Nadine Rossol: Performing the Nation in Interwar Germany. Sports, Spectacle and Political Symbolism, 1926-1936, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2010, XIII + 226 S., ISBN 978-0-230-21793-5, GBP 50,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Volker Berghahn: Das Kaiserreich 1871 - 1914. Industriegesellschaft, bürgerliche Kultur und autoritärer Staat, 10., völlig neu bearb. Aufl., Stuttgart: Klett-Cotta 2003
Stefan Scholl (Hg.): Körperführung. Historische Perspektiven auf das Verhältnis von Biopolitik und Sport, Frankfurt/M.: Campus 2018
Sönke Neitzel: 1900: Zukunftsvisionen der Großmächte, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2002
Die 'graue Republik' - mit diesem Schlagwort ist die Weimarer Demokratie lange Zeit charakterisiert worden. Produkt der militärischen Niederlage von 1918, habe es dieser Staat nie vermocht, sich ein positives Image aufzubauen und dieses durch charismatische Persönlichkeiten, glänzende Feiern oder attraktive Zeichen und Symbole in der Öffentlichkeit zu verankern. Stattdessen sei das politische Geschehen von Krisen und Kompromissen gekennzeichnet gewesen, die die Bevölkerung mehr und mehr verbitterten. Umso leichter habe sich der Nationalsozialismus in dieser Hinsicht positiv distinguieren können: Der Hitlerstaat zog alle Register der ästhetischen Inszenierung, und er bediente damit offenbar ein bei vielen Menschen bestehendes Verlangen, von der Politik auch umfassende Sinnangebote und 'große Emotionen' geliefert zu bekommen. Vor diesem Hintergrund erscheint der Untergang der Weimarer Republik geradezu als mit verursacht von einem ästhetischen Mangel, und der Sieg des Nationalsozialismus wird auch durch eine symbolpolitische Überlegenheit erklärbar.
Dieser Sichtweise dezidiert zu widersprechen, ist die erklärte Absicht der Studie von Nadine Rossol, einer Dissertation an der University of Limerick von 2006. Die Verfasserin wertet die inszenatorischen Leistungen der Weimarer Republik auf und diejenigen des Nationalsozialismus ab; gleichzeitig relativiert sie die Epochenscheide von 1933, indem sie Kontinuitäten in der Symbolsprache und Festkultur der beiden unterschiedlichen politischen Systeme herausarbeitet.
Ihrer Untersuchung vorgeschaltet ist eine Einleitung, die das Zusammenspiel von Politik und öffentlicher Inszenierung seit dem späten Kaiserreich beleuchtet. Eine Demonstrationskultur entstand vor allem in der Arbeiterschaft; die staatstragenden Parteien ließen sich in die offizielle Festkultur einbinden, die sich um Jubiläen, Feiertage und Eröffnungs- bzw., im Falle der zahlreichen Denkmalsprojekte, Enthüllungsfeierlichkeiten rankte. Die militärische Formensprache, schon im Kaiserreich populär, änderte nach 1918 ihre Bedeutung: einerseits als Ausdruck einer Nicht-Akzeptanz der von den Siegermächten des Weltkriegs erzwungenen Abrüstung, andererseits als Drohgebärde in einem (symbolischen) Bürgerkrieg, der nicht nur von den extremen Parteien geführt, sondern auch von jenen republikanischen Kräften angenommen wurde, die sich ab 1924 im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold organisierten.
Die Analyse der Festkultur der Weimarer Republik setzt mit der Arbeiterolympiade des Jahres 1925 in Frankfurt am Main ein. Von tiefem Misstrauen gegenüber dem bürgerlichen Sport erfüllt, hatte sich der Arbeitersport eigene Organisationen geschaffen; den Olympischen Spielen des Klassenfeindes stellte er Arbeiterolympiaden entgegen. Dort wurde miteinander, nicht gegeneinander Sport getrieben; Konkurrenzdenken, Leistungsstreben und Rekordsucht galten als Ausdruck der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Die Masseninszenierungen der Arbeitersportler beschworen stattdessen den Geist des solidarischen Handelns. Gleichzeitig legten sie großen Wert auf eine perfekte Abstimmung; galt dem bürgerlichen Deutschland die Arbeiterklasse doch ebenso wie die gesamte Linke als undiszipliniert, ja 'chaotisch'. Der Drill, den die Arbeitersportler bei ihrem Auftritt in Frankfurt an den Tag legten, sollte dieses Vorurteil augenfällig widerlegen.
1926 kam es in Köln zu einer großen Inszenierung des bürgerlichen Sports. Dort fanden die Zweiten Deutschen Kampfspiele statt. Sie sollten den Ausschluss Deutschlands von den Olympischen Spielen kompensieren - erst 1928 in Amsterdam, zehn Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, nahm wieder ein deutsches Team an den Spielen des IOC teil. Als Veranstaltungsort wurde Köln bestimmt, weil die Ententemächte kurz zuvor die Kölner Zone geräumt hatten; das Sportereignis konnte somit im Beisein führender Politiker als 'Fest der Befreiung' inszeniert werden. Die Symbolsprache der Kampfspiele, zum Beispiel ein gigantisches Feuerwerk am Vorabend der Eröffnung, bediente vor allem den traditionellen Topos der 'Wacht am Rhein'.
Entgegen der verbreiteten Ansicht, der 11. August als Verfassungstag der Weimarer Republik sei nur halbherzig gefeiert und in der Öffentlichkeit wenig beachtet worden, fand beispielsweise am zehnten Jahrestag der Staatsgründung in Berlin eine eindrucksvolle Feier statt. Im Deutschen Stadion wurde vor dicht gefüllten Rängen ein Festspiel dargeboten, das die Verfassungsordnung der Republik in 'gestellten Bildern' veranschaulichte. Diese Bilder formten sich aus den Körpern jugendlicher und sportbegeisterter Anhänger des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, das unter Anleitung des Reichskunstwarts Edwin Redslob für die Durchführung des Spektakels verantwortlich zeichnete. Die vollständige Räumung des Rheinlands durch die Entente im Folgejahr 1930 wurde im Deutschen Stadion noch einmal in ähnlicher Weise gefeiert: Verschiedene Massenornamente brachten die Leiden der linksrheinischen Städte während der Besatzungszeit und ihre glückliche Wiedereingliederung in die Nation zum Ausdruck.
Die Präferenz für das Massenspektakel und die Affinität zum Sport erklären sich damit, dass die Republik nach nicht-elitären Festritualen suchte, die, ganz im Gegenteil, die Teilhabe aller Bürger zum Ausdruck brachten. Die Demokratie war diejenige Staatsform, in der die Mitwirkung der großen Zahl möglich war. Diese wurde auf der Seite der Zuschauer und auf der Seite der Akteure realisiert: Auf den Rängen der Stadien fanden Zigtausende Platz, in den Innenräumen stellten Tausende die 'lebenden Bilder' und nahmen symbolische Handlungen vor, die so plakativ waren, dass jeder Zuschauer sie mühelos verstehen konnte. Der Sport transportierte eine zweifache Bedeutung: Indem er auch den Körper involvierte, zeigte er die rückhaltlose Einbeziehung der ganzen Person an; indem er für die feine Abstimmung kollektiver Bewegungen sorgte, wurde er zum Symbol eines harmonischen Miteinanders. Die Jugendlichkeit der Akteure vermittelte, dass der Republik die Zukunft gehörte und es möglich sein würde, die alten Feindschaften zu überwinden - die Inszenierungen Redslobs, obwohl oft auch nationalpolitisch brisanten Themen verpflichtet, kamen ohne Feindbilder aus.
In der NS-Zeit erwies sich relativ schnell, dass die Wiedererweckung der vermeintlich germanisch-deutschen Tradition des Thingspiels keine Perspektive bot. Stattdessen setzten sich in der Festkultur die 'modernen' Formen durch, die in der Zeit vor 1933 die offiziösen Feiern der Weimarer Republik und die Festveranstaltungen der Arbeiterbewegung geprägt hatten. Wie eng der Konnex sein konnte, bewiesen die Olympischen Spiele von 1936 in Berlin. Das Festspiel "Olympische Jugend", das am Abend des Eröffnungstages aufgeführt wurde, setzte an zentraler Stelle den Schlusschor aus Beethovens Neunter Sinfonie ein; elf Jahre zuvor war bei der Arbeiterolympiade in Frankfurt am Main ebenso verfahren worden. Die Massen jugendlicher Sportler, die das Festspiel bestritten und auf dem Rasen des Olympiastadions mit ihren Bewegungen eine Geschichte von Kampf, Leid und Versöhnung erzählten, hätten einer Veranstaltung des Reichsbanners entsprungen sein können. Tatsächlich tauschte sich der Organisator der Spiele, Carl Diem, mit dem 1933 kaltgestellten Redslob über seine Vorgehensweise aus.
Das Deutsche Turn- und Sportfest von 1938 in Breslau zeigte bereits an, so die These der Verfasserin, dass die kreative Kraft des Nationalsozialismus bei der Inszenierung von Massenveranstaltungen erlahmt war. Der Anschluss Österreichs wurde dort in ebenso konventionellen Formen gefeiert, wie man die 'Bitte' der Sudetendeutschen um den Schutz des Reiches symbolisch zum Ausdruck brachte. - Ein letztes analytisches Kapitel des Buches bezieht noch die lokale Ebene mit ein. Die Aktivitäten des Reichsbanners während der Weimarer Jahre werden ebenso untersucht wie die NS-Festkultur in der 'Provinz'. Dabei erweist sich die starke Beharrungskraft traditioneller Formen des Volksvergnügens, gegen welche weder die republikanischen noch die nationalsozialistischen Initiativen zur Etablierung 'politischer' Feiern allzu viel ausrichten konnten.
Wenn man im Hinblick auf die grundsätzliche symbolische Selbstdarstellung von Weimarer Republik und NS-Staat gegen eine Zäsurthese eine Kontinuitätsthese stark machen will, kann es nicht ausbleiben, dass manche Ähnlichkeiten überakzentuiert und manche Unähnlichkeiten stattdessen heruntergespielt werden. Besonders deutlich wird dieser Effekt in dem Kapitel über die Berliner Spiele von 1936. Das von der Verfasserin in den Mittelpunkt gerückte Festspiel "Olympische Jugend" war nur ein Teil des Programms am Eröffnungstag der Spiele, zu deren Gestaltung auch noch viele andere Komponenten gehörten. Die Stadt Berlin stand im Zeichen der NS-Propaganda, und diese Rahmung wirkte sich auch auf die Wahrnehmung der Geschehnisse auf der Olympiaanlage aus, in die folglich veränderte Bedeutungen hineingesehen wurden. Der Sinngehalt von Symbolen wird immer von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst, von den Vorkenntnissen der Kommunizierenden über die jeweilige Kombination mit anderen Symbolen bis zu den Kontexten, welche die Kommunikation rahmen. Die Ähnlichkeit der Signifikanten allein ist weit weniger aussagekräftig, als die Verfasserin häufig unterstellt. Dennoch kann der Studie bescheinigt werden, einen wichtigen Forschungsbeitrag geleistet zu haben - vor allem dadurch, dass sie eingeschliffenen Sichtweisen mutig widerspricht und überraschende Verbindungen zwischen vermeintlich disparaten Realitätsbereichen herstellt.
Frank Becker