Fabian Klose: Menschenrechte im Schatten kolonialer Gewalt. Die Dekolonisierungskriege in Kenia und Algerien 1945-1962 (= Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London; Bd. 66), München: Oldenbourg 2009, X + 346 S., ISBN 978-3-486-58884-2, EUR 39,80
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"Vor allem beunruhigte die Verantwortlichen in Genf [...] die Tendenz, dass im 'Kampf gegen den Terrorismus' die Folter als im angeblichen Interesse der Gesellschaft und im Einklang mit der Legalität dargestellt wurde. Unter dem Deckmantel von Sondergesetzen zur Terrorismusbekämpfung kehrten die Methoden der 'peinlichen Befragung', die von den zivilisierten Menschen universell geächtet worden waren, zurück." Dieser Auszug aus dem Memorandum des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes aus dem Jahr 1962 zeigt die aktuelle Brisanz von Fabian Kloses Dissertation "Menschenrechte im Schatten kolonialer Gewalt. Die Dekolonisierungskriege in Kenia und Algerien 1945-1962" auch wenn seine Forschungsfragen natürlich historisch bleiben.
Wie war es möglich, dass Staaten wie Großbritannien und Frankreich in ihren Kolonien Kenia und Algerien zu exzessiver Gewalt zurückgriffen, während sie zugleich den internationalen Menschenrechtsdiskurs ganz wesentlich vorantrieben? Und welche Legitimationsmuster dienten den beiden Kolonialmächten, um dieses Vorgehen zu rechtfertigen? Fabian Klose verbindet in seiner Darstellung die drei Themenkomplexe die Entstehung des internationalen Menschenrechtsregimes, Dekolonisierung und Entgrenzung von Gewalt auf elegante und gut lesbare Weise. Zunächst skizziert er die Renaissance der Menschenrechtsidee während des Zweiten Weltkriegs durch die Alliierten und die Rückwirkung dieser Idee auf die Kolonialgebiete. Denn der Kampf für die Menschenrechte stieß natürlich immer dann auf Widerstand bei den Kolonialmächten, wenn dadurch Rassendiskriminierung und Ungleichheit in den Kolonialgebieten deutlich wurden, besonders da durch die Verbreitung des Menschenrechtsgedankens viele Kolonien nicht mehr bereit waren, sich einem Unterdrückungsregime unterzuordnen. Die Kolonialpolitik war somit auch ein Test, inwieweit sich die Alliierten ihren Idealen realpolitisch verpflichtet sahen.
Das folgende Kapitel zeigt anhand der Ereignisse in Kenia und Algerien, wie England und Frankreich ihren Herrschaftsanspruch aufrecht erhalten wollten, vor allem da in beiden Ländern der Status als Kolonialmacht die Stellung als Weltmacht legitimierte. Dass dieses Vorgehen sowohl von französischer als auch von britischer Seite immer im Rahmen von Notstandsgesetzen und des Ausnahmezustands legalisiert wurde, wobei dadurch gleichzeitig humanitäres Völkerrecht verletzt wurde, zeigt die Spannung zwischen rechtstaatlichem Anspruch und repressiver Realität. Die konkreten Erscheinungsformen der Gewalt - kollektive Strafe, Lager und Umsiedlung, systematische Folter - thematisiert das fünfte Kapitel, ehe die Rückwirkungen der Menschenrechtsverletzungen auf den internationalen Menschenrechtsdiskurs und internationale Organisationen überprüft werden - übrigens mit einem sehr unterschiedlichen Ergebnis: Großbritannien gelang es, die Widerstandsbewegung der Mau-Mau auf der internationalen Bühne fast vollständig zu isolieren, während die FLN die Menschenrechte erfolgreich benutzte, um die internationale Öffentlichkeit zu mobilisieren.
Es gelingt Fabian Klose überzeugend, die Wechselwirkung zwischen kolonialer Gewalt und internationalem Menschenrechtsdiskurs herauszuarbeiten. Klose greift auf Quellenmaterial der britischen und französischen Kolonialmacht, der Mau-Mau-Bewegung und der FLN zurück. Als Rahmen dafür dient der Menschenrechtsdiskurs vor internationalen Regierungsorganisationen, besonders der UN, wodurch eine Forschungslücke aufgegriffen wird - denn die historische Forschung über die Rückwirkung der Dekolonisierung auf Internationale Regierungsorganisationen ist immer noch wenig entwickelt.
Das Buch ist somit eine ausgezeichnet lesbare, mit Quellen gesättigte Darstellung der Thematik, doch die damit verbundene lineare Darstellung führt auch zu einem Nachteil: Es bleibt kaum Raum für kontroverse Diskussionen. Umstrittene Begriffe werden eingeführt, indem meist nur auf eine Referenz Bezug genommen wird. Mit Giorgio Agamben wird der Nexus zwischen Notstand und der Bildung von Lagern erklärt; Carl Schmitts Theorie des Partisanen wird eingesetzt, um zu erläutern, warum die Widerstandsgruppen die internationale Öffentlichkeit mit so unterschiedlicher Wirkung erreicht haben. Theoretische Konzepte können dabei helfen, historische Sachverhalte zu klären. Wenn sie jedoch eingesetzt werden, dann sollten sie im Rahmen einer Dissertation mit ihren Widersprüchen und Gegenkonzepten diskutiert werden. Auch hätte die nationale Tragweite der Konflikte noch besser beleuchtet werden können, also wie von der zivilen Öffentlichkeit in den Kolonien selbst das Vorgehen Frankreichs und Großbritanniens diskutiert wurde und welche Rückwirkungen es in den Kolonialmächten selbst gab. Dadurch hätten sich noch zusätzliche Facetten über das Verhältnis von kolonialer Gewalt und Menschenrechte ergeben.
Trotz dieser Einschränkung zeigt die Studien auf beeindruckende Weise, in welche Widersprüche sich Frankreich und Großbritannien in den 50er und 60er Jahren verwickelten, als sie als Kolonialmächte und Menschenrechtsverfechter auftraten. Dass massive Menschenrechtsverletzungen wie Folter dabei im so genannten Interesse der Gesellschaft eingesetzt wurden, verschärft den aufgezeigten Gegensatz zwischen menschenrechtlichen Zielen und praktischer Politik.
Wolfgang Buettner