Mathilde Arnoux: Les musées français et la peinture allemande 1871-1981. Préface de Thomas W. Gaehtgens (= Passagen / Passages. Deutsches Forum für Kunstgeschichte / Centre allemand d'histoire de l'art; Vol. 18), Paris: Éditions de la Maison des sciences de l'homme 2007, xiii + 436 S., ISBN 978-2-7351-1161-9, EUR 48,00
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Es mag paradox klingen: Obwohl sich Museen - zumal nördlich der Alpen - seit ihren Anfängen als sichtbares Produkt intensiver grenzüberschreitender Transfers entwickelten, beschäftigt sich die Museumsforschung bis heute kaum mit der transnationalen Dimension ihres Objektes. Vor 25 Jahren gab zwar Pierre Rosenberg, damals Kurator im Louvre, einen ersten Anstoß mit seiner Ausstellung über französische Malerei des 17. Jahrhunderts in amerikanischen Museen, ein Projekt, das er 2005 mit einer ähnlich konzipierten Ausstellung über die französischen Gemäldebestände in öffentlichen Museen alter Meister in Deutschland erweiterte. [1] In beiden Fällen ging es aber weniger um eine systematische Aufarbeitung historischer Erwerbs- und Inszenierungsstrategien, als um eine Bestandsaufnahme der aktuellen Präsenz französischer Kunst außerhalb Frankreichs.
Das vorliegende Buch von Mathilde Arnoux beschäftigt sich umgekehrt mit der (spärlichen) Präsenz deutscher Kunst in französischen Museen seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Es ist aber nur bedingt als Pendant zu den bilateral angelegten, oben erwähnten Ausstellungen zu verstehen. In Les musées français et la peinture allemande geht es nicht primär um einzelne Kunstwerke an sich, sondern um die mehr oder weniger komplexen Transferprozesse, die sich auf Museumsebene zwischen Deutschland und Frankreich nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 bis in die 1980er Jahre vollzogen. Rekurrierend auf einigen wichtigen, am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris entstandenen Vorarbeiten [2] und auf dem theoretischen Rüstzeug der von Michel Espagne und anderen entwickelten Theorie des Kulturtransfers, beschreitet Arnoux hiermit neue Wege. Zwar haben etliche Aspekte der Rezeption deutscher Kunst in Frankreich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eingehende Betrachtung erfahren. [3] Bislang wurden jedoch vor allem der französische Diskurs und die rhetorischen Formen der Stellungnahmen über deutsche Kunst berücksichtigt, während die öffentlichkeitswirksamen, spezifischen Praktiken der Museen bisher so gut wie keine Aufmerksamkeit auf sich zogen.
Um diese Praktiken zu beleuchten gliedert Mathilde Arnoux ihre Studie in drei chronologisch angelegte Abschnitte: Vor dem Ersten Weltkrieg, zwischen den Kriegen, nach dem Zweiten Weltkrieg. In allen Kapiteln steht der Umgang der Museumsinstitution sowohl mit Werken der historischen "deutschen" Schulen (von der Renaissance bis zum 18. Jahrhundert) als auch mit zeitgenössischer "deutscher" Kunstproduktion (je nach Phase von Menzel bis Baselitz) im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. In den Kapiteln, die sich der Zeit nach 1918 widmen, wird darüber hinaus die komplexe Frage der Definition, Erwerbung und Ausstellung "deutscher" Kunst im Elsass gesondert untersucht.
Im ersten, "Begegnungen mit deutscher Malerei zwischen Gleichgültigkeit und Unkenntnis" ("La rencontre avec la peinture germanique, entre indifférence et méconnaissance") überschriebenen Teil (11-102) analysiert Arnoux zunächst die Erwerbungspolitik französischer Museen unmittelbar vor und nach dem Deutsch-Französischen Krieg im Vergleich zu den anderen nicht französischen Schulen. Das Kapitel vollzieht nach, wie die in dieser Zeit kaum bemittelten Museen Frankreichs überhaupt Erwerbungen tätigen konnten - hauptsächlich durch Schenkungen von Privatsammlern, die zwischen 1871 und 1918 die Provinzmuseen in Lille, in Besançon oder in Dijon mit Werken deutscher Kunst vor allem des 15. und 16. Jahrhunderts bereicherten. In Lille zum Beispiel bedeutete die Schenkung Antoine Brasseurs an das Musée des Beaux-Arts ab 1873 überhaupt die Gründung einer deutschen Abteilung: Bis dahin hatte das Museum nur sechs Werke der deutschen Malerei aufzuweisen, nach der Schenkung waren es 35. Aber nicht nur die Provinzmuseen, sondern auch der Louvre profitierte von Überlassungen aus privatem Besitz. Arnoux verfolgt mit Genauigkeit die Umstände der 21 Erwerbungen deutscher Gemälde des 15. und 16. Jahrhunderts durch die Pariser Institution zwischen dem Deutsch-Französischen Krieg und dem Ersten Weltkrieg - darunter sieben bemerkenswerte Ankäufe (u.a. von Cranach-Gemälden) in Zeiten knapper Ankaufsetats. Arnoux betont vor allem die - auch im kunstwissenschaftlichen Diskurs wahrnehmbare - Aufwertung deutscher Kunsterzeugnisse durch die französische Kultur- und Museumsverwaltung ab ca. 1890, verstärkt ab 1900.
Im zweiten, "Die Angst vor einer deutschen Übermacht und die Definition einer schweizerischen und elsässischen kulturellen Spezifizität" ("La crainte de la puissance allemande et la définition de la singularité culturelle de la Suisse et de l'Alsace") betitelten Teil (103-201), widmet sich das Buch einerseits weiterhin der französischen Ankaufspolitik deutscher Kunst - diesmal zwischen den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts, andererseits aber auch den Ausstellungsstrategien des französischen Staates und der besonderen Museumsarbeit in der gerade wieder französisch gewordenen Stadt Straßburg. In diesem Kapitel stehen nicht mehr nur altdeutsche Gemälde im Mittelpunkt der französischen Museumsaufmerksamkeit, sondern auch die zeitgenössische Malerei. Zwischen 1918 und 1940 erwarben die französischen Museen insgesamt 78 Werke des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aus Deutschland und der Schweiz (von Franz Xaver Winterhalter bis Max Beckmann über Ferdinand Hodler). Interessanterweise spielen neben dem Musée du Jeu de Paume in Paris (unter Leitung von André Dezarrois) auch Provinzmuseen, wie das in Grenoble (unter Leitung von Pierre Andry-Farcy), eine bemerkenswerte Rolle in der Aufnahme deutscher zeitgenössischer Werke. Dennoch bleibt die Zahl der Ankäufe deutscher Kunst durch den französischen Staat auch in dieser Zeit spärlich. Sehr anregend sind daher die Passagen (137-169), in denen Arnoux die ambitionierte Ausstellungspolitik "ausländischer" Kunst im Pariser Musée du Jeu de Paume in der Zwischenkriegszeit (z.B. 1929: "L'Art danois"; 1931: "Exposition polonaise" etc.) als Kompensierung für die geringe Sichtbarkeit zeitgenössischer Kunst aus Europa in den französischen Museen darstellt: "Diese Ausstellungen verfolgten das Ziel, für einige Wochen die Lücken in den französischen Sammlungen zu füllen und dem Publikum eine Möglichkeit zu geben, die zeitgenössischen Ausdrucksweisen in ihre jeweiligen historischen Kontinuitäten zu stellen." (137) Kunstausstellungen als politisches Instrument - auch hier thematisiert Arnoux ein Motiv, das bisher kaum systematisch untersucht worden ist.
Im dritten und letzten Teil - "Das Erkennen der Besonderheit der deutschen Malerei durch die französischen Museen" ("La reconnaissance de la singularité de la peinture germanique par les musées français") -, geht es um die Ausstellungen und Erwerbungen deutscher Kunst im Frankreich der Nachkriegszeit bis hin zur spektakulären Ausstellung "La peinture allemande à l'époque du romantisme" im Musée de l'Orangerie 1976/77. Hier beleuchtet Arnoux ein heikles System an der Schnittstelle zwischen Kunstwissenschaft, Museumsarbeit und Diplomatie, in dem die Kunst des Nachbarn als ein Werkzeug unter anderen verwendet wird, um die politisch erwünschte Annäherung und "Freundschaft" zwischen Frankreich und Deutschland nach Diktatur und Krieg zu beleben. [3] Mit groß angelegten Ausstellungen (z.B. 1950: "Des Maîtres de Cologne à Albert Dürer. Primitifs de l'Ecole allemande" im Musée de l'Orangerie) sowie einiger weniger zögerlicher Ankäufe zeitgenössischer Kunstwerke (hauptsächlich von in Frankreich lebenden Künstlern deutscher Herkunft wie Hans Hartung) brachte die französische Kulturverwaltung allmählich dem französischen Publikum deutsche Kunst etwas näher.
Insgesamt liefert das Buch von Mathilde Arnoux Les musées français et la peinture allemande einen sehr wichtigen Beitrag zur Erforschung der europäischen Museumsgeschichte und des politisch motivierten Ausstellungswesens im 19. und 20. Jahrhundert. Zwar wird die immer wiederkehrende und immer wieder gestellte Frage nach der Definition einer "deutschen", ja überhaupt einer "nationalen" Kunst nicht gelöst - wobei die Unlösbarkeit dieser Frage auch der Autorin bewusst zu sein scheint - dennoch eröffnet diese Studie neue Perspektiven für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Museumsgeschichte als transnationales Phänomen. Es wäre sehr erfreulich, wenn die deutschsprachige Museumsforschung sich - trotz des Sprachhindernisses - von dieser anregenden Studie zu einer verstärkt grenzüberschreitenden Sichtweise inspirieren ließe.
Anmerkungen:
[1] Pierre Rosenberg (éd.): La peinture française du XVIIe siècle dans les collections américaines / France in the Golden Age. Seventeenth-Century French Painting in American Collections, Paris, Grand Palais; New York, The Metropolitan Museum; Chicago, The Art Institute, 1982; ders.: Poussin, Lorrain, Watteau, Fragonard. Französische Meisterwerke des 17. und 18. Jahrhunderts aus deutschen Sammlungen, Paris, Grand Palais; München, Haus der Kunst; Bonn, Kunsthalle der Bundesrepublik Deutschland, Ausstellungskat., Stuttgart, 2005.
[2] Vgl. z.B. Uwe Fleckner / Thomas Gaehtgens (éds.): De Grünewald à Menzel. L'image de l'art allemand en France au XIXe siècle, Paris 2003; Friederike Kitschen / Julia Drost (Hgg.): Deutsche Kunst - Französische Perspektiven 1870-1945. Quellen und Kommentare zur Kunstkritik, Berlin 2007; Alexandre Kostka / Françoise Lucbert (Hgg.): Distanz und Aneignung. Kunstbeziehungen zwischen Deutschland und Frankreich 1870-1945, Berlin 2004.
[3] Vgl. Martin Schieder: Im Blick des Anderen. Die deutsch-französischen Kunstbeziehungen 1945-1959, Berlin 2005.
Bénédicte Savoy