Susan Ashbrook Harvey / David G. Hunter (eds.): The Oxford Handbook of Early Christian Studies, Oxford: Oxford University Press 2008, XVII + 1020 S., ISBN 978-0-19-927156-6, GBP 85,00
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Barbara Aland: Frühe direkte Auseinandersetzung zwischen Christen, Heiden und Häretikern, Berlin: De Gruyter 2005
Volker Herholt: Antisemitismus in der Antike. Kontinuitäten und Brüche eines historischen Phänomens, Gutenberg: Computus 2009
Maike Weiß / Alexander Weiß: Giftgefüllte Nattern oder heilige Mütter. Frauen, Frauenbilder und ihre Rolle in der Verbreitung des Christentums, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005
Dieses weit über 1000 Seiten starke "Handbuch" will sowohl Anfängern als auch Spezialisten (auf jeweils anderen Gebieten) eine moderne und möglichst umfassende Orientierung über den heutigen Forschungsstand zu zentralen Problemen des frühen Christentums geben. Dabei wird der Zeitraum von ca. 100 bis 600 n. Chr. (und teilweise weit darüber hinaus) erfasst, d.h. vom Ende der neutestamentlichen Zeit (der ein eigenes "Oxford Handbook" gewidmet wird) bis zum Islam. Die hier vereinten Beiträge haben (fast) alle ein einheitliches Grundmuster: Definition des Sachthemas, Erörterung der Forschungslinien der letzten 30-50 Jahre, Vorstellen der Hauptquellen, mögliche Tendenzen künftiger Forschung, empfohlene Literatur zum Einstieg in das Thema und eine größere Spezialbibliographie. Abgerundet wird das Handbuch von "Instrumenta Studiorum: Tools of the Trade" (957-977), einer Spezialbibliographie zu allgemeinen und speziellen Sachlexika, zu Fachzeitschriften, Textausgaben und Textreihen, Übersetzungen, Wörterbüchern und nützlichen URLs im Internet. Ein Sach- und Personenindex (antik wie modern) sowie ein Verzeichnis der biblischen Stellen der jüdischen und christlichen Bibel beschließen das Werk.
Der gesamte Stoff wird in 45 Einzelkapiteln geboten, die auf acht Oberthemen verteilt sind: Im Rahmen dieser Rezension können nur stichwortartig einige grobe Hinweise zum Inhalt gegeben werden. Auf die Hervorhebung einzelner Beiträge muss deshalb verzichtet werden. Sie alle erfüllen den Anspruch, den das Buch stellt, auf ihrem Gebiet:
I. "Prolegomena" (7-84) behandeln in drei Beiträgen die Entwicklung der Patristik zu "Frühchristlichen Studien", die unterschiedlichen literarischen Traditionen in Europa und Nord-Amerika, die Frage nach dem Zusammenhang von Literatur und Kultur und die Frage der Verschiedenheit des jüdischen und heidnischen Christentums von Anfang an.
II. Evidence: Material and Textual (87-165) stellt in vier Kapiteln die Bereiche Archäologie, darstellende Kunst, Inschriften (mit der Problematik, solche als "christlich" zu erkennen), Paläographie und Kodikologie vor, d.h. Material sowie Schreib-, Schrift- und Buchformen, Tinten, Bindung, Formate und Archivierung.
III: Identities (169-279) befasst sich in sechs Beiträgen mit der Folie, auf der sich der Begriff "Christen" herausbildete: Juden, Heiden (eine christliche Erfindung und die heutige Schwierigkeit, einen passenderen Begriff zu finden), Gnostiker, Manichäer, Arianer und Pelagianer.
IV: Regions (283-386) verfolgt in fünf Kapiteln die regionale Ausbreitung des Christentums anhand der wichtigsten Quellen in Italien, Gallien, Spanien, Nord-Afrika (wo das Christentum auch nach 711 weiterhin lebendig war), Griechenland, Kleinasien, Ägypten, Palästina, Syrien (Peshitta) und Mesopotamien sowie die liturgischen und theologischen Hauptströmungen, die sich dort entwickelten.
V: Structures and Authorities (389-517) setzt sich in sechs Kapiteln mit der Binnengliederung des frühen Christentums auseinander, mit der Unterscheidung von Klerus und Laien, mit übergreifenden Organisations- und Verbindlichkeitsformen wie Kanonisierung, Glaubensbekenntnissen, Konzilien, mit der Rolle der Frauen (wobei sich die Frage nach der Repräsentativität der Einzelpersonen stellt), dem Mönchtum und dem Verhältnis der Kirche zum römischen Staat.
VI: Expressions of Christian Culture (521-690) bietet mit neun Kapiteln eine Übersicht über die verschiedenen literarischen Formen des frühen Christentums: Apokryphen (wobei sich die Suche nach einem neutraleren Begriff, etwa "parabiblisch", als schwierig erweist), Apologien, Homilien, christliche Historiographie, Märtyrerakten, Heiligenlegenden, christliche Poesie und Hymnographie (lateinisch, griechisch und syrisch) und Ansätze christlicher Philosophie.
VII: Ritual, Piety and Practice (693-841) behandelt in sieben Kapiteln wichtige liturgische Rituale wie Taufe, Eucharistie und Gebet, dazu Formen von Askese und Buße, von Märtyrertum und Heiligenkult sowie eine Übersicht über die frühen Formen christlicher Wallfahrten.
VIII: Theological Themes (845-956) setzt sich mit den frühen Formen von Schrifterklärung auseinander, mit den verschiedenen frühchristlichen Gottesbildern, der Christologie, den Schöpfungstheorien und Kosmogonien, der "creatio ex nihilo" und mit frühchristlicher Ethik, wobei Themen wie Körper, Sexualität, Askese, Leiden, soziale Lage, Sklaverei und religiöse Intoleranz angesprochen werden.
Das Handbuch ist (natürlich) für englischsprachige Leser konzipiert. Das zeigt schon ein Blick auf die Auswahl der Mitarbeiter, unter denen sich lediglich drei aus nicht-englischsprachigen Universitäten befinden. Das hat auf die Qualität der Beiträge keine unmittelbare Auswirkung, zumal sich bei vielen Autoren ein recht hohes Bewusstsein internationaler Verflechtung und gegenseitiger Beeinflussung von englischsprachiger und nicht-englischsprachiger Forschung widerspiegelt. Auch bei den Literaturangaben zum Einstieg in die Themen werden selbstverständlich englische Bücher empfohlen. Bei den jeweiligen Bibliographien hätte allerdings der Anteil an nicht-englischsprachiger Literatur insgesamt größer sein können.
Bei der Themenauswahl fällt auf, dass es keine Beiträge zu den Bereichen Mensch und Umwelt, Familie, Ehe, Freundschaft, Tod und Begräbnis, Kleidung, Ökonomie, Reichtum, Armut, Recht oder Technik gibt. Das spiegelt wohl ein prinzipiell traditionelles, eher konservatives Verständnis der Redaktion und des Verlages bezüglich "Frühchristlicher Studien" wider. Der Schwerpunkt liegt auf der biblisch-literarischen, theologischen, liturgischen und christlich-gesellschaftlichen Seite. Dies sollte man wissen, um nicht mit falschen Erwartungen das Buch in die Hand zu nehmen.
Das, was vorliegt, spiegelt in der Tat die heutigen Forschungstrends verbunden mit klug ausgewähltem Basiswissen wider. Jeder, der irgendwie mit dem Thema "Frühchristliche Studien" im beschriebenen Sinne zu tun hat, wird dieses "Handbook" für Fragen des aktuellen Überblicks und präziser, kurzer Informationen mit großem Nutzen zu Rate ziehen.
Karl Leo Noethlichs