Corine Defrance: Sentinelle ou Pont sur le Rhin? Le Centre d'Études Germaniques et l'apprentissage de l'Allemagne en France 1921-2001, Paris: CNRS Éditions 2008, 327 S., ISBN 978-2-271-06570-4, EUR 35,00
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Das Centre d'études germaniques hat zuletzt anlässlich seiner Schließung im Jahr 2001 für Diskussionen in der "scientific community" diesseits und jenseits des Rheins gesorgt. Nun widmet die Spezialistin der deutsch-französischen Beziehungen im 20. Jahrhundert Corine Defrance dem CEG eine minutiös recherchierte institutionengeschichtliche Studie. Diese beruht auf profunder und insbesondere quellengenauer Kenntnis der deutsch-französischen Beziehungen, wie Defrance sie bereits in ihren Büchern über die Gründung des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz (1992) und die Hochschulpolitik der Alliierten (2000) unter Beweis gestellt hat. Unter Mitarbeit von Christiane Falbisaner-Weeda, Ingénieure de recherche am CNRS und Redaktionssekretärin der seit 1969 erscheinenden Institutszeitschrift "Revue d'Allemagne et des pays de langue allemande", behandelt das Buch mit der Geschichte des deutschlandkundlichen Ausbildungszentrums in Straßburg so nicht weniger als 80 Jahre Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen.
Das Centre d'études germaniques wurde als "Symbol des französischen Imperialismus" 1921 im besetzten Rheinland gegründet und diente - unter der Patronage der Universität Straßburg - zunächst vor allem der deutschlandkundlichen Ausbildung von Offizieren und Nachrichtenoffizieren, insbesondere der Hohen Kommission und der Rheinlandkommission. In charakteristischer Weise misslang während der Locarno-Ära jeder Kooperationsversuch mit deutschen Institutionen, bis schließlich der französische Botschafter davon abriet, das CEG in die Organisation universitärer Kooperationen einzubinden. 1930 wurde das Zentrum nach Straßburg transferiert und betrieb - wie zeitgleich die deutschen Institute für Auslandskunde an den deutschen Universitäten Auslandsbildung als politischen Auftrag. Während des Zweiten Weltkriegs wurde aus dem CEG das CEE: "Centre d'études européennes". Trotz anderer Projekte des damaligen Direktors, des Geographen Henri Baulig, blieb die europäische Erfahrung dann allerdings eine kurze Episode in der Geschichte des Instituts (115).
Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte das Institut zur Deutschlandexpertise zurück. Es wurde 1948 als Institut der Universität Straßburg eingegliedert und gehörte ab 1968 zum CNRS. Bis 1984 war das CEG als "laboratoire associé" (LA 108) nun ein Forschungsinstitut mit einem deutlichen Übergewicht der "historischen und politischen Sektion". Mitte der 1980er Jahre lassen sich hier drei große Forschungsschwerpunkte ausmachen: die seit 1976 arbeitende interdisziplinäre Forschergruppe zur Konservativen Revolution unter Leitung von Louis Dupeux; der sich seit Ende der 1970er Jahre herausbildende Forschungsschwerpunkt zur Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen um Jacques Bariéty und Raymond Poidevin, in dessen Zusammenhängen auch die Autorin des Buchs gearbeitet hat, und nicht zuletzt der Arbeitsbereich Wahlgeographie mit dem großen Atlas-Projekt zu den deutschen Wahlen von 1871 bis 1976.
In den 1960er Jahren wurden Studierende zum wichtigsten Publikum des Instituts. Eine Institutszeitschrift wurde auf den Weg gebracht, die unter Ausschluss der Literatur dem zeitgenössischen Deutschland gewidmet sein sollte. Als sich die Straßburger Universität teilte, entschied sich die Institutsleitung für Straßburg III (Jura, Wirtschaft) und nicht für Straßburg II, wo die Beziehungen mit dem Institut d'allemand spannungsreich waren: 1969 wurde das CEG an das Institut d'études politiques angegliedert, und es begann die "Ära Dreyfus", die Hoch-Zeit des Instituts mit François-Georges Dreyfus als Direktor (1969-85).
Die mit der Person des neuen Direktors, der über wichtige Positionen in der französischen Hochschulpolitik und der Straßburger Kommune verfügte, verbundene Dynamik war beträchtlich (187 ff.). Das Zentrum kooperierte mit dem DAAD und dem DFJW, arbeitete in der Lehre mit Sciences-Po zusammen und organisierte darüber hinaus Studienreisen nach Deutschland (auch in die DDR), veranstaltete Seminare für Journalisten und leistete viel Informationsarbeit über Deutschland in der französischen Öffentlichkeit. Unter Dreyfus wurden auch die Bestände der Bibliothek systematisch erweitert, die Kooperationsbereitschaft der DDR bringt dem Institut einen für Frankreich einzigartigen Bestand ein. Das Ansehen des Zentrums war so groß, dass es in Frage kam für die Gründung eines neuen französischen Deutschland-Forschungszentrums - im Sinne eines Pendants zum Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg.
In den 1980er Jahren aber strukturierte sich die deutsch-französische Wissenschaftslandschaft neu. Neue Deutschlandzentren und Koordinierungsinstitutionen wurden gegründet: 1981 war die Gründung des Centre d'information et de recherche sur l'Allemagne contemporaine (CIRAC) ohne Mitwirkung des CEG in Paris zu Stande gekommen. Stärker noch wurde in Straßburg das 1992 in Berlin unter dem Label des CNRS gegründete Centre Marc Bloch wahrgenommen. Im Jahr 2001 kam noch das in einer föderativen Struktur und mit Unterstützung des DAAD gegründete CIERA (Centre interdisciplinaire d'études et de recherches sur l'Allemagne) hinzu, das der Netzwerkbildung der französischen Deutschlandforschung dient.
Kritisch wurden diese Entwicklungen für das CEG, da parallel sein Ansehen als Forschungsinstitution in den Evaluierungen des CNRS zu sinken beginnt. Trotz der Reputation einiger Mitglieder konstatierte der Bericht des Comité national das Fehlen einer wissenschaftlichen Dynamik. Im Jahr 2001 wurde dann der Vertrag mit dem CNRS nicht verlängert (271).
Das CEG wurde Geschichte. Von der Besetzung des Rheinlands bis zur gegenwärtigen Phase des "kulturellen Desinteresses" (Hartmut Kaelble) am jeweiligen Nachbarn am Rhein führt das Buch den Leser mit großer argumentativer Sicherheit an der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen entlang. Corine Defrance hat mit ihrer institutionengeschichtlichen Studie einen wichtigen Beitrag zu ihrem Verständnis geleistet, an dem kaum ein Forscher im "deutsch-französischen Feld" vorbeikommen wird. Die klare Gliederung in fünf chronologische Kapitel sowie ein Personenindex ermöglichen die schnelle Orientierung, eine Aufführung der Institutionen wäre im Rahmen dieser Studie ebenfalls wünschenswert gewesen.
Für das historisierende Verständnis von Konstellationen und Friktionen in der aktuellen deutsch-französischen Zusammenarbeit bzw. der französischen Deutschlandforschung sind die Überlegungen zur Situierung des CEG in dieser institutionellen Landschaft außerordentlich erhellend, trotz ihres naturgemäß vorwiegend allusiven Charakters.
Das Buch ist aber nicht nur für deutsch-französische Kontexte interessant. Die Geschichte des Instituts bietet in der von Defrance vorgeschlagenen Perspektivierung reichhaltig Stoff für das Nachdenken über Profilbildungsprozesse von Regionalforschungszentren im 20. Jahrhundert - zwischen politikwissenschaftlicher Beobachtung und der Anpassung an staatliche Förderungsbedingungen, Aufgaben der Kultur- und Sprachvermittlung und nicht zuletzt der Suche nach interdisziplinären Forschungsprofilen.
Anne Kwaschik