Jan Erik Schulte (Hg.): Die SS, Himmler und die Wewelsburg (= Schriftenreihe des Kreismuseums Wewelsburg; Bd. 7), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2009, XXXV + 556 S., ISBN 978-3-506-76374-7, EUR 34,90
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1933, nachdem die Nationalsozialisten die Staatsmacht in die Hand bekommen hatten, fasste Heinrich Himmler den Entschluss, dass die SS eine Burg haben müsse. Seine noch keineswegs ausgereiften Vorstellungen gingen dahin, diese als Schulungs- und Konferenzort, aber auch als "weltanschauliches Zentrum" seiner Schutzstaffel auszubauen. Seine Wahl fiel 1934 auf die westfälische Wewelsburg, eine ehemalige Residenz der Fürstbischöfe von Paderborn, die zuletzt als Wanderherberge und Heimatmuseum gedient hatte. Ausschlaggebend waren ihre Verfügbarkeit sowie vor allem ihre Lage in der Nähe "germanischer" Geschichtsorte wie dem Teutoburger Hermannsdenkmal oder den Externsteinen, die Himmlers Fantasie beflügelten.
Die anfangs eher schleppend vorangehenden Umbauarbeiten beschleunigten sich ab 1939, als die SS begann, ein Außenkommando des KZ Sachsenhausen zur Zwangsarbeit heranzuziehen. 1941-43 bestand zur Realisierung der immer gigantomanischeren Pläne sogar das selbstständige KZ Niederhagen/Wewelsburg, in dem insgesamt zirka 3.900 Menschen einsaßen, von denen rund ein Drittel umkamen. [1] Doch dann wurden die Bauarbeiten kriegsbedingt gestoppt. Keine der ihr zugedachten SS-Funktionen füllte die Wewelsburg jemals voll aus. In Sachen Schulung waren etwa die Junkerschulen in Bad Tölz und Braunschweig oder die Reichsführerschule in Dachau weit wichtiger, die ranghöchsten SS-Führer trafen sich weit häufiger in München als auf der Wewelsburg, wo sie nur ein einziges Mal zusammen kamen.
Die Wewelsburg scheint also auf den ersten Blick ein eher zweitrangiger NS-Erinnerungsort zu sein, zumal vom KZ nur noch wenige bauliche Reste erhalten sind. Dass dem nicht so ist, macht der hier vorgestellte Sammelband deutlich, der aus einer im Jahr 2005 abgehaltenen Tagung hervorgegangen ist. [2] Sie bildete den Schlusspunkt der "Forschungsphase" zur erneuerten Dauerausstellung über die Wewelsburg im 'Dritten Reich' im dort angesiedelten Kreismuseum (IX), die voraussichtlich im Jahr 2010 eröffnet wird. Diese wird im Vergleich zur alten Ausstellung von 1982 nicht nur wesentlich größer und aktueller sein, sondern die Geschichte der Wewelsburg in den Kontext der Gesamtgeschichte der SS stellen.
Dieses Konzept spiegelt sich in der "Architektur" des vom Bochumer SS-Experten Jan Erik Schulte [3] herausgegebenen Bandes in zweifacher Hinsicht wider. Zum einen in der Auswahl der Autoren, die den zahlreichen Mitarbeitern der "Projektgruppe Neukonzeption" einige bekannte NS-Historiker (u.a. Armin Nolzen, Michael Wildt, Ruth Bettina Birn, Martin Cüppers) an die Seite stellt. Zum anderen darin, dass sowohl dem Gesamtband als auch den thematischen Abschnitten jeweils allgemeinere Aufsätze vorangestellt sind, denen lokalgeschichtliche Spezialstudien folgen.
Nach dem knappen und erfreulich klar strukturierten Literaturbericht Schultes (XI-XXXV) weisen die beiden folgenden Kapitel "Strukturen" und "Radikalisierung" zunächst noch keinen unmittelbaren Bezug zur Wewelsburg auf. In ihnen wird deutlich, dass die seit den Nürnberger Prozessen andauernde Debatte um die Homo- bzw. Heterogenität der SS noch immer nicht abgeschlossen ist. Während Nolzen sie als extrem flexible "Adhokratie" deutet (44), warnt Birn davor, das konstante Moment der Rassenlehre als zentralen "Glaubensartikel" der SS zu unterschätzen (73). Weniger zu überzeugen vermag in diesem Teil der Aufsatz von Matthias Hambrock (79-101), der sich an einer Neudeutung der SS-Ideologie versucht und dabei an die hinlänglich bekannte Tatsache anknüpft, dass der Nationalsozialismus dazu neigte, sich als Gemeinschaft unrechtmäßig Verfolgter zu inszenieren, um die eigenen Untaten als Notwehr zu legitimieren. Dass dieser Gestus zu wenig ernst genommen würde, kann seit der ausufernden Debatte um die Thesen Ernst Noltes eigentlich nicht mehr behauptet werden.
Der Abschnitt "Weltbilder und Selbstbilder" bietet einige Aufsätze zu den ebenso vielfältigen wie vagen und in der Regel eher randständigen Projekten, die Himmler bzw. die "Burgmannschaft" mit und auf der Wewelsburg verfolgten. Hier ist vor allem der zusammenfassende Aufsatz Markus Moors' zu "Himmlers Plänen und Absichten in Wewelsburg" (161-179) als nützlich hervorzuheben, während andere Texte wie z. B. das ebenfalls von Moors verfasste Porträt des Leiters der Wewelsburger SS-Bibliothek Hans Peter des Coudres (180-195) sehr speziell ausfallen.
Die Sektionen "Hybris und Realität" sowie "Ort des Terrors" widmen sich dem Lager Niederhagen als Standort eines SS-Lagers für "volksdeutsche" Umsiedler bzw. als KZ. Methodisch bemerkenswert ist hier der Beitrag Dana Schlegelmilchs (395-413), die auf der Basis einer Vielzahl von langfristig und behutsam im Umfeld des Kreismuseums gesammelter Zeitzeugeninterviews rekonstruiert, wie ambivalent die Einheimischen mit der Präsenz der SS bzw. ihrer Opfer in ihrem Heimatdorf umgingen.
Der Zeit nach 1945 ist das letzte Kapitel "Kontinuitäten" gewidmet. Es enthält einige an und für sich interessante, aber nur lose in das Gesamtkonzept integrierte Aufsätze u.a. zur HIAG-Organisation der Waffen-SS-Veteranen (Karsten Wilke, 433-448) oder zum Wuppertaler Prozess gegen die Mitglieder eines Polizeibataillons wegen des Massakers in Bialystok (Michael Okroy, 449-469). Deutlich stärker aufeinander bezogen und damit in der Zusammenschau eindrucksvoller sind die beiden Aufsätze zur Wewelsburg selbst. Wulff E. Brebeck, der Leiter des Kreismuseums, zeichnet den wechselvollen Weg bis zur Errichtung eines Mahnmals für die Opfer von Niederhagen im Jahr 2000 nach (470-487). Daniela Siepe untersucht, wie sowohl Okkultisten als auch Rechtsradikale nach dem Krieg begannen, eine Art mythischen Kult um die Wewelsburg bzw. um Himmlers unscharfe und vielfach nie realisierte Pläne für diese zu inszenieren. Sie macht deutlich, dass auch die Fixierung ansonsten seriöser Autoren wie Heinz Höhne auf die bizarr-spektakulären Facetten der SS dazu beigetragen hat, solche Vorstellungen zu verfestigen (488-510).
Insgesamt stellt der mit zahlreichen Karten und Abbildungen aufwändig ausgestattete Band trotz der genannten kleineren Schwächen in zweifacher Hinsicht einen Gewinn dar. Zum einen bietet er einen Überblick über die neuere Forschung zur SS, zum anderen demonstriert er das vor allem in seinen vielfältigen Anknüpfungsmöglichkeiten überzeugende Potenzial der Wewelsburg als NS-Erinnerungsort. Man darf gespannt sein, wie es der neuen Dauerausstellung gelingen wird, dieses breit gefächerte Themenspektrum museumspädagogisch umzusetzen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Kirsten John-Stucke: Niederhagen / Wewelsburg - Stammlager, in: Wolfgang Benz / Barbara Distel (Hgg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 7, München 2008, 17-29. Zur Geschichte der Wewelsburg im 'Dritten Reich' bislang v.a. Karl Hüser / Wulff E. Brebeck: Wewelsburg 1933-1945, 4. überarb. Aufl., Münster 2002.
[2] Vgl. Tagungsbericht Wewelsburg und die SS. 10.06.2005-12.06.2005, Büren-Wewelsburg, in: H-Soz-u-Kult, 08.07.2005, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=801.
[3] V.a. Jan Erik Schulte: Zwangsarbeit und Vernichtung. Das Wirtschaftsimperium der SS. Oswald Pohl und das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt 1933-1945, Paderborn u.a. 2001.
Bastian Hein