Eckart Conze: Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München: Siedler 2009, 1071 S., ISBN 978-3-88680-919-6, EUR 39,95
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Wer nach Gesamtdarstellungen zur Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sucht, kann unter einer größeren Anzahl von Werken auswählen. Sie sind erschienen als Teil zeitlich übergreifender deutscher Geschichten (Hans-Ulrich Wehler und Heinrich August Winkler), als Werke, in denen auch die DDR mehr oder weniger ausführlich abgehandelt wird (Manfred Görtemaker, Heinrich August Winkler) oder auch als Studien, die allein die Geschichte der Bundesrepublik darstellen und die Geschichte der DDR überhaupt nicht oder nur am Rand (Peter Graf Kielmansegg, Hans-Ulrich Wehler) in den Blick nehmen. Es gibt Autoren, die sich mit allgemein gefassten Titeln begnügen (Manfred Görtemaker, Peter Graf Kielmansegg, Hans-Ulrich Wehler), aber auch solche, die ihr Paradigma bereits im Titel nennen (Heinrich August Winkler, Edgar Wolfrum, Eckart Conze).
Einem der zuletzt genannten Werke gilt diese Rezension. Eckart Conze hat seine "Geschichte der Bundesrepublik von 1949 bis in die Gegenwart" unter die Überschrift "Die Suche nach Sicherheit" gestellt. Er hat dies mit der Absicht getan - wie er bereits in einem Aufsatz aus dem Jahr 2005 formuliert hat -, mit diesem "analytischen Leitbegriff" die Geschichte der Bundesrepublik zu erfassen und zu deuten. Obwohl in der Geschichte der Bundesrepublik der Sicherheitsaspekt eine große, wenn nicht zentrale Rolle gespielt hat und bis heute spielt - außenpolitisch in der Bündnispolitik im Kalten Krieg, innen- und außenpolitisch im Kampf gegen den Terrorismus und in den Maßnahmen gegen den Klimawandel und die Gefährdungen durch die Hochtechnologie, schließlich in der Gestaltung des Sozialstaats und dem Versuch zur Kontrolle der Finanzmärkte - geht die Geschichte der Bundesrepublik hierin nicht auf. Dies erschließt sich dem Leser auch bei der Lektüre von Conzes Buch, in dem ebenfalls Aspekte behandelt werden, die mit dem Sicherheitsparadigma nicht erfasst werden können. Hinzuweisen ist z. B. auf den gesellschaftlichen und kulturellen Wandel, die Struktur und Veränderungen des politischen Systems und seiner Institutionen und die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.
Gerade letztere hält auch Conze für zentral, wenn er bereits eingangs feststellt: "Die Geschichte Deutschlands und der Deutschen liegt im Schatten des Nationalsozialismus und so ist sie auch mehr als sechs Jahrzehnte später zu schreiben" (14). So ist es folgerichtig, dass Conze im Verlauf seiner Darstellung auch immer wieder auf dieses Problem zu sprechen kommt. Obwohl Versuche zur Differenzierung durchaus festzustellen sind, fällt sein Urteil zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in den 1950er Jahren ausgesprochen kritisch aus. Dabei vergreift er sich bisweilen in der Terminologie, so z. B. wenn er Adenauers Staatssekretär Hans Globke als "belasteten Nationalsozialisten" bezeichnet (221). Auch ist Globke nicht vorzeitig aus dem Amt geschieden (258), und die Schilderung des vorzeitigen Ausscheidens von Heinrich Lübke aus dem Bundespräsidentenamt ist ebenfalls fehlerhaft, da es allein auf dessen Demenz und nicht auf die auf Fälschungen beruhenden Angriffe des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR zurückgeführt wird (267). Im Gegensatz zum Urteil Conzes sind auch in vielen anderen Fällen die Belastungsvorwürfe des MfS gegen Politiker, Beamte und Richter in der Bundesrepublik mit größerer Vorsicht zu behandeln, als Conze glaubt (222), da sie in erster Linie dazu dienen sollten, die Bonner Demokratie in Misskredit zu bringen.
Auf den meisten anderen Feldern bewegt sich Conze jedoch sicherer und seine Urteile vermögen in vielen Fällen zu überzeugen. Das gilt z. B. für die Ablehnung der These, dass Ende der 1960er Jahre eine "Umgründung" der Republik stattgefunden habe (227). Dagegen vertritt er die Auffassung, dass sich die Bundesrepublik in den 1960er Jahren "grundlegend gewandelt" habe (356). Damit verbunden ist eine positive Würdigung der "Flakhelfergeneration", deren Beitrag zur Liberalisierung höher veranschlagt wird als der der "1968er" (277). Zum Nachdenken regt die These des Verfassers an, dass "der deutsche Sozialstaat [...] nach der Wiedervereinigung und im Zuge der Integration Ostdeutschlands eher stabilisiert als abgebaut" wurde (725). Erstaunlich ist die positive Würdigung des Konzepts der "formierten Gesellschaft" von Ludwig Erhard (283).
Conzes Darstellung vermag den Verlauf der bundesdeutschen Geschichte insgesamt knapp und differenziert zu entfalten. Dabei hält sich Conze im Wesentlichen an eine chronologische Erzählung, wobei innerhalb der einzelnen zeitlichen Phasen sachliche Schwerpunkte gebildet werden. So behält der Leser stets die Orientierung, und über weite Strecken bietet das Werk reines Lesevergnügen. Zu loben ist dabei, dass Conze seine Erörterungen bis in das 21. Jahrhundert führt und sie mit den Problemen der Gegenwart verbindet. Damit geraten insbesondere die Wiedervereinigung und ihre Folgen ins Blickfeld, die aus der "Bonner" Republik die "Berliner" Republik gemacht haben.
Das Werk Conzes verdient Respekt, und es wird in den nächsten Jahren als Lehrbuch einen wichtigen Platz einnehmen. Wie auch die anderen eingangs erwähnten Gesamtdarstellungen bietet es keine neuen Forschungserträge, sondern referiert den Forschungsstand. Kritisch ist dabei jedoch anzumerken, dass Conze oft nicht auf edierte Quellen oder die Forschungsliteratur selbst zurückgreift, sondern sich lediglich aus zweiter Hand bedient.
Udo Wengst