Philipp Zitzlsperger: Dürers Pelz und das Recht im Bild. Kleiderkunde als Methode der Kunstgeschichte, Berlin: Akademie Verlag 2008, 176 S., ISBN 978-3-05-004522-1, EUR 29,80
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Vielleicht sollte man manche Bücher von hinten lesen. Würde man den kleinen Band von Philipp Zitzlsperger über "Dürers Pelz" mit dem letzten Kapitel "Epilog: Kleiderkunde als Methode der Kunstgeschichte" beginnen, so wäre man über die Absichten des Verfassers besser informiert und seine - dann nachfolgenden - Ausführungen zum Dürer-Porträt von 1500 (München, Alte Pinakothek) wären als Anwendung dieses Ansatzes zu verstehen. Ohne Frage ist der im "Epilog" vorgetragene Gedankengang, dass die Zeichenhaftigkeit des Kostüms zu oft noch vernachlässigt wird, eine Anregung zu einer aktualisierten Ikonologie des Porträts. In seinem inspirierenden und lehrreichen Schlusskapitel bietet der Autor einen knappen Überblick über den Zusammenhang von Kostümvorschriften und - Gebräuchen im Hinblick auf Standeskleidung, Moden und Nationalstile, wie er auch in seinem Aufsatz von 2006 Überlegungen zur "Kostümkunde als Methode der Kunstgeschichte" vorgetragen hat. [1] Städtische Quellentexte und Reichsverordnungen zum ständischen Gebrauch von Kleidung, bürgerliche Selbstzeugnisse in Form von Testamenten und Inventaren könnten mit Gewinn herangezogen werden, um Kleidung als Teil einer "materiellen Kultur" im Rahmen der Kunstgeschichte nutzbar zu machen (Zitzlsperger, 120).
Die vorgelegte Untersuchung konzentriert sich jedoch auf Dürers Selbstporträt von 1500. Der Autor möchte beweisen, dass mit Hilfe des "Kostümarguments" Rückenmarderpelz, den Dürer im Bild trägt, das inschriftlich auf 1500 datierte Selbstporträt nicht aus diesem Jahr stammen kann, da der Maler zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Recht zum Tragen dieses speziellen Pelzes als Rockfutter besaß. Folgt man dem Autor, so dürfte aufgrund der Tatsache, dass Dürer sich mit einer Standesinsignie porträtierte, dieses Bild erst nach 1509 entstanden sein, dem Jahr, als der Maler Genannter des Großen Rats wurde (71). Zitzlsperger will nun zunächst belegen, dass bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Nürnberg nur bestimmte Personen ihre Kleidung mit Rückenmarderfell veredeln durften ("Der Pelz als Insignie", 26 ff.). Die erst 1530 in Kraft getretene Reichspolizeiverordnung gliedert die Verwendung von Pelzen in eine ständische Hierarchie, innerhalb derer nur Ratsmitgliedern, Patriziern und von ihren Renten lebenden Bürgern das Recht auf eine Rückenmarderpelz-Schaube zugesprochen wurde. Zander-Seidel belegt jedoch 1993 in ihrer kenntnisreichen Untersuchung zur Nürnberger Kleidergesetzgebung [2], dass die freie Reichsstadt vor 1530 über reichsunabhängige Kleiderordnungen verfügte, die ihren eigenen Regeln folgten, zum Beispiel einheimische Felle nicht generell reglementierten.
Um seine Argumentation durch visuelles Material zu stützen, greift der Autor verschiedene Bildbeispiele aus dem süddeutschen Raum heraus, auf denen eindeutig (oder auch nur spekulativ) Ratsherren und Richter Rückenmarderpelz als Standeszeichen ihrer Kleidung tragen. An diesem Punkt geraten die Ausführungen in eine Schieflage. Zum ersten trägt Dürer selbst bereits 1506 auf der Tafel des "Rosenkranzfestes" (Prag, Nationalgalerie) eine üppige Marderpelzschaube, also in jedem Fall bevor er selbst Ratsmitglied wurde. Zum anderen sind nicht alle Bildbeispiele zwingend, die Identifikation der Pelzschaube tragenden Mitglieder der Holzschuher-Familie auf dem Epitaph im Germanischen Nationalmuseum weist Datierungs- und Identifizierungsfehler auf. [3] Auch der Nürnberger Goldschmied Albrecht Glim trägt auf der von ihm gestifteten Beweinung (München, Alte Pinakothek), die Dürer um 1500 schuf, eine Rückenmarder-Schaube. Um 1500 war Glim weder Ratsherr noch Jurist. Das Problem besteht darin, dass zu wenig Material überprüft wird, um statistisch relevante Aussagen aus Einzelbeobachtungen abzuleiten. Abgesehen von allen Vergleichsbeispielen ist es eindeutig, dass Dürers Rock von 1500 keine Ratsherrn-Schaube darstellt, sondern einen modisch an den Oberarmen geschlitzten Rock, eine Verzierung, die bei keiner Amtstracht der Zeit nachweisbar ist.
Es ist unglücklich, dass Zitzlsperger sein modellhaftes methodisches Vorgehen ausgerechnet an einem Bild ausprobiert hat, dessen Datierung kaum angezweifelt wird. Nur selten in der Forschung wurde das Datum 1500 in Frage gestellt, wohingegen unzählige Arbeiten die Inschrift akzeptieren, die zuletzt durch eine materialtechnische Untersuchung 1998 bestätigt wurde. [4] Das Porträt kann am besten um 1500 im Rahmen der Säkularfeier, die Konrad Celtis, Dürers humanistischer Berater, für den Jahrhundertwechsel geplant hatte, verortet werden. Es steht im Zusammenhang mit den 1500 verfassten Epigrammen, in denen Celtis den Maler als neuen Apelles preist. Die vielfältigen Bezugnahmen der Inschrift auf den antiken Maler Apelles und die Verwendung der im Werk Dürers sonst gänzlich ungebräuchlichen Humanistenkursive, die auf den Celtis-Amanuensis Rosenperger zurückgeht, belegen die Zugehörigkeit zum Celtis-Umkreis im Jahr 1500. [5]
Das Datum 1500, das "über" und nicht, wie der Autor meint (66), "unter" dem Dürer-Monogramm steht, kann nicht so leicht angezweifelt werden. Belege, dass es Künstlern verboten war, in Nürnberg einen mit Marderfell gefütterten Rock zu tragen, sind nicht zu erbringen. Dürer selbst porträtierte seinen Lehrer Wogemut mit einem Rückenmarderfell am Halsausschnitt des kleinen Bildes von 1516 (Nürnberg, GNM). Die eigenen Nürnberger Verordnungen belegen ein solches Verbot nicht, auch sind immer wieder Verstöße gegen Kleiderordnungen nachweisbar, sonst hätten die Städte wohl kaum Überwachungsämter, Kontrolleure und Regelungen im Hinblick auf Anzeigen besessen (Zander-Seidel, 184 f.). Eine weitere, an das Bild herangetragene Interpretation, in dem mit der Schaube bekleideten Dürer einen Richter, einen Kunstrichter gar (116), zu sehen, kann vollends zurückgewiesen werden. Auch wenn Dürer als Genannter des Rates bei Verträgen als Zeuge auftreten durfte, so ist er damit keineswegs Richter. Erweitert man die Anzahl der Bildbeispiele über die vom Autor herangezogenen Exempla, so wird deutlich, dass die Rückenmarderpelz-Schaube keine eindeutige Insignie ist, dass auch andere als die von Zitzlsperger genannten Berufe die gleiche Gewandung tragen. Hier ist nicht der Ort, die Beispiele des Autors zu widerlegen, es genügt darauf hinzuweisen, dass es zu wenige Objekte sind, um eine statistisch relevante Aussage zu liefern. Und offensichtlich gibt es immer Ausnahmen, so bei Dürer selbst ("Rosenkranzfest", 1506) und sogar im Trachtenbuch von Matthäus Schwarz, dem Augsburger Fugger-Buchhalter, der offenbar ungerührt von gültigen Vorschriften sich selbst mit Rückenmarder als Rockfutter darstellen lässt (Zitzlsperger, 45-47).
Diese vom Ansatz her so vielversprechende Idee, insbesondere auf Porträts die dargestellten Personen anhand ihrer Kleidung zu kontextualisieren und umgekehrt Bildmaterial zum Verständnis der Zeichensprache von Kostümen heranzuziehen, scheitert an der doch wohl sicheren Datierung des Münchner Bildes. Vielleicht wäre es besser gewesen, ein Bild zu nehmen, das nicht erst gewaltsam umdatiert werden muss, um das Kostüm-Argument des Autors mit Sinn zu erfüllen.
Anmerkungen:
[1] Philipp Zitzlsperger: Kostümkunde als Methode der Kunstgeschichte, in: Kritische Berichte 34 (2006), Heft 1, 36-51.
[2] Jutta Zander-Seidel: Kleidergesetzgebung und städtische Ordnung. Inhalte, Überwachung und Akzeptanz frühneuzeitlicher Kleiderordnungen, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, 1993, 176-188.
[3] Kurt Löcher / Carola Gries: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Die Gemälde des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1997, 192-197.
[4] Gisela Goldberg / Bruno Heimberg / Martin Schawe: Albrecht Dürer. Die Gemälde in der Alten Pinakothek, Heidelberg 1998, 314-353.
[5] Dieter Wuttke: Dürer und Celtis. Von der Bedeutung des Jahres 1500 für den deutschen Humanismus, in: Journal of Medieval and Renaissance Studies 10 (1980), 73-129.
Gabriele Kopp-Schmidt