Rezension über:

Thomas Weber: Our Friend "The Enemy". Elite Education in Britain and Germany before World War I, Stanford, CA: Stanford University Press 2008, xiii + 338 S., ISBN 978-0-8047-0014-6, GBP 42,30
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Rezension von:
Andreas Rose
München / Bern
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Rose: Rezension von: Thomas Weber: Our Friend "The Enemy". Elite Education in Britain and Germany before World War I, Stanford, CA: Stanford University Press 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 5 [15.05.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/05/14732.html


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Thomas Weber: Our Friend "The Enemy"

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Kaum einer in Oxford oder Heidelberg hätte 1914 einen deutsch-englischen Krieg erwartet. Nur zwei Wochen zuvor hatte die "Oxonians" lediglich beschäftigt, wie sie ihren Kommilitonen aus Heidelberg einen möglichst harten Ruderwettkampf liefern könnten. Für die Angehörigen beider Universitäten duellierten sich mit Deutschland und England nicht vollkommen unterschiedliche Nationen, sondern Länder, die die "größten Ähnlichkeiten" zueinander aufwiesen (225). Mit seinem Vergleich Oxfords und Heidelbergs im Vorfeld des Ersten Weltkrieges hat Thomas Weber eine beachtenswerte Arbeit vorgelegt.

Dabei geht es dem Autor nicht darum, einmal mehr zu erklären, wie und warum es 1914 zur Katastrophe kam oder wer dabei die Hauptverantwortung trug. Anders als der Titel suggeriert, gehört auch die Struktur der Eliteausbildung nicht zu seinen zentralen Anliegen. Hauptmotiv ist vielmehr die noch immer prominent vertretene Ansicht eines "deutschen Sonderweges". Jenes Theorem, welches die deutsche Geschichte nach Ursachen für die Katastrophen des 20. Jahrhunderts durchforstet und welches gemeinhin einer Kontinuitätslinie zwischen dem Kaiserreich und dem 'Dritten Reich' das Wort redet. Zweifellos, dies räumt auch Weber ein, ist die Sonderwegsvermutung inzwischen längst in die Jahre gekommen und hat bereits vielfach Differenzierungen erfahren. Gleichwohl gehöre sie noch immer zu den Haupterklärungsmustern, die zuletzt durch den "cultural turn" ebenfalls eine Wendung und Wiederbelebung erfahren habe. Statt der modernisierungstheoretischen Fragestellungen stellten sich ihre Anhänger nun vermehrt Identitätsfragen (6). Vornehmlich auf deutscher Seite würden demzufolge extreme Freund-Feind-Perzeptionen, rigidere Geschlechtergrenzen und eine geradezu kultische Krieger- und Kriegsverehrung festgestellt, die es in dieser Form in den westlichen Ländern, insbesondere Britannien, nicht gegeben haben soll. Für Weber ist dieses Erklärungsmuster zu holzschnittartig, zu sehr von einer verklärten whiggistischen Interpretation der englischen Geschichte einerseits und vornehmlich vom Paradigma des unvermeidlichen deutsch-englischen Gegensatzes andererseits bestimmt, sowie weitgehend der ex-post-Betrachtung auf die späteren Entwicklungen des Nationalsozialismus geschuldet.

Tatsächlich gelingt es Weber, sich bei seiner flüssig geschriebenen Analyse vom Wissen um die nachfolgenden Entwicklungen loszusagen. Am Beispiel der beiden Universitäten legt er überzeugend dar, wie fruchtbar ein unvorbelasteter Vergleich sein kann, um der zeitgenössischen Komplexität gerecht zu werden. Der universitäre Ansatz zur Überprüfung nationaler und gesellschaftspolitischer Eigenarten ist dabei sicher eine sehr geeignete, wenngleich auch nicht vollkommen neue Perspektive. Schließlich liegt bereits zu Cambridge und Tübingen ein ähnlicher Vergleich vor. [1] Indes bietet Webers Studie, gerade was den nationalen Rahmen anbetrifft, eine wesentlich weiter gefasste sowie inhaltlich wie methodisch plausiblere Perspektive an. Dies hat in erster Linie damit zu tun, dass er mit Oxford und Heidelberg tatsächlich "nationale Kaderschmieden" vergleicht (15-47). Das kaiserliche Tübingen blieb, anders als Heidelberg oder auch Berlin, welches ebenfalls für einen Vergleich spannend gewesen wäre, eher eine provinzielle Einrichtung, in der eben nicht Eliten aus dem ganzen Reich, geschweige denn aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft des Kaiserreiches ausgebildet wurden. Darüber hinaus fällt auf, dass Webers Radius zum untersuchten Personenkreis um ein Vielfaches weiter gefasst ist als die Arbeit Soja Levsens, da er auf deutscher Seite eben nicht nur Korporationsstudenten, sondern auf beiden Seiten die gesamte Studierendenschaft untersucht. Dank der wohldurchdachten Wahl Oxfords und Heidelbergs als Vergleichsmaßstab mit jeweils nationaler Bedeutung gelingt es, die bisherigen Erklärungsmuster der Sonderwegsthese konzentriert in Form einer beispielhaft durchexerzierten Vergleichs- und Transferanalyse gegen den Strich zu bürsten und auf die Vorkriegsgesellschaften insgesamt zu übertragen.

Nach der Einführung zum nationalen Kontext der beiden Universitäten und des studentischen Alltags (15-47) widmet sich die Untersuchung den Erfahrungen deutscher Rhodes-Scholars in Oxford und englischer Gaststudenten in Heidelberg (48-98), analysiert die Bedeutung der in Heidelberg üblichen Mensuren der Korpsstudenten mit den Ruderregatten in Oxford (99-135) und fragt nach der jeweiligen Akzeptanz von Frauen (136-182), Ausländern und Juden (183-222). Immer wieder werden die durchweg überzeugenden Ergebnisse der bisherigen Forschung gegenübergestellt. Dabei wird insgesamt deutlich, wie wenig sich die beiden Vorkriegsgesellschaften tatsächlich voneinander unterschieden. Ausgerechnet in den vermeintlich abweichenden und kritischen Themenfeldern, wie etwa dem Nationalismus und Militarismus, dem antiliberalen und sozialdarwinistischen Denken, dem Antisemitismus oder der Ausländerfeindlichkeit stechen die Ähnlichkeiten heraus. Sowohl liberale wie antiliberale Tendenzen finden sich auf beiden Seiten des Kanals. Hier wie dort gab es ein beträchtliches Ausmaß an Militarismus und Nationalismus. Während in Heidelberg Mensuren gefochten wurden, meldeten sich Oxfords Studenten für paramilitärische Officer Training Corps und auch der militärisch-sozialdarwinistische Geist der College Ruderer unterschied sich nicht im Mindesten von demjenigen schlagender Verbindungen. Ein besonderer Hang zu Heldentum und Ehre lässt sich auf beiden Seiten feststellen und er wurde auch durch den regen Austausch über die Grenzen hinweg gepflegt. Besonders hervorzuheben gilt die gedankenreiche Feststellung, dass es eine Art "transnationalen Nationalismus" gegeben habe, bei dem eine Form des anglodeutschen Gemeinschaftsempfinden gepflegt wurde und bei dem der allgegenwärtige Patriotismus keineswegs als Widerspruch zum Kosmopolitismus verstanden wurde.

Überraschendes gilt es auch für den vermeintlich vor allem an deutschen Universitäten gepflegten Antisemitismus und Rassenhass festzustellen, in dem nicht wenige Historiker eine Vorwegnahme des Holocaust erblicken. Tatsächlich, so stellt Weber heraus, waren die Unterschiede hier nur marginal. Sie betrafen höchstens die Form, nicht aber den dahinter steckenden Geist. Wichtiger aber noch erscheint die Erkenntnis, dass gerade diese Tendenzen nur eine Minderheit betrafen. Die große Mehrheit war auf beiden Seiten wesentlich kritischer und toleranter eingestellt. Nicht genug damit: In Heidelberg war es auch wesentlich einfacher als Jude zu reüssieren oder als Frau akzeptiert zu werden, als im vermeintlich so liberalen England. Von einem Sonderweg, ob englisch oder deutsch, sei zumindest in Oxford und Heidelberg nichts zu spüren gewesen und auch für das unvermeidliche Antagonismus-Paradigma lassen sich Weber zufolge keine Anhaltspunkte bei den Studenten finden.

Ob dies allerdings, dieser Einwand sei aus diplomatiegeschichtlicher Perspektive gestattet, zu der Folgerung berechtigt, dass das Vorkriegseuropa mehr stabile denn instabile Züge aufwies (231), bleibt doch eher fraglich, zumal das Staatensystem nicht nur von England und Deutschland abhing, sondern im besonderen Maße auch von den kränkelnden Vielvölkerstaaten an Donau und Newa. Zweifellos wurde in Oxford und Heidelberg die zukünftige Elite ausgebildet. Sie war die Generation, die in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges geopfert wurde. Die "Generation von 1914" aber war sie nicht. Die Entscheidungen zum Krieg trafen ihre Eltern.

Ungeachtet dieser Einwände ist Weber eine beispielhafte und lesenswerte Studie gelungen, die nicht nur den Wert vergleichender Arbeit beweist, sondern auch belegt, wie wichtig es ist, sich auch mit den "Größen der Zunft" und vermeintlichen Gewissheiten der Forschung kritisch auseinanderzusetzen.


Anmerkung:

[1] Sonja Levsen: Elite, Männlichkeit und Krieg. Tübinger und Cambridger Studenten, 1900-1929, Göttingen 2006.

Andreas Rose