Urkunden hinausgehender) relevanter Quellen dürfte zum Teil abweichende Ergebnisse zu Tage fördern, obgleich auch das dann entstehende "Bild" selbstverständlich den Unwägbarkeiten der Überlieferung geschuldet wäre. Allerdings ist sich auch Burkhardt prinzipiell der Problematik hinsichtlich der unterschiedlichen Ursachen für das Auftreten verschiedener Personen als Urkundenzeugen bewusst, so dass er selbst seiner überaus aufwändigen Auswertung lediglich den Charakter "erster Hinweise" zugesteht (109).
Im Anschluss an die Untersuchung der Träger erzbischöflicher Herrschaft widmet sich die Studie detailliert den Zuschreibungen von Rollen und der konkreten Ausgestaltung bischöflicher Leitmotive durch die behandelten Metropoliten anhand des gedruckten Urkundenmaterials. Diese Zuschreibungen werden in verschiedene Kategorien aufgeteilt: bischöfliche Tugenden, Rollenbilder, Bilder zur Umschreibung bischöflicher Amtsherrschaft, Legitimation der geistlichen Herrschaft, Weltklagen unter den einzelnen Erzbischöfen und Herrschaftsausübung. Mit großer Akribie sammelt der Autor sämtliche sich in den erzbischöflichen Urkunden zu jeder Kategorie bietenden Hinweise und wertet diese im Hinblick auf die jeweilige Person aus. Der Vergleich der Erzbischöfe untereinander und auch zwischen den beiden Erzdiözesen fällt trotz des teils ergiebigen Quellenmaterials zuweilen etwas dürftig aus, zumal Burkhardt in den etwa vierzig Jahre umfassenden Urkunden einen Kölner Erzbischofstypus erkennen will, "[der sich] um Konsens und Integration der Machtträger sowie die Wohlfahrt von Kirche und terra sorgt" und dem ein Mainzer Erzbischof gegenüberstehe, "der sich nicht recht auf eine 'Schiene' festlegen lässt" (246f.). Sicherlich stark von den Besonderheiten der Überlieferung abhängig ist auch das Fazit der sich daran anschließenden Auswertung historiographischer Quellen. Die einen Schwerpunkt auf die Vita des unglücklich agierenden Mainzer Erzbischofs Arnold von Selenhofen legende Analyse kommt - ungeachtet einiger neuer Erkenntnisse zu dessen Amtsausübung - ebenfalls zu dem Ergebnis, dass aus den Kölner Quellen insgesamt eine positive Einstellung herauszulesen sei, während die Mainzer Quellen eher den "vergangenen Ruhm" beklagten (290).
Das dritte Kapitel der Studie ("Bilder und Funktionen erzbischöflicher Herrschaft") beschäftigt sich mit der Herrschaftswahrnehmung seitens der Kirchenfürsten - auch im Unterschied zu weltlichen Herrschaftsträgern - vor dem Hintergrund der an sie gestellten vielfältigen Erwartungen. Ebenso wie im zweiten Teil des Buches entwickelt Burkhardt zentrale Fragestellungen, auf die die Quellen jeweils nacheinander personenbezogen untersucht werden. Dazu zählen Fragen der Raumerfassung und des Knüpfens sozialer Netze, der Förderung von Bildung und Recht, der Güterverfassung, der Beziehungen zum Reich, der kirchlichen Amtswahrnehmung und des Verhaltens im Konfliktfall. Burkhardt weist nach, dass im Erzbistum Köln aufgrund von verschiedenen ordnungspolitischen Faktoren und ungleich weniger divergierenden Kräften als in Mainz zumeist stabilere Herrschaftsverhältnisse zu verzeichnen sind. Ein kurzer Ausblick auf das Erzbistum Köln im 13. Jahrhundert verdeutlicht, dass sich auch dort die Situation für die Erzbischöfe allmählich verschlechterte.
Insgesamt bietet die innovative Studie eine sehr gewissenhafte Auswertung sämtlicher gedruckter Urkunden und weiterer historiographischer sowie bildlicher Quellen der acht behandelten Erzbischöfe im Hinblick auf "Bischofsbilder" und Herrschaftswahrnehmung. Sie wird künftig für die weitere Beschäftigung mit diesen und auch anderen geistlichen Würdenträgern Gewinn bringend heranzuziehen sein.
Anmerkung:
[1] Pierre Bourdieu: Ökonomisches Kapital - kulturelles Kapital - soziales Kapital, in: Reinhard Kreckel (Hg.): Soziale Ungleichheiten (Soziale Welt, Sonderband 2), Göttingen 1983, 183-198 (abgedruckt in: Pierre Bourdieu: Die verborgenen Mechanismen der Macht (Schriften zu Politik und Kultur 1), Hamburg 1992, 49-79).
Jörg Müller