Beate Althammer: Das Bismarckreich 1871-1890 (= Seminarbuch Geschichte), Stuttgart: UTB 2009, 296 S., ISBN 978-3-8252-2995-5, EUR 18,90
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Mit dem Band von Beate Althammer zum Bismarckreich liegt nun der dritte Beitrag der Reihe "Seminarbuch Geschichte" vor. [1] Wie der Herausgeber Nils Freytag im Vorwort ausführt, berücksichtigt die Reihe die aktuellen Entwicklungen im schulischen und universitären Bereich und zielt darauf ab, "kompakt und kompetent historisches Basiswissen" (7) zu vermitteln. Entsprechend dieser Vorgabe legt Althammer, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich "Fremdheit und Armut" an der Universität Trier arbeitet, einen "knappen Überblick über zentrale politische, aber auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklungen" (9) der Jahre zwischen Reichsgründung und Bismarcks Entlassung als Reichskanzler vor. Anders als die meisten Darstellungen zum deutschen Kaiserreich, die auch die Wilhelminische Ära mit einbeziehen, wird die Bismarckzeit als eigene Epoche behandelt - nicht um das Jahr 1890 als bedeutende Zäsur zu betonen, sondern um die spezifischen Merkmale dieser zwanzig Jahre herauszuarbeiten. Schwerpunktmäßig konzentriert sich Althammer auf die "inneren Entwicklungen und Widersprüche des frühen Kaiserreichs" (10), vernachlässigt aber auch nicht die außenpolitischen Komponenten der Reichsgründung und die Anfänge der kolonialen Expansion.
Neben einer kurzen Einleitung umfasst der vorliegende Band zehn Hauptkapitel, die wiederum in der Regel in drei Unterkapitel gegliedert sind. In den ersten vier Hauptkapiteln ("Reichsgründung", "Das politische System", "Innere Nationsbildung" und "Konfessionelle und nationale Minderheiten") steht die "äußere" und "innere" Reichsgründung im Mittelpunkt der Betrachtung. Positiv anzumerken ist, dass die Darstellung nicht nur auf einer rein ereignisgeschichtlichen Ebene verharrt, sondern dass auch neuere historiografische Begriffe und Konzepte Berücksichtigung finden. So wird dem Leser beispielsweise die Kaiserproklamation am 18. Januar 1871 nicht nur als punktuelles Ereignis nähergebracht, sondern "Versailles als Erinnerungsort" (25) auch in den Kontext der Lieux de mémoire von Pierre Nora gestellt. Ergänzt wird die Darstellung immer wieder durch grundlegende und weiterführende Fragen wie "Wie entstehen Nationen?" oder "War das politische System entwicklungsfähig?". Etwas enttäuschend ist die relativ kurze Abhandlung des Kulturkampfes, dem als zentraler und folgenreicher Auseinandersetzung der 1870er Jahre nur einige Seiten im vierten Kapitel "Konfessionelle und nationale Minderheiten" gewidmet werden.
Als die gelungensten Abschnitte des Bandes können die Kapitel 5 bis 7 ("Wirtschaftliche Entwicklungen", "Arbeiterbewegung und Sozialpolitik" und "Bildung und Wissenschaft") gelten, was sicherlich auch mit den Forschungsschwerpunkten Althammers zu tun hat, die mit einer vergleichend angelegten Studie zur Geschichte von Armut und Wohltätigkeit im 19. Jahrhundert promoviert wurde. [2] Das Problem, den komplexen und langfristig verlaufenden Prozess der industriellen Entwicklung auf wenigen Seiten zu behandeln, löst sie geschickt, indem sie sich auf einige spezifische Phänomene, die in der Bismarckzeit besonders deutlich hervortraten, konzentriert: Auf die heftigen Konjunkturausschläge, auf die Hinwendung zur Schutzzollpolitik Ende der 1870er Jahre und auf die zunehmende Binnenmigration. Fundiert wird darüber hinaus nachgezeichnet, wie ambivalent die Eliten im Kaiserreich auf die Herausforderungen durch die "soziale Frage" reagierten. So waren die 1870er und 1880er Jahre sowohl von Repressionen gegen die Arbeiterbewegung, als auch durch wichtige Weichenstellungen auf dem Weg zum modernen Sozialstaat geprägt. Bildung wurde im 19. Jahrhundert zur "Schlüsselressource, die über Lebenswege entschied" (165), was Althammer am Beispiel der intensivierten Volksbildung, dem Ausbau des Hochschulsystems und den massiven Benachteiligungen von Mädchen und Frauen im Bildungsbereich nachweist.
Da die Reichsgründung nicht nur die deutsche Gesellschaft betraf, sondern das internationale Kräfteverhältnis in der Mitte Europas entscheidend veränderte, behandelt das achte Kapitel die "Außenpolitischen Konstellationen und Konflikte", während das neunte die Anfänge der kolonialen Expansion beleuchtet. Hervorzuheben ist dabei die Thematisierung von nationalen Freund- und Feindbildern. Althammer zeigt überzeugend auf, dass ein "eklatanter Kontrast zwischen der offiziellen preußisch-russischen Freundschaft auf Regierungsebene und ausgeprägten Aversionen auf der Ebene der öffentlichen Meinung" (214) existierte, während das Verhältnis zu Großbritannien vor 1890 noch "relativ offen" (216) war. Ausführlich werden die Motive Bismarcks thematisiert, 1884 plötzlich auf die "koloniale Karte" (228) zu setzen, nachdem er vorher wiederholt betont hatte, das Reich verfolge keine kolonialen Ambitionen. Etwas befremdlich mutet an, dass der Kolonialist Carl Peters lediglich als "Abenteurer" (232) charakterisiert wird, und trotz dreimaliger Erwähnung seiner Person keine Bemerkung zu seinen rassistischen und gewalttätigen Ausfällen erfolgt, die ihm schon in der zeitgenössischen Presse den Beinamen "Hänge-Peters" einbrachten. Die Darstellung von Althammer endet mit dem abschließenden Kapitel "Das Bismarckreich im Rückblick". Während die Umstände von Bismarcks Entlassung nur sehr kurz abgehandelt werden, vermag die Skizzierung des bereits früh einsetzenden Bismarckmythos' und die knappe Rekapitulation des historiografischen Bildes des Bismarckreiches zu überzeugen.
Insgesamt handelt es sich bei dem vorliegenden Band um eine gelungene und gut lesbare Darstellung der Bismarckzeit, die ihren eigenen Anspruch aus der Einleitung souverän erfüllt: "Dieser Band versucht, einen Einblick in ihre Vielgestaltigkeit [gemeint ist: der Bismarckzeit] zu verschaffen, ohne darüber das klassische Prüfungswissen zu vernachlässigen." (11) Das Layout ist übersichtlich und strukturiert, und die Darstellung wird durch Quellenauszüge und Abbildungen ergänzt. Am Ende der Kapitel werden weiterführende und zum Teil kommentierte Literaturhinweise gegeben, die besonders dem Studienanfänger eine intensivere Auseinandersetzung mit der jeweiligen Thematik ermöglichen. Ein "Datengerüst" und ein umfangreiches Orts-, Personen- und Sachregister runden den Band ab. Ein kleiner Kritikpunkt gilt zum Schluss weniger der Autorin als den Initiatoren der Reihe: Ein "Dreiklang aus inhaltlicher Analyse, Forschungsperspektiven und Quellenpräsentation" (7) hat sich bereits bei ähnlichen Reihen wie "Oldenbourg Grundriss Geschichte" bewährt. Fraglich ist aber, ob eine Verzahnung der drei Informationsebenen, die die Reihe "Seminarbuch Geschichte" auszeichnet, für Studierende sinnvoll ist. Eine Trennung in Darstellung und Forschungsstand ist übersichtlicher und für Lernzwecke vermutlich besser geeignet. Nicht nachzuvollziehen ist darüber hinaus, wieso der Forschungsstand im vorliegenden Band zum Teil in extra hervorgehobenen, grau unterlegten Abschnitten und zum Teil in den Fließtext integriert erfolgt. Eine einheitliche Vorgehensweise wäre hier zukünftig zu begrüßen.
Anmerkungen:
[1] Bisher sind in dieser Reihe erschienen: Alexa Geisthövel: Restauration und Vormärz 1815-1847, Paderborn u.a. 2008 [vgl. die Rezension von Birgit Bublies-Godau in dieser Ausgabe; URL: http://www.sehepunkte.de/2009/10/14431.html] und Frank Engehausen: Die Revolution von 1848/49, Paderborn u.a. 2007 [vgl. die Rezension von Jürgen Müller in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 12; URL: http://www.sehepunkte.de/2008/12/13480.html]. Weitere Bände sind in Vorbereitung.
[2] Beate Althammer: Herrschaft, Fürsorge, Protest. Eliten und Unterschichten in den Textilgewerbestädten Aachen und Barcelona 1830-1870, Bonn 2002 [vgl. die Rezension von Marc Engels in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 1; URL: http://www.sehepunkte.de/2003/01/2822.html].
Michaela Bachem-Rehm