Alexandra Lutz: Ehepaare vor Gericht. Konflikte und Lebenswelten in der Frühen Neuzeit (= Geschichte und Geschlechter; Bd. 51), Frankfurt/M.: Campus 2006, 408 S., ISBN 978-3-593-37974-6, EUR 39,90
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In ihrer Dissertation, die an der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität in Kiel eingereicht wurde, wertet Alexandra Lutz 421 Ehekonflikte aus, wie sie in Holstein vor dem Münsterdorfischen Konsistorium verhandelt wurden. Der Untersuchungszeitraum umfasst die Jahre 1650 bis 1770. Die Studie ist innerhalb eines Forschungsfeldes über Ehe, Ehekonflikte und Familie angesiedelt, die in dem vergangenen Jahrzehnt zunehmend Interesse innerhalb der Geschichtswissenschaft gefunden hat. Doch diese Forschungen seien - so konstatiert Lutz - von Widersprüchen gekennzeichnet: Allzu uneinheitlich seien die Ergebnisse, welche etwa auf die Deutung der Position der Frauen innerhalb der ehelichen Hierarchie, der Rolle von Eherichtern und möglicher Konfliktmotive bei ehelichen Auseinandersetzungen zielten (15). Hinzu käme, dass diese Forschungsergebnisse in erster Linie aus der Schweiz und aus dem süddeutschen Raum gewonnen worden seien. Es bestehe also weiterer Forschungsbedarf - gerade auch unter Berücksichtung von Quellen aus dem norddeutschen Raum.
Bei der Auswertung der 421 Ehekonflikte aus Norddeutschland verknüpft Lutz mehrere Interessen: Es geht ihr erstens darum, die Lebenswelten der streitenden Ehepaare zu rekonstruieren, zweitens die Wechselwirkungen zwischen gegebenen Strukturen und den individuellen Handlungen und Handlungsspielräumen zu analysieren und drittens die zeitgenössischen Diskurse einzubinden, die sich in der Hausväterliteratur, in Predigten und Gelegenheitsschriften zeigen.
Somit sind die ersten 155 Seiten der Dissertation dafür reserviert, die Rahmenbedingungen der Konflikte (Gericht, Gerichtsverfahren, Umgang der Obrigkeiten mit Ehekonflikten, soziale Zuordnungen und Urteile) sowie die zeitgenössischen Diskurse zur Ehe und zur Scheidung zu benennen, bevor in einem weiteren Abschnitt von 172 Seiten Konfliktursachen und Konfliktabläufe geschildert werden.
Die Ehegerichtsbarkeit lag in Schleswig-Holstein beim Konsistorium. Dies hatte sich nicht nur mit den Konflikten, sondern auch mit unterschiedlichen Rechtsmassen auseinander zu setzen, nach denen die Streitigkeiten entschieden werden konnten. Zudem wurde im Zuge der Ehescheidung auch um Besitz und Eigentum gekämpft, so dass verschiedene Formen der Gütergemeinschaft ebenfalls berücksichtigt werden mussten. Geradezu konsequent scheint es deshalb, dass sich die Geistlichen im 17. Jahrhundert eher weniger mit diesen Fällen auseinander setzten und so eigenmächtige Trennungen duldeten oder im Interesse der beteiligten Konfliktparteien nicht allzu explizit auf die Durchsetzung der Normen drangen. Im 18. Jahrhundert änderte sich dies jedoch, da sich die Pfarrer zunehmend als Erzieher und Wächter ihrer Pfarrkinder verstanden, die verstärkt deren Lebenswandel in den Blick nahmen (84). Vermehrt untersuchten sie nun, ob die "bösliche Verlassung", Bigamie, Ehebruch, Impotenz und Klagen über schlechten Lebenswandel zur Scheidung führen sollten. Dies geschah jedoch nur in 107 Fällen, da das Engagement der Geistlichen eher darauf zielte, die Ehepaare zu versöhnen bzw. ihnen vorzuschreiben, binnen einer gesetzten Frist zum Ehepartner zurückzukehren (128).
Ob die zeitgenössischen Ehediskurse Einfluss auf diese Zahl der Scheidungen hatte, ist ungeachtet der umfassenden Beschreibung, die Lutz von Luthers Ehelehre und der Hausväterliteratur gibt, kaum zu erkennen. Denn: Das gesprochene Wort sei bis ins 19. Jahrhundert hinein nicht zu unterschätzen. In Predigten und Gesprächen erfolgte die eigentliche Weitergabe von Ehenormen (162).
Im zweiten Abschnitt benennt Lutz zunächst die Ursachen der Ehekonflikte, beschreibt dann deren Abläufe sowie die Mittel, die darin zum Einsatz kamen, und fragt schließlich nach der vermittelnden oder kontrollierenden Reaktion des Umfeldes auf die Auseinandersetzungen. Emotional seien die Streitigkeiten geführt worden, auch wenn sich die Gefühlslagen der Rechtsparteien nicht im Urteil niederschlugen. Kritisch wurde es indes, wenn Sexualität, sexuelle Normen und sexuelles Begehren thematisiert wurden. Dies geschah gerade vor dem Hintergrund der beklagten Ehebrüche - und barg eine besondere Brisanz, da mit der Sexualität auch die Konstituierung von Männlichkeit und Weiblichkeit zum Gegenstand des Verfahrens wurde. Dies macht gerade die Auseinandersetzung um Impotenz deutlich, die bei Männern als Krankheit, bei Frauen als bewusste Handlung verstanden wurde (240). Aber auch der Lebenswandel, Eigentum und die Religionszugehörigkeit dienten als Klagegrund.
Die Mittel, um Ehestreitigkeiten auszutragen, vermag Lutz ebenfalls geschlechtsspezifisch zu konnotieren: So seien Injurien eher von Männern begangen worden und definierten Frauen dabei in erster Linie über ihren Körper oder ihre sexuelle Identität. Gewalt, die Lutz in einem umfassenden Unterkapitel beschreibt, sei ebenfalls primär von den Männern ausgegangen und reichte von "Maulschellen" bis hin zu Tötungsversuchen (317). Diese Fälle wurden gerade dann von den Geistlichen akribisch durchleuchtet, wenn der Verdacht bestand, dass der Ehemann das eheliche Züchtigungsrecht durch den Gebrauch unangemessener Gewalt überschritten hatte. Allerdings kamen die Geistlichen nicht selten zum Schluss, dass ungeachtet der zu strafenden Gewalt die Versöhnung der Ehepartner erfolgen solle. Wollte die Ehefrau dennoch die Gewaltbeziehung beenden, dann hing dies also primär von ihrem eigenen Willen und ihrer Durchsetzungskraft ab (330). Denn auch das Umfeld konnte ihr nur kurzfristig Hilfe gewähren. Zwar verweist Lutz auf einzelne Fälle, in denen die Frau in ihre Herkunftsfamilie zurückkehren konnte, doch dies sei nicht die Regel gewesen. Und auch das Eingreifen von Nachbarn in die tätlichen Auseinandersetzungen hätte eher selten stattgefunden.
Insgesamt kann Lutz nachweisen, dass in der Propstei Münsterdorf nicht von einer obrigkeitlichen Ordnungspolitik in Ehesachen gesprochen werden kann. Dagegen sprechen sowohl die Zuständigkeit der Geistlichen als auch die lang anhaltende Selbstregulierung der Konflikte durch die Ehepartner. Und auch wenn dabei im Prinzip die Vorrangstellung des Ehemannes nicht hinterfragt wurde, kann Lutz doch zeigen, welche Ansprüche die Frauen an die Ehe und damit auch an ihre Ehemänner stellten - und die Scheidung suchten, so sich ihre Wünsche nicht erfüllten. Gehorsam um jeden Preis sollte nicht geleistet werden. Doch die Ansprüche der Frauen fanden da ihre Grenzen, wo das eheliche Züchtigungsrecht begann. Insofern ist der Aspekt der Gewalt und des Aushandelns von Machtbeziehungen bei der Analyse von Eheprozessen stets einzubeziehen. Und schließlich betont Lutz, dass die Ontologisierung der Geschlechterbeziehungen auch schon im Münsterdorf des 17. und 18. Jahrhunderts zu beobachten sei. Das sei demnach kein Novum im 19. Jahrhundert, sondern habe dort nur eine Aufwertung erfahren (385). Weitere - ähnlich quellengesättigte - Studien gerade auch aus dem norddeutschen Raum werden diese von Lutz gewonnenen Erkenntnisse aufzunehmen und zu überprüfen haben, denn diese Untersuchung leistet einen wesentlichen Beitrag zur aktuellen Forschung über Ehe, Eheleben und Scheidungen in der Frühen Neuzeit.
Nicole Grochowina