Rezension über:

Alan Forrest / Peter H. Wilson (eds.): The Bee and the Eagle. Napoleonic France and the End of the Holy Roman Empire, 1806 (= War, Culture and Society, 1750-1850), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2009, xvii + 295 S., ISBN 978-0-230-00893-9, USD 74,95
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Rezension von:
Wolfgang Burgdorf
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Burgdorf: Rezension von: Alan Forrest / Peter H. Wilson (eds.): The Bee and the Eagle. Napoleonic France and the End of the Holy Roman Empire, 1806, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 5 [15.05.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/05/15920.html


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Alan Forrest / Peter H. Wilson (eds.): The Bee and the Eagle

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Als Johann Valentin Embser 1779 die "Abgötter des philosophischen Jahrhunderts" beschrieb, galt ihm der "Ewige Friede" als eine "Chimäre", während er den Krieg als den "Schöpfer der Nationen" und "Reisen ganzer Nationen" ansah, vergleichbar den Bildungsreisen von Individuen. [1] Damit nahm Embser Erfahrungen der Napoleonischen Epoche vorweg. In diesen Kontext gehören die Beiträge des anzuzeigenden Bandes. Gleichzeitig berühren sie die Imperienforschung, Okkupationsgeschichte, Preußenforschung sowie die Forschungen zum Untergang des Alten Reiches und Preußens. [2] Sie gehen auf eine dem vor 200 Jahren erfolgten letalen Zusammentreffen des Alten und Napoleonischen Reiches gewidmete Tagung des DHI in London zurück. Rafe Blaufarb, Alan Forrest und Karen Hagemann, die Herausgeber der Reihe "War, Culture and Society, 1750-1850", schreiben: Die Ereignisse dieser Zeit hätten die Identität der Zeitgenossen entscheidend verändert.

Einleitend betonen Alan Forrest und Peter H. Wilson, die Zusammenschau beider Reiche im Jahre 1806 eröffne eine ideale Gelegenheit, die Transformation zur Moderne in komparativer Weise zu betrachten. Sie schildern dann die Neubewertung des Alten Reiches seit Karl Otmar von Aretin, geben jedoch zu bedenken, dass neuste Interpretationen des Reiches als früher deutscher Nationalstaat oder als ein europäisches Gebilde analog zur EU wohl zu weit gingen. Als wichtige Aspekte des Begriffes "Reich" werden der souveräne Anspruch auf einen bestimmten Raum, der imperiale Charakter, der sich durch Bezugnahme auf das antike Rom legitimiert und der Anspruch auf Hegemonie hervorgehoben, der allerdings östlich des Rheins weniger deutlich hervortrat als im Grand Empire Napoleons, das auf einer militärischen Kultur gründete. Zwar sei das Alte Reich mit der österreichischen Niederlage 1797 endgültig auf seine deutschen Teile beschränkt worden, dennoch sei seine Umwandlung in eine bloße Föderation nicht zwangsläufig gewesen. Vielmehr habe es weiter Hoffnungen auf eine Reichsreform gegeben. Das Reich zerbrach an der Hegemonie Napoleons, dessen Reich so zu einem europäischen wurde. Zwei Jahre überlappte sich die Existenz beider Reiche, am Ende dieser Zeit war das alte untergegangen und das moderne befand sich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Doch waren die beiden Reiche nicht nur unterschiedlich: Die Befürworter sowohl des einen als auch des anderen waren überzeugt, dass das jeweilige Reich den Frieden im Inneren und in Europa am besten sichern würde.

Peter H. Wilson erläutert die Bedeutung des Alten Reiches um 1800. Er schildert die Lebendigkeit der Reichsinstitutionen in den Jahrzehnten vor Ausbruch der Revolution und die dann einsetzenden dramatischen Veränderungen, die er als Föderalisierung beschreibt. Die kaiserliche Stellung sei Maßstab für alle ähnlichen Prätentionen geblieben. Allerdings habe Napoleon nach Austerlitz auf die Reichskrone verzichten können, weil zumindest auf dem Kontinent niemand mehr seine Position ernsthaft in Frage stellte.

Daran anschließend untersucht Michael Rowe die politische Kultur des Alten Reiches, das weniger ein Staat, als eine rechtliche Ordnung gewesen sei. Besonders stellt er die gegen die Obrigkeiten geführten Untertanenprozesse heraus. Ironischerweise habe die Rechtskultur des Reiches als Vorbild für die Ausbildung des territorialen Gerichtswesens gedient und so zur Emanzipation der Territorien vom Reich geführt.

Michael Boers hingegen stellt das Napoleonische Empire vor, das von Napoleon und seiner Generation getragen worden sei. Jene waren geprägt von der Kultur der französischen Aufklärung und überzeugt von ihrer kulturellen Mission. Auch in ihrem Selbstverständnis nahm das Recht eine besondere Stellung ein. Wenn sie sich jedoch in den annektierten Gebieten oder den Sattelitenstaaten bewegten, verband sich mit ihrem Sendungsbewusstsein die ignorante Überheblichkeit der Kolonialherren. Diese Ausführungen werden durch William Doyle vertieft, der die politische Kultur des Napoleonischen Reiches vorstellt.

Die Ambivalenz des Aufstiegs Bayerns zum Königreich in einer Zeit, als die Bewahrung des Status quo keine Option war, erläutert Michael Kaiser. Für den Titel mussten die Ressourcen des Landes und eine Prinzessin geopfert werden. Schließlich hatte die formale Souveränität im Angesicht Napoleons keine reale Substanz. Alan Forrest schildert den Wandel Napoleons zum Monarchen. Als Korse entschied er sich Franzose zu werden, verfasste erst aufklärerische, dann republikanische Schriften, aber schon als General legte er sich einen monarchischen Habitus zu.

Gemeinhin gilt der 4. August 1789 als Todestag des feudalen Frankreich. Rafe Blaufarb zeigt jedoch in einem spannenden Beitrag, dass über die Ära Napoleons hinaus über den feudalen bzw. privatrechtlichen Charakter einzelner Abgaben gestritten wurde. Durch die Nationalgüter war der Staat selbst zum größten Nutznießer dieser Abgaben geworden.

Die Autopsie einer geschlagenen Armee bietet Claus Telp. Zahlenmäßig deutlich unterlegen fehlte es dem preußischen König an einer geeigneten Strategie. Nach Austerlitz hatte er seine Chance verpasst. Die Führung der Armee war chaotisch, der Oberbefehlshaber zu Beginn der Schlacht schwerstverwundet, die Unterführer mit dem kurz zuvor eingeführten Divisionssystem noch nicht vertraut. Thomas Biskup demonstriert, dass der Sieg über Preußen in der französischen Propaganda als Revanche für Rossbach einen weit wichtigeren Platz einnahm als die Zerstörung des Alten Reiches. Napoleon stellte sich in die Tradition Friedrichs, verbunden nicht durch Nationalität, sondern durch die Gemeinschaft des Ruhms.

Karen Hagemanns These ist, dass die Bevölkerung von Brandenburg-Preußen wegen der langen Besatzung und hohen Kontributionen mehr gelitten habe als die Bewohner des übrigen Deutschland, wobei sie jedoch keine Vergleichswerte nennt. Hagemann stellt fest, dass es vor 1813 auch in Preußen nur vereinzelt anti-französische Propaganda gegeben habe.

Eine sehr sinnvolle Ergänzung zu den vorhergehenden Beiträgen bietet David Hopkin, der die Wahrnehmung und kollektiv-narrative Verarbeitung der Besetzung Ostfrankreichs durch die Alliierten 1792 und gegen Ende der napoleonischen Epoche behandelt. Relativ schnell bildete sich der Mythos eines massenhaften patriotischen Widerstandes, welcher die Erinnerung an Gewalterfahrung, aber auch an schuldhafter Kollaboration verdrängte. Viele Elemente solcher Erzählungen waren seit dem Mittelalter in Gebrauch. Zudem war es unerheblich, ob es sich um ausländische oder inländische Besatzer handelte, wie es beispielsweise während der Religionskriege oder der Bürgerkriege der Revolutionszeit der Fall war. Michael Rapport relativiert in seinem Beitrag die klassische Entgegensetzung vom demokratischen Patriotismus in Frankreich und ethnischen Nationalismus in Deutschland.

Abschließend vergleicht John Breuilly die deutsche Antwort auf Napoleon mit den Ergebnissen der neueren Nationalismusforschung. Er betont, dass es erst ab 1812, als sich die Grande Armée in Deutschland formierte und das Land auszog, zu einer flächendeckenden antifranzösischen Stimmung kam. Erst im Wilhelminischen Deutschland sei diese mit modernen Bedeutungen aufgeladen worden.

1804 verglich Niklas Vogt "Das alt- und neufränkische Kaisertum" und kam zu dem Schluss, dass die Verfassung Frankreichs aufgrund der Erblichkeit des Kaisertums der deutschen hoffnungslos überlegen sei, weshalb sich die Reichsverfassung wohl bald auflösen werde. Sein Artikel "Napoleon in Mainz" trug das Motto "Alea jacta est". [3] Dies könnte - grob ausgedrückt - auch das Resümee des vorliegenden Bandes sein. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch: Die moderne Welt erhob sich in Deutschland nicht allein aus den Ruinen des Alten Reiches, sondern hatte die Menschen schon vor 1789 längst ergriffen.


Anmerkungen:

[1] Johann Valentin Embser : Die Abgötterei unseres philosophischen Jahrhunderts, Mannheim 1779, 4 u. 118 f.

[2] Andreas Klinger / Hans Werner Hahn / Georg Schmidt (Hgg.): Das Jahr 1806 im europäischen Kontext. Balance, Hegemonie und politische Kulturen, Köln 2008. Ute Planert (Hg.): Krieg und Umbruch in Mitteleuropa um 1800. Erfahrungsgeschichte(n) auf dem Weg in eine neue Zeit, Paderborn 2009. Michael North / Brendan Simms / Maiken Umbach / Joachim Whaley / Peter H. Wilson / Wolfgang Burgdorf: Forum: 1806: The End of the old Reich, in: German History 24 (2006), 455-474. Heinz Schilling / Werner Heun / Jutta Götzmann (Hgg.): Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1945 bis 1806, Ausstellungskatalog des Deutschen Historischen Museums Berlin 2. Bd.: Essays, Berlin 2006. Herfried Münkler: Imperien. Die Logik der Weltherrschaft - vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Berlin 2005.

[3] Europäische Staatsrelationen 2 (1804), 181-188, u. 261-271.

Wolfgang Burgdorf