Bernd Roeck: Ketzer, Künstler und Dämonen. Die Welten des Goldschmieds David Altenstetter. Eine Geschichte aus der Renaissance, München: C.H.Beck 2009, 288 S., ISBN 978-3-406-59171-6, EUR 24,90
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Die Werke David Altenstetters (*um 1550 Colmar - +1617 Augsburg), von denen sich glücklicherweise einige erhalten haben, zeugen vom hohen Niveau der Augsburger Goldschmiede- und Emailleurskunst im 16. Jahrhundert. Bernd Roeck, ausgewiesener Kenner von Augsburgs Geschichte in der Frühen Neuzeit, hat es unternommen Lebensweg und Schaffen Altenstetters nachzuzeichnen, wobei er nicht nur familiäre, materielle und dem Goldschmiedeberuf geschuldete Lebensumstände, sowie die Einbindung in ein soziales Netzwerk berücksichtigt, soweit es die Quellenlage zuläßt. Auf Seite 162 konkretisiert er sein Vorhaben: "Unsere Spurensuche hat zum Ziel, Altenstetter - ... - zu fassen, indem sie die "Netzwerke", die er knüpfte und in die er eingebunden war, rekonstruiert". Das Buch trägt den Titel "Ketzer, Künstler und Dämonen. Die Welten des Goldschmieds David Altenstetter" und will "Eine Geschichte aus der Renaissance" erzählen oder wie es dann auf dem Vorsatzblatt heißt "Eine Reise in die Renaissance" unternehmen. Von David Altenstetter als Handwerker, ist nicht die Rede. [1] Der Autor fasst seine Intentionen folgendermaßen zusammen: "So erzählt dieses Buch eigentlich zwei miteinander verflochtene Geschichten, [...] die eines Goldschmiedes seiner Arbeit und seiner Kunst - und die eines eigensinnigen Christen in eisernen und eisigen Zeiten." (18) Altenstetter war denunziert worden, weil er den Gottesdienst nicht besucht hatte und er angeblich Schwenckfelder (Angehöriger einer protestantischen Glaubensrichtung) sei. Das Verhörprotokoll zu diesem Sachverhalt ist - neben wenigen Personenstandsdaten, die der Autor im Elsaß aufgetan hat - die zentrale Quelle Roecks. Es lassen sich erfreulich viele Werke Altenstetters nachweisen, - fast ausschließlich Ornamentgrotesken in Tiefstichemail in Silber - darunter ein Taufkelch, die Mitarbeit am Pommerschen Kunstschrank, ein vollständiges Essbesteck, das im Jahre 2005 für 1.240.000 Pfund von einem amerikanischen Bieter bei einer Auktion in London ersteigert worden war. Leider ist dem Buch kein Werkverzeichnis beigegeben.
Obgleich Roeck, versteckt im Anhang betont, dass er "einer kunsthistorischen Auseinandersetzung mit dem Werk Altenstetters nicht vorgreifen" und insbesondere Zuschreibungsfragen nicht diskutieren will (284), stellt er eine Mitarbeit Altenstetters an der Rudolfinischen Krone, die er im Buch viermal erwähnt, auch mit ihrer demonstrativen Abbildung im Farbteil des Buches, zur Debatte. Dabei ist schon die Ernennung Altenstetters zum Kammergoldschmied Kaiser Rudolfs II. umstritten. Bernd Roeck fasst das in die Worte "Sollte Altenstetter zum Kammergoldschmied ernannt worden sein, es wäre der Gipfel seiner Laufbahn gewesen." (194) Die Zugehörigkeit zum Umkreis des Kammergoldschmiedes Hans Vermeyens, des kaiserlichen Hofjuweliers David von Brüssel und des Diamantschneiders Daniel Gelve, die an der Beschaffung der Edelsteine und der Herstellung der Krone mitgewirkt haben und untereinander verschwägert waren, ist sehr unwahrscheinlich. [2] Zumal von Altenstetter bislang eben nur Arbeiten in Silberemail bekannt sind, die Kronenbänder mit den Ornamenten, um deren Autorschaft es sich hier dreht, aber aus Goldemail gefertigt wurden. Von Hans Vermeyen sind über ein Dutzend Fassungen für Edelsteingefäße und Schmuckstücke in dieser Technik nachzuweisen. [3]
Auf Grund der schütteren Quellenlage nehmen allgemeine Schilderungen der Lebensumstände im Augsburg der frühen Neuzeit einen breiten Raum ein. Roeck versucht in Kombination von quellengestützter Erzählung der Vita Altenstetters mit zeitgenössischen Texten und den Ergebnissen neuerer Forschung eine Aura der Umgebung Altenstetters und Existenzbedingungen zu evozieren.
Dem Buch hätte es aber gut getan, wenn Roeck seinen Blick über Augsburg hinaus gerichtet hätte, z. B. auf Frankfurt am Main. In dem Kapitel "Die Milde der Pfeffersäcke" (136) wird beschrieben, dass Altenstetter wegen seiner religiösen Überzeugungen nicht bestraft wurde. Roeck lobt die Milde des Augsburger Rates: "Auf einer 'Landkarte der Toleranz' hätte Augsburg neben anderen Stadtrepubliken und Städten wie Straßburg, Basel, Breslau oder Prag und vom bürgerlichen Element geprägten Staaten wie den Niederlanden einen guten Platz" (137). Matthaeus Merian d.Ä. dessen Affinität zu Schwenckfeld belegt ist [4], und dessen Beitrag zur Verbreitung nonkonformen religiösen Schrifttums dieser Zeit kaum zu überschätzen ist, hatte die Frankfurter Stadtregierung auf seiner Seite, die sich bei Verstößen gegen die kirchliche Zensur deutlich zurückhielt und z. B. auf die Strafverfolgung gegen ihn verzichtete. [5]
Auch die Bezeichnung Augsburgs als "Steuerparadies" kann in Bezug auf die Messestadt Frankfurt relativiert werden. Der dort jährlich zu zahlende Betrag von 50 fl. bei einer Vermögenssteuerobergrenze von 15.000 fl. war konkurrenzlos. Er unterschied sich deutlich von der Pauschale von 600 Goldgulden, die man in Augsburg zahlen musste, um sein Vermögen nicht deklarieren zu müssen (52), was wohl auch ein gravierender Grund dafür war, dass sich wohlhabende niederländische Refugianten eben in Frankfurt und nicht in Augsburg angesiedelt hatten.
Bernd Roeck hat trotzdem ein lesenswertes Buch über die Lebensumstände in Augsburg an der Wende zum 17. Jahrhundert geschrieben, das noch dazu anregt sich mit anderen Regionen des alten Reiches zu beschäftigen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Welt im Umbruch. Augsburgs zwischen Renaissance und Barock. Bd. II. Rathaus, Augsburgs 1980, 284: "Es steht fest, dass die bisher fast ausschließliche Zuweisung von Tiefstichemail in Silber an Altenstetter überprüft werden muss, denn nach seinem Tod hört ...die Emailkunst in Augsburg nicht auf".
[2] Manfred Staudinger: Hans Vermeyen, Kammergoldschmied Kaiser Rudolfs II. in Prag, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien, Bd. 91, 1995; 263-271.
[3] vgl. Rudolf Distelberger: Die Kunst des Steinschnitts. Prunkgefäße, Kameen und Commessi aus der Kunstkammer, Mailand/Wien 2002.
[4] Hans Heinrich Wüthrich: Mattaeus Merian d. Ä. Briefe und Widmungen. Hamburg 2009, 49-53.
[5] Andreas Deppermann: Johann Jakob Schütz und die Anfänge des Pietismus. Tübingen 2002, 28.
Gabriele Marcussen-Gwiazda