Rezension über:

Eva-Maria Schnurr: Religionskonflikt und Öffentlichkeit. Eine Mediengeschichte des Kölner Kriegs (1582 bis 1590) (= Rheinisches Archiv; 154), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2009, 625 S., ISBN 978-3-412-20395-5, EUR 69,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Axel Gotthard
Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Axel Gotthard: Rezension von: Eva-Maria Schnurr: Religionskonflikt und Öffentlichkeit. Eine Mediengeschichte des Kölner Kriegs (1582 bis 1590), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 9 [15.09.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/09/18292.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Eva-Maria Schnurr: Religionskonflikt und Öffentlichkeit

Textgröße: A A A

Die Autorin analysiert das den Kölner Krieg flankierende deutschsprachige Tagesschrifttum - Neue Zeitungen, Flugschriften, Messrelationen. Sie ermittelte 78 Erst- und 104 Nachdrucke.

Es ist kein vorrangiges Ziel der Studie, dem Kölner Krieg speziell oder dem in jenen Jahren eskalierenden Interpretationskrieg um die Ausdeutung des Augsburger Religionsfriedens neue Farben zu geben, sie will vielmehr die Mediengeschichte des späten 16. Jahrhunderts schärfer konturieren. Noch nicht einmal die "öffentliche Meinung" zum Kölner Geschehen interessiere sie, erklärt die Autorin. Die heikle Debatte, inwiefern wir von Flugschriften auf ein gleichsam typisches, in den lesenden Eliten verbreitetes Meinungsspektrum rückschließen können, wird also nicht einmal angeschnitten. Alle Fragestellungen sind dezidiert mediengeschichtlich: eruierbare Autoren, Gattungsprofile, Entwicklungspotentiale im Rahmen einer Archäologie der modernen Zeitung. Auf diesem eng umrissenen Feld vermag die Autorin einige recht interessante Resultate vorzuweisen.

In funktionaler Hinsicht kann Schnurr zwei klar umrissene "Teilöffentlichkeiten" profilieren: eine "stäker informierende" und eine - wie Schnurr das nennt - "stärker legitimierende" (hier stehen Bewertungen, Deutungsangebote, Versuche der Meinungsbildung im Vordergrund). Solang der Ausgang des Konflikts offen schien, dominierte "legitimierendes" Schrifttum, danach die Kriegsberichterstattung. Ausschließlich "informierend" seien die halbjährlich zu den Frankfurter Messen im Frühjahr und Herbst erscheinenden Messrelationen, eine ihrer Periodizität wegen interessante Vorform zur Zeitung, die während des Kölner Kriegs entwickelt wurde und anfänglich ausschließlich über dessen Verlauf berichtete. Die Flugschriften seien hauptsächlich "legitimierend", in den (noch punktuell infolge bestimmter Ereignisse, nicht regelmäßig erscheinenden) Neuen Zeitungen stehe beides in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander. Sollten meinungsbeeinflussende Schriften von außen auf das mittelrheinische Geschehen wirken, trugen informierende Drucke Neuigkeiten aus Köln heraus vor ein überregionales Publikum. Die Autorin kann ältere Ansichten, wonach es eine "funktionelle Medientrennung" (399) im 16. Jahrhundert noch nicht gegeben habe, überzeugend widerlegen.

Problematisch ist die im Zusammenhang damit geäußerte Annahme einer fortschreitenden Uniformierung der Flugschriften. Diese seien einander vom Autorenkreis, von der Schreibhaltung und vom anvisierten Adressatenkreis her immer ähnlicher geworden. Die Autorin vermutet für ihr Textkorpus häufiger als zuvor üblich obrigkeitliche Ermunterung; sie stieß in ihrem Untersuchungszeitraum nicht auf die aus der Reformationszeit bekannten Dialoge, Satiren oder Parodien, auf wenige Predigten nur; und sie konstatiert, dass sich fast alle Flugschriften von der stilistischen Komplexität her an regelmäßige, gar geübte Leser gewandt hätten. Diese drei Entwicklungstrends extrapoliert sie in den Dreißigjährigen Krieg hinein, nun seien "fast ausschließlich Staatsschriften" erschienen (485). Wer sich je in die üppige, stilistisch überwältigend reichhaltige Flugschriftenliteratur der 1620er und 1630er Jahre, mit ihren oft skurrilen Dialogen, den vielen satirischen und parodistischen Elementen, in die zahlreichen Spottlieder, in die nicht minder zahlreichen gedruckten Predigten und Gebete dieser Jahre vertieft hat, weiß, dass diese vermeintliche Entwicklungslinie nicht triftig ist.

Wohl verweist eine weitere Beobachtung Schnurrs auf den Dreißigjährigen Krieg voraus, aber auch auf den Schmalkaldischen Krieg zurück: Es überwiegen bei den meinungsfreudigen Schriften deutlich evangelische Autoren. Woran mag es liegen? Es ist mutmaßlich ein Zeichen evangelischer Schwäche. Den Katholiken genügten ihre im politischen System des Reiches angelegten strukturellen Vorteile, und der Kaiser konnte sein amtsgegebenes Charisma nur beschädigen, wenn er sich in die Niederungen der Pamphletistik begab. Und es ist mutmaßlich ein Zeichen evangelischer Zerrissenheit, dass es evangelische Autoren für notwendig hielten, lautstark unentwegte existenzgefährdende Attacken von außen zu geißeln, nur so konnten Lehrdifferenzen zwischen Calvinisten und Lutheranern, damit korrespondierende divergierende Politikstile überwölbt werden. Publizistische Regsamkeit sollte legitimatorische Defizite und geringe Homogenität kompensieren: Das sind die dem Rezensenten plausiblen Gründe. Schnurr macht indes andere namhaft. Zum einen seien "deshalb so wenig katholische Drucke erschienen, weil diese Seite sich im Recht fühlte", es handle sich um den Effekt des "sich-im-Recht-Fühlens" (364, 309). Dem muss man wohl entgegenhalten, dass sich damals beide Seiten notorisch im Recht fühlten, weil "das Recht" das vom Religionsfrieden vorgegebene Medium des diskursiven Austauschs war, während tatsächlich nicht um Paragraphen, sondern um Wahrheit und Seelenheil gerungen wurde. Zweitens vermutet Schnurr, "mit der Betonung der persönlichen Gewissensfreiheit" (freilich: die "freystellung" des individuellen Gewissens war im evangelischen Lager nie mehrheitsfähig!) und "dem Sola-Scriptura-Prinzip" seien Protestanten "diesem Gedanken eines eigenen Urteils über strittige Positionen prinzipiell näher" gestanden "als die katholische Seite" (455).

Um "Krieg und Frieden" kreisende Fragen entschied ein kleiner Kreis von mit den "Arcana" des Staatswesens vertrauten Berufspolitikern. Warum floss dann bei der Guerre de la plume so viel Tinte? Diese Frage bleibt bei Schnurr so unklar wie in anderen mediengeschichtlichen Arbeiten der letzten Jahre. Schon viele Hürden im Vorfeld scheinen schwer überwindbar. Wer sind die Autoren? Viele Flugschriften wirken offiziös, aber wirklich wissen können wir das selten ("liegt nahe", "ist zu vermuten"). Von wem wurden sie warum gelesen? Die meisten Flugschriften zum Kölner Krieg setzen außer guter Lesefähigkeit Wissen voraus, aber was hat das zu besagen? Der "intermedialen Kommunikation" auf der Spur, deutet es Schnurr als Indiz dafür, dass "die grundsätzliche Informierung" (401) anderswo, insbesondere in mündlichen Kommunikationszusammenhängen stattgefunden habe, Flugschriften bauten darauf auf. In einem anderen Kapitel firmieren dieselben Texteigenschaften als Indizien dafür, dass lediglich "geübte Leser" oder doch "regelmäßige Leser" anvisiert waren (214, 216). Wieder anderswo lesen wir, die Obrigkeit habe ihr Tun offensichtlich vor "der breiten Bevölkerung" rechtfertigen und um "deren Unterstützung" werben müssen (359), aber warum eigentlich? Publikationen hätten versucht, "auf politische Entscheidungen einzuwirken" (480), vermutet Schnurr, hätten "die Obrigkeiten [...] unter Handlungsdruck gesetzt" (439). Aber stimmt das? Wollten etwaige hochadelige Auftraggeber in einem viel allgemeineren Sinne Leumund und Ehre bei ihren Standesgenossen retten oder aufbessern, ging es also um Selbstdarstellung, um das Renommee bei Mit- und Nachwelt? Durch die ganze Studie zieht sich das sichtlich enttäuschte, immerhin ehrliche Erstaunen der Autorin, dass die rege Publizistik so gar nicht auf den praktischen Politikbetrieb durchgeschlagen habe, alles sei "politisch folgenlos" geblieben (464), die evangelische Seite habe die "angestrebte Deutungshoheit" einfach nicht erreicht (486). Ging es darum überhaupt, bildeten sich die eifernd evangelischen Autoren tatsächlich ein, mit ihren schäumenden Suaden katholische Leser zu beeindrucken? Wollten sie nicht eher die eigenen Reihen beisammen halten? Solchen Fragen muss die Forschung auf der Spur bleiben.

Axel Gotthard