Simone Schimpf: Profanierung einer Heiligen. Maria Magdalena in der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts, Berlin: Lukas Verlag 2007, 343 S., ISBN 978-3-936872-82-8, EUR 36,00
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Simone Schimpfs Untersuchung "Profanierung einer Heiligen. Maria Magdalena in der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts" stellt die 2004 an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau eingereichte Dissertation der Autorin dar. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet die offensichtliche und anhaltende Popularität der Heiligen in der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts: Mehr als 300 Werke umfasst die von der Autorin zusammengetragene Liste von Magdalenendarstellungen, die in öffentlichen Ausstellungen im Frankreich des 19. Jahrhunderts gezeigt wurden. Maria Magdalena, so Schimpf, war damit die am häufigsten im Salon ausgestellte Heilige.
Das erste Kapitel befasst sich mit dem Magdalenenkult im Frankreich des 19. Jahrhunderts: mit der Kirche La Madeleine in Paris sowie den Wallfahrtsorten in Vézelay und der Provence. Das zweite Kapitel "Kirchen - Museen - Privatgemächer" untersucht die Funktion der zahlreichen Magdalenenbilder. Die weiteren Kapitel beschäftigen sich mit einzelnen Typen der Magdalenenikonografie: "Die schöne Büßerin" (115-178), "Magdalena und der Tod" (179-232) sowie "Die ekstasische Magdalena" (233-285). Der Untersuchung liegt die These zugrunde, dass die "katholische Heiligenikonografie zu einer frei verfügbaren Inspirationsquelle der Künstler" (16) wird, die Profanierung der Magdalenenikonografie zu einer "Öffnung für eine Vielzahl an neuen Interpretationen" (13) führt und eine "Übertragung von Weiblichkeitsfiktionen des 19. Jahrhunderts auf Magdalena" (14) stattfindet. Am ergiebigsten ist die Untersuchung dort, wo die Magdalenenikonografie im Kontext dieser "Weiblichkeitsfiktionen" wie die Femme fatale, die Erlöserin, die bekehrte Prostituierte und die Hysterikerin kulturgeschichtlich untersucht wird. Als bekehrte Sünderin und Prostituierte, als die Magdalena gedeutet wurde, diente die Heilige in den (vornehmlich von Männern) geführten Moraldebatten als Exempel für die unterschiedlichsten Deutungen des weiblichen Wesens.
Die Galerie der Magdalenen, welche die Autorin behandelt, ist umfangreich; darunter finden sich Werke bekannter Künstler wie Eugène Delacroix, Camille Corot, Pierre Puvis de Chavannes, Paul Cézanne und August Rodin. Die von der Autorin in eigenen Unterkapiteln behandelten Werke Rodins und Cézannes offenbaren dabei das Problem einer solchen ikonografichen Untersuchung. Zu August Rodins Skulptur "Le Christ et la Madeleine" heißt es, der Titel des Werks stamme vom deutschen Industriellen und Sammler August Thyssen; Rodins selbst habe "über seine Werke [gesagt], dass die Themen nicht von Bedeutung seien" und Rainer Maria Rilke habe sich nur "auf Drängen von Thyssen auf eine eindeutige Benennung der Skulptur ein[gelassen]." (197) Ähnliches muss die Autorin von einem Paul Cézannes Frühwerk konstatieren, dessen Titel "Madeleine / La Douleur" nicht vom Künstler selbst stammt, sondern erst 1917 und damit lange nach dem Tod Cézannes nachgewiesen werden kann (183). Man kann in diesen Beispielen die These einer Profanierung bestätigt sehen; es stellt sich dann jedoch die Frage, inwieweit sich Werke im Rahmen einer Untersuchung zur Magdalenen-Ikonografie deuten lassen, deren Ikonografie eigentlich offen oder austauschbar ist. Es fällt zudem bei vielen in der Untersuchung behandelten Magdalenendarstellungen schwer, mehr als schlichte Formen der erotischen Kunst zu sehen, bei denen der Voyeurismus durch die offensiv zur Schau gestellte Anbindung an eine traditionelle Heiligenikonografie und eine altmeisterliche Malweise verbrämt wird. Dies gilt für zahlreiche der im Salon ausgestellten Magdalenenbilder, welche die Autorin vergeblich zu rehabilitieren sucht.
Etwas unverständlich ist, warum Schimpf auf eine zumindest konzise Darstellung der Magdalenen-Ikonografie vor dem 19. Jahrhundert verzichtet und nur wenige Verweise auf ältere Magdalenendarstellungen, etwa von Correggio und Tizian, bietet. Gerade diese älteren Magdalenendarstellungen zeigen, dass der Prozess der Profanierung bereits lange vor dem 19. Jahrhundert, nämlich spätestens im Italien des Cinquecento, einsetzt. Die Autorin erwähnt zwar den ambivalenten Charakter der Magdalenendarstellungen im 16. Jahrhundet; über Tizians Magdalenen schreibt sie dann jedoch: "Die symbolische Bedeutung der nackten Magdalena in der Kunst hatte sich im Vergleich zu Tizian gewandelt. Kann bei Tizian mit einiger Gewissheit angenommen werden, dass er eine Mahnung an den männlichen Betrachter aussprechen wollte, handelte es sich im 19. Jahrhundert weniger um eine Mahnung als um eine Feststellung der weiblichen, auf Instinkt beruhenden Natur" (176). Gerade Tizians Magdalenen, die dutzendfach kopiert wurden, stellten jedoch Sammlerstücke und keine Andachtsbilder dar, ihre ästhetische überlagert dementsprechend bereits die religiöse Funktion.
Ikonografische Untersuchungen neigen zu einer Vollständigkeit, die Disparates in einer Gesamtdarstellung zu vereinen sucht, so auch diese Studie: Die Wiederbelebung des Magdalenenkultes in der Provence, in Vézelay und in Paris im frühen 19. Jahrhundert, die im ersten Kapitel untersucht wird, ist - wie die Autorin selbst bemerkt - eher ein Phänomen der Volksfrömmigkeit und nur eingeschränkt von kunsthistorischem Interesse. Diese - wie die Autorin darlegt, grandios gescheiterte - Wiederbelebung der Heiligenverehrung hat wenig zu tun mit den zahlreichen Magdalenen, die Jahr für Jahr die Salons bevölkerten, zuweilen einen Skandalerfolg erzielten und deren kulturgeschichtliche Untersuchung den eigentlichen, lesenswerten Schwerpunkt der Dissertation bieten.
Takuro Ito