Herminia Din / Phyllis Hecht (eds.): The Digital Museum: A Think Guide, Washington, DC: American Association of Museums 2007, 223 S., ISBN 978-1-933253-09-1, USD 45,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Angela Karasch: Erfolgreich recherchieren - Kunstgeschichte, Berlin: De Gruyter 2013
Verena Krieger: Was ist ein Künstler? Genie - Heilsbringer - Antikünstler. Eine Ideen- und Kunstgeschichte des Schöpferischen, Köln: Deubner Verlag 2007
Haidy Geismar: Museum Object Lessons for the Digital Age, London: University College London Press 2018
Es entbehrt nicht einer gewissen Paradoxie, das Digitale und das Museum zusammen zu denken, steht ersteres doch für unbegrenzte Reproduktionsfähigkeit, letzteres für die Einmaligkeit des Originals. Dass es doch geht, zeigt eine längst eingeführte Praxis und auch das hier zu besprechende Buch, das als "Think Guide" bescheiden daher kommt, in dem einheitlichen Aufbau der Artikel, den reichen bibliografischen Angaben und mit Glossar versehen, aber doch fast Handbuchcharakter besitzt.
Was die eingeführte Praxis betrifft: Vor langer Zeit haben die Museen begonnen, ihre Bestände in digitalen Datenbanken zu inventarisieren, mit dem Bildindex Foto Marburg schon seit den Siebzigerjahren und damit zu einem Zeitpunkt, als die meisten noch nicht die geringste Vorstellung davon hatten, was es mit dem Computer überhaupt auf sich hat. Nach Erfindung des World Wide Web kamen in den Neunzigerjahren dann museale Internet-Sites hinzu, mit denen Museen auf sich aufmerksam zu machen suchten und auch teilweise ihre Bestände präsentierten. Institutionen wie die Tate Gallery bieten heutzutage komplette und illustrierte Bestandsverzeichnisse, daneben mausern sie sich immer mehr zu häufig eindrucksvoll gestalteten Lernumgebungen.
"The Digital Museum" will zeigen, dass das Ende der Fahnenstange damit noch lange nicht erreicht ist. Gegenstand sind digital gestützte workflows innerhalb des Museums, digitale Besucherinformationssysteme, Web 2.0-inspirierte Möglichkeiten des community-building sowie social tagging (gemeinschaftliches Indexieren) als Weg, die Besucher zu eigenständigem produktivem Umgang mit den Werken anzuregen, usw. Insbesondere der zuletzt angesprochene, in Projekten wie artigo umgesetzte Bereich, dürfte ungeahnte Perspektiven bieten, Besucher anzulocken und dauerhaft an ein Museum zu binden. [1] Elektronische Instrumente im Museum selber werden dabei von den Autoren und Autorinnen meist skeptisch betrachtet, tragen sie doch dazu bei, die spezifische Atmosphäre des Ortes zu zerstören und ihn in einen erweiterten Unterrichtsraum zu verwandeln. Eher schon liegt der Akzent auf den Möglichkeiten, zur Vor- und Nachbereitung eines Besuches auf das nicht mehr ganz so neue Medium zurückzugreifen.
Die am Anfang kurz angesprochene reflexive Ebene der Problematik wird nicht übersehen, insgesamt aber handelt es sich bei der Publikation doch um eine sehr amerikanisch-pragmatische Handreichung. Direkte Empfehlungen aber ("ich habe 2000 Bilder im Depot, welches Programm sollte ich für deren Inventarisierung benutzen?") sollte man nicht erwarten. Eine der Botschaften lautet zu Recht, dass man sich auch für die digitale Erschließung und Präsentation eines Museums eine durchdachte Strategie zulegen sollte, Fragen der genannten Art beantworten sich dann von selbst.
Mehr als 100 Millionen Besuche konnten deutsche Museen in 2007 verzeichnen. Das werden manche als beruhigenden Tatbestand registrieren. Anlass dafür, sich zurückzulehnen, bietet diese Zahl trotzdem nicht, insbesondere dann, wenn man bedenkt, dass ein großer Teil dieser in der Tat beeindruckenden Zahl durch eventhaft organisierte Sonderausstellungen erreicht worden ist. Die Jüngeren gehen inzwischen wie selbstverständlich mit den digitalen Medien um, ihre Welt ist in einer Weise virtualisiert, wie sich das ältere unter uns kaum vorstellen können. Was liegt also näher, als die Museumsbesucher der Zukunft in einem Medium anzusprechen, das ihnen selbstverständlich geworden ist? Die Aura des Originals zu vermitteln - das wird weiterhin eine Domäne des Museums bleiben. Aber auf diese Aura überhaupt erst aufmerksam zu machen: Das könnte eine Aufgabe sein, die mit dem Digitalen vorzüglich zu lösen ist. Dass manche Museen inzwischen mehr online- als echte Besucher haben, sollte man nicht als Gefahr empfinden. Sicherlich sind die virtuellen Besucher keine, die das Internet am wirklichen Besuch gehindert hat. Eher schon solche, die irgendwann dann doch einmal kommen.
Anmerkung:
[1] Vgl. etwa http://www.art-magazin.de/szene/9564.html.
Hubertus Kohle