Rezension über:

Richard A. Goldthwaite: The Economy of Renaissance Florence, Baltimore / London: The Johns Hopkins University Press 2009, XVIII + 649 S., ISBN 978-0-8018-8982-0, GBP 29,00
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Rezension von:
Heinrich Lang
Lehrstuhl für Neuere Geschichte, Otto-Friedrich-Universität, Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Lang: Rezension von: Richard A. Goldthwaite: The Economy of Renaissance Florence, Baltimore / London: The Johns Hopkins University Press 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 10 [15.10.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/10/16144.html


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Richard A. Goldthwaite: The Economy of Renaissance Florence

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Die Stadtrepublik Florenz gilt wenn nicht als eine Protagonistin der kommerziellen Revolution des Hochmittelalters, so doch als Wiege des Protokapitalismus in der Renaissance. Erstaunlich scheint es, dass bisher keine synthetisierende Überblicksdarstellung zum Thema verfasst worden ist. Dies mag sich einerseits aus der ebenso disparaten wie unübersichtlichen Forschungslage erklären, andererseits mit der mangelnden wirtschaftshistorischen Tiefenschärfe seitens der Politik-, Sozial- und Kunstgeschichte der Florenz-Forschung zu begründen sein.

Der US-Amerikaner Richard A. Goldthwaite gilt als profunder Kenner der florentinischen Wirtschaftsgeschichte. Seit über vierzig Jahren hat er Grundlagenwerke zur Vermögensentwicklung der Florentiner Oberschicht, zu einzelnen Handelsgesellschaften oder Phasen ökonomischer Entwicklungen, zu verschiedenen Sektoren der handwerklichen und gewerblichen Produktion, zur Bankwirtschaft und zum Kunstmarkt geschrieben. Mit The Economy of Renaissance Florence legt er nicht nur ein Resümee seiner eigenen Forschungen vor, sondern arbeitet auch die Literatur zur Florentiner Wirtschaftsgeschichte auf. Dabei kommt ihm das Verdienst zu, einen systematischen Überblick in einem Bogen von den dokumentierten Anfängen im 11. Jahrhundert bis zum Dreißigjährigen Krieg zu schlagen und somit langfristige Wandlungsprozesse einleuchtend erklären zu können, denn der Großteil der bisherigen Forschungen bezieht sich auf das 14. und 15. Jahrhundert. Dieser Befund ist allerdings mitnichten auf die Struktur der archivalischen Überlieferung zurückzuführen. Vielmehr treten bemerkenswerte Lücken auf, die Goldthwaite benennt und zum Teil mit eigenen neueren Archivstudien füllt.

Die Einführung in die ambitioniert gefasste Thematik basiert auf drei wesentlichen Beobachtungen: Erstens kann die frühe Prosperität der Florentiner Republik im 11. und 12. Jahrhundert nur phänomenologisch mit der demographischen Expansion der Stadt begründet werden. Die bis ins 14. Jahrhundert schnell anwachsende Bevölkerung der Stadt muss zum einen ausreichende Versorgung erfahren und genügend Möglichkeiten zum Arbeiten gefunden haben. Zweitens schuf die schließlich einkehrende relative politische Stabilität den Rahmen für wirtschaftliche Entwicklung. Zwei unterschiedliche langfristige Prozesse - die Selbstbehauptung der Stadt als Stadtrepublik gegen den kaiserlichen Zugriff sowie gegen andere Mächte Italiens und die Behauptung eines merkantilen Patriziats gegenüber adligen Clans - mündeten in eine oligarchisch dominierte Zunftverfassung. Drittens stellt die geographisch mehrschichtige Ausdehnung des Netzwerks des Florentiner Handels den augenfälligsten Indikator des jeweiligen Entwicklungsstandes der Florentiner Wirtschaft dar. Während die Integration des Florentiner Hinterlandes in die urbane Ökonomie die regionale Ebene des Florentiner Netzwerkes abbildet, zeigt die auswärtige Ausdehnung des Netzwerks (network abroad) die Bedeutung von Florenz als Handelsmacht - eine entscheidende Interpretation, weil sich die Metropole am Arno niemals selbst zu einem wirtschaftlichen Gateway wie Lyon, Brügge, Antwerpen oder Amsterdam entwickelte.

Diese drei Aspekte - der phänomenologische Begriff ökonomischer Prozesse, die politischen Rahmenbedingungen und die Ausdehnung des Florentiner Netzwerkes - stecken den Interpretationsrahmen für die Analyse in jedem Kapitel ab. Die tragende Perspektive ist dabei die Entwicklung des über Florenz hinausführenden Netzwerkes, in dem die drei Geschäftsfelder commerce, banking und government finance die wesentlichen Mechanismen der Verknüpfung hervorbrachten. Aus dieser Blickrichtung ergibt sich, so Goldthwaite, eine vierteilige, in den einzelnen Abschnitten aufgegriffene Periodisierung des Untersuchungszeitraumes: Zunächst dehnte sich der Florentiner Handel bis ins 12. Jahrhundert in den Nahbereich aus und stieß an verschiedene Standorte in Italien (besonders Venedig) vor; in der Folge expandierte vor allem der Wollsektor nach Nordeuropa, bis die Bankenkrise und der Schwarze Tod in den 1340er Jahren einen Einbruch bewirkten; von da an erholte sich das Florentiner Netzwerk wieder, zeigte sich durch das 15. Jahrhundert hindurch besonders vital und erreichte seine größte Ausdehnung; schließlich war das 16. Jahrhundert von der Schrumpfung des Handelsnetzwerkes geprägt, die sowohl einem Zurückweichen vor anderen Handelsnetzwerken als auch einer Regionalisierung entsprach.

Die Stärken der Darstellung liegen in dem jederzeit eingesetzten, durch eigene Forschungen fundierten Wissen über Vertriebswege, Organisationsformen und Instrumente des internationalen Handels. Goldthwaite denkt seinen Aufriss der Wirtschaftsgeschichte der Florentiner Renaissance von den internationalen Netzwerken der Merchant bankers und ihrer Rolle bei der Vermittlung von Angebot und Nachfrage her. Der erste Hauptteil des Buches beschäftigt sich folgerichtig mit den für das Handelsnetzwerk konstitutiven Technologien, den Strukturen der Handelsgesellschaften, den Vernetzungsmustern sowie der Reichweite des geschäftlichen und unternehmerischen Agierens Florentiner Kaufmannbankiers. Die wohl markanteste These hinsichtlich der Zugkraft Florentiner Netzwerke, des innovativen Potentials des Banken- und Kreditsektors und der Expansion des internationalen Handels mit Seide und Wolle ist, dass die Florentiner gegenüber anderen nationes bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts zwar wiederholt eine führende Position einnahmen, niemals aber marktbeherrschenden oder gar kontrollierenden Einfluss gewannen.

Allerdings wohnt den Stärken der Darstellung zugleich eine wesentliche Schwäche inne: Die gewerbliche Produktion der städtischen Wirtschaft, die vor allem durch die Fertigungssektoren von Woll- und Seidentuchen im zweiten Hauptteil beschrieben wird, erscheint in der Perspektive des internationalen Netzwerkes der Florentiner Merchant bankers. Dementsprechend stechen vor allem die auf der Ebene des lokalen Gewerbes und des Handwerks auftauchenden business partnerships sowie Buchhaltungstechniken und Praktiken der Kreditwirtschaft ins Auge. Irritierend ist insofern die Abrundung der Darstellung mit einem Kapitel "Contexts", in dem soziale und ökonomische Prozesse innerhalb der städtischen Gesellschaft über die Kategorien von Konsumverhalten und Armut verknüpft, Fiskalpolitik und Steuerwesen eingeführt sowie das Verhältnis von Zentrum und Peripherie diskutiert werden - vieles davon hätte man als "Kontext" zu Beginn des Buches erwarten können.

Ein spannendes Kapitel entfaltet sich unter der Überschrift des "Local Banking". Hier stellt Goldthwaite die unterschiedlichen Ebenen innerstädtischer Kreditsysteme zwischen Pfandhäusern, jüdischen Banken, Depositenbanken und Staatsanleihen vor. Die markanteste Entwicklung war der Wandel von Anleihebanken wie dem Monte di Pietà zu savings-and-loan-Banken mit der Aufgabe, die Nachfrage nach Kleinkrediten innerhalb der städtischen Gesellschaft zu stillen.

Das Schlusskapitel dient zum Anstoß weiterer Debatten. Zum einen konstatiert Goldthwaite hier die Florentiner Eigenheit, dass die im Handel reich gewordenen Patrizierfamilien zumindest bis ins 17. Jahrhundert kaum Ambitionen hegten, sich als nobilitierte gentry gänzlich auf das Land zurückzuziehen, sondern gute Teile ihres Vermögens auch weiterhin aus geschäftlicher oder sogar unternehmerischer Aktivität gewannen. Zum anderen stellt er infrage, inwieweit die Florentiner über ein Renaissance-spezifisches Wirtschaftsethos verfügten. Die von kapitalistischen Prinzipien durchsetzte Florentiner Gesellschaft habe indes kein Konkurrenz-Gebaren erzeugt, vielmehr habe sich korporatives Verhalten als grundlegendes Prinzip ökonomischen Handelns etabliert.

Richard Goldthwaite ist ein Referenzwerk für die bisher nicht umfassend dargestellte Florentiner Wirtschaftsgeschichte der Renaissance gelungen, wiewohl der im ersten Satz formulierte Anspruch, die Inspektion der Ökonomie von Florenz öffne den Ausblick auf ganz Europa ("a perspective on all of Europe", xi), nicht wirklich eingelöst werden kann. Dennoch hat Goldthwaite ein wichtiges Kapitel zur Geschichte des europäischen Handels und Bankwesens geschrieben.

Heinrich Lang