Rezension über:

Ulrich Mücke: Gegen Aufklärung und Revolution. Die Entstehung konservativen Denkens in der iberischen Welt (1770-1840) (= Lateinamerikanische Forschungen. Beihefte zum Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas; Bd. 34), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, 542 S., ISBN 978-3-412-20019-0, EUR 64,90
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Rezension von:
Marcus Klein
Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Marcus Klein: Rezension von: Ulrich Mücke: Gegen Aufklärung und Revolution. Die Entstehung konservativen Denkens in der iberischen Welt (1770-1840), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 6 [15.06.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/06/13510.html


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Ulrich Mücke: Gegen Aufklärung und Revolution

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Ohne sich großartig in Nebensächlichkeiten zu verlieren oder, wenn man es von einem anderen Standpunkt aus betrachten möchte, die potenziellen Leser seiner umfangreichen Arbeit langsam und behutsam an ein komplexes, bislang weitgehend von der Forschung unbeachtetes Thema heranzuführen, legt Ulrich Mücke bereits im ersten Absatz deren Zielsetzung klar dar. In einem historischen Kontext soll, so Mücke bestimmt (11), "gegenaufklärerisches, konterrevolutionäres und konservatives Denken in Spanien, Portugal und Lateinamerika" dargestellt werden (wobei sich in weiterer Folge die Untersuchung im Falle des Subkontinents - aus nachvollziehbaren Gründen - auf Mexiko als dem wichtigsten amerikanischen Besitz der spanischen Monarchie und Brasilien als der einzigen portugiesischen Kolonie in der Neuen Welt beschränkt). Zeigen möchte Mücke dabei, so macht er auch im ersten Absatz deutlich, dass die iberische und lateinamerikanische Welt keineswegs ein geschlossener konservativer Kulturraum war, wie es gerne noch von älteren Studien in den 1960er und 1970er Jahren stereotyp behauptet wurde. Zudem sollen die Selbstständigkeit und Vielfalt, aber auch die Verflochtenheit und die Ähnlichkeiten konservativen Denkens im transatlantischen Raum über rund sieben Jahrzehnte untersucht und entsprechend dargestellt werden.

So schnell Mücke zum Gegenstand seiner Arbeit kommt, so viel Zeit nimmt er sich in der fast 50-seitigen Einleitung, um die Relevanz des Themas zu begründen, den gewählten Untersuchungszeitraum zu erläutern oder auch den methodischen Ansatz darzulegen und die verwendeten Quellen zu charakterisieren. Ein wenig überraschend, aber keinesfalls nachteilig ist, dass Mücke in der Einleitung ganz bewusst davon absieht, strikte Definitionen der Schlüsselbegriffe zu liefern. Weder für Aufklärung noch für Revolution noch für Konservatismus (und folglich auch nicht für davon abgeleitete Adjektive) werden exakte Begriffsbestimmungen entwickelt. Im Hinblick auf Aufklärung und Revolution schreibt er beispielsweise, dass sich deren über die Jahrzehnte wandelnde Bedeutung "aus [...] der Darstellung jener ergeben [soll], die sich als Gegner von Aufklärung und Revolution verstanden" (31). Gleiches gilt im Wesentlichen für Konservatismus, den Mücke, in Anlehnung an Karl Mannheim, als ein unverkennbar modernes Phänomen sieht und als eine Stellungnahme von Personen verstanden wissen will, "die sich durch Veränderungen in ihren Besitzständen oder Lebensverhältnissen bedroht fühlen und sich gegen Veränderungen u. a. mit Berufung auf Geschichte, Recht und Kultur wehren" (40). Auch hier sind die Bedeutungsveränderungen und -verschiebungen zu berücksichtigen.

Unterteilt ist die Arbeit in vier große Abschnitte, wobei die Französische Revolution (1789), die napoleonische Invasion der Iberischen Halbinsel und die sich daraus ergebenden einschneidenden Veränderungen in Spanien und Portugal selbst als auch den lateinamerikanischen Kolonien (1808/1810) und schließlich die liberalen Revolutionen in Spanien und Portugal (1820) jeweils die Eckpunkte bilden. Tendenziell optiert Mücke hierbei für einen geografischen Ansatz. Innerhalb dieser Abschnitte diskutiert er jeweils in eigenen Unterkapiteln die einzelnen Positionen und Entwicklungen konservativen Denkens in den ausgewählten Ländern bzw., streng genommen bis zur formalen Unabhängigkeit Mexikos 1821 und Brasiliens ein Jahr später, den überseeischen Kolonialgebieten Spaniens und Portugals. Von diesem Prinzip weicht er jedoch im dritten Abschnitt, der sich mit der Zeit zwischen der Französischen Revolution und der französischen Invasion der Halbinsel beschäftigt, ab. In diesem geht Mücke eher thematisch vor, lässt die Diskussion insbesondere um die Französische Revolution und ihre praktischen sowie intellektuellen Auswirkungen auf konservative Denker, darunter viele Geistliche, kreisen.

Der Schwerpunkt liegt hierbei auf Spanien und Mexiko. Überhaupt lässt sich feststellen, dass Portugal bestenfalls eine kleine Nebenrolle und Brasilien erst größere Bedeutung zukommt und mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird mit der Ankunft der vor den napoleonischen Truppen flüchtenden königlichen Familie unter Prinzregent João - von Mücke durchgehend verdeutscht Johann bezeichnet (wie er dies auch mit allen anderen Mitgliedern der iberischen Königsfamilien macht) - in Rio de Janeiro 1808; erst dann wurde das Druckverbot für die portugiesische Kolonie aufgehoben und es entstand zumindest eine "zensierte Öffentlichkeit" (291), die in weiterer Folge jene Materialien hervorgebracht hat, die Mücke für seine Arbeit heranziehen konnte. Wünschenswert wäre es in diesem Zusammenhang gewesen, hätte Mücke die in den verschiedensten Ländern zusammengetragenen Quellen, die einen durchaus zu beeindrucken wissenden Umfang ergeben, effizienter eingesetzt. Einer ideengeschichtlichen Arbeit hätten mehr und vor allem besser in den Text integrierte Zitate, die das Gesagte nicht notwendigerweise wiederholt, sondern vielmehr exemplarisch belegt hätten, auf jeden Fall gut getan. Gleichzeitig hätten die längeren Zitate, die sich im spanischen und portugiesischen Original im Haupttext finden, in die Fußnoten verschoben werden können, wo sich nun die deutschen Übersetzungen finden. Die Lesbarkeit des Texts hätte dadurch sicherlich erhöht werden können.

Vorteilhaft für die Arbeit wäre es auch, fänden sich am Ende der einzelnen Abschnitte Resümees, welche die zwischendurch immer wieder angestellten vergleichenden Aussagen, so beispielsweise bezüglich der weitgehenden Übereinstimmung der gegenaufklärerischen Publikationen in Spanien und Mexiko nach 1808 (251), zusammengefasst hätten. Da diese Fazits leider fehlen, werden erst in der knapp zehnseitigen Zusammenfassung die über rund vierhundert Seiten erarbeiteten Hauptmerkmale verglichen und einander gegenübergestellt. Mücke stellt dann berechtigterweise, aufgrund der einleitenden Bemerkungen aber wenig überraschend fest, dass es weder "[d]ie Gegenaufklärung, den Konservatismus oder die Konterrevolution" (451, kursiv im Original) gab noch "[d]ie Vorstellung einer jahrhundertealten iberisch-iberoamerikanischen traditionalistischen Mentalität" (453) sich aufrecht erhalten lässt. Ebenso wenig lassen sich, so Mücke, spürbare "gegenseitige Einflüsse zwischen der portugiesischen und der spanischen Welt" (453) feststellen, wenn es auch unzweifelhaft eine "Ähnlichkeit der Argumentation" (456) gab. Etwas überraschender kommt angesichts der vorangegangenen Ausführungen hingegen die Schlussfolgerung, französische und italienische Denker seien weit einflussreicher gewesen als britische und US-amerikanische. Edmund Burkes Reflections on the Revolution in France (1790) findet sich mehr als einmal in der Arbeit, während Verweise auf italienische Autoren und Publikationen spärlich sind.

So wichtig, innovativ und sicherlich auch bahnbrechend Mückes Studie ist, speziell im Hinblick auf ihre transatlantische Perspektive und ihren vergleichenden Ansatz, drängt sich doch abschließend der Eindruck auf, dass der von ihm gewählte Aufbau seiner Arbeit im Grunde abträglich ist. Anstatt den untersuchten Zeitraum in vier große Perioden zu unterteilen und innerhalb dieser teils geografisch, teils thematisch vorzugehen, hätte er entweder konsequent die vier Länder durchgehend diskutieren sollen (um sie abschließend zu vergleichen); oder er hätte die Diskussion um die von ihm identifizierten zwei Hauptgebiete konservativen Denkens - Religion und Kirche einerseits, Krone und Nationalstaat andererseits - kreisen lassen sollen. Wie auch immer er sich entschieden hätte, wären so die Ähnlichkeiten und Divergenzen, Einflüsse und Parallelitäten, konservativen Denkens im transatlantischen Raum des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts noch besser zur Geltung gekommen.

Marcus Klein