Gideon Botsch: Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis heute (= Geschichte kompakt), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2012, VIII + 152 S., ISBN 978-3-534-23832-3, EUR 14,90
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Die Enthüllungen im Zusammenhang mit dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) haben die deutsche Öffentlichkeit aufgerüttelt und das Thema des Rechtsterrorismus verstärkt in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Auch der Potsdamer Politikwissenschaftler Gideon Botsch greift diese Ereignisse auf und ordnete sie in die Geschichte der bundesdeutschen extremen Rechten ein. Wie bereits in seiner Dissertation bewegt sich Botsch damit thematisch an der Schnittstelle von Politikwissenschaft und Zeitgeschichtsforschung. [1] Das in der Reihe "Geschichte kompakt" erschienene Werk gliedert sich in drei chronologisch geordnete Kapitel, welche die Phasen zwischen 1949 und 1969, von 1970 bis 1989 und von 1990 bis 2009 behandeln, und folgt einem akteurszentrierten Ansatz. Botsch untersucht Parteien und politische Gruppierungen, Jugendorganisationen sowie Kulturinitiativen wie Verlage oder Bildungsprojekte. Zwar nimmt die Darstellung der verschiedenen Handlungsträger den größten Raum ein, aber ihre Interaktion wird doch an vielen Stellen deutlich. Die gesellschaftlichen Reaktionen auf die extreme Rechte oder ihre Wählerschaft werden dagegen nicht behandelt.
Unter dem Begriff der extremen Rechten versteht Botsch einen kollektiven politischen Akteur, der sich in eine politische Bewegung und in ein lebensweltliches Milieu aufteilt. Dabei wechseln gerade die Aktivisten der politischen Bewegung in Form einer "Doppelhelix" (3) zwischen beiden Bereichen hin und her. Auf Mobilisierungswellen, in denen es den Parteien kurzzeitig gelang, eine größere Wählerschaft zu erreichen, folgten längere Phasen, für die ein Rückzug in das lebensweltliche Milieu charakteristisch war, wo an einer Neuausrichtung der politischen Bewegung gearbeitet wurde. Ein weiterer Zyklus ergab sich aus dem Bemühen, Akteure aus anderen Bereichen, etwa dem neonazistischen Milieu, in die politische Bewegung einzubinden. Dieses Schwanken zwischen Integration und Desintegration von politischer Bewegung und Lebenswelt ist eines der zentralen Motive der gesamten Darstellung.
Zwei Ereignisse sind für die erste Phase zwischen 1949 und 1969 von hoher Bedeutung: Zum einen das Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) im Jahr 1952 und zum anderen das knappe Scheitern der NPD an der Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl 1969. Damit endete eine Sammlungsbewegung auf der politischen Ebene, die mit der Gründung der NPD im Jahr 1964 begonnen hatte. Nach einer Periode der großen Zersplitterung war in den 1960er Jahren somit eine erste Hochphase zu beobachten. Diese betraf nicht nur die politische Bewegung, sondern auch den kulturellen Bereich. Hier wurden bis heute einflussreiche Unternehmen wie zum Beispiel der Tübinger Grabert-Verlag gegründet.
Zwischen 1970 und 1989 zerfaserte die politische Bewegung in diverse Stränge. Mit der Deutschen Volksunion (1971) und den Republikanern (1983) etablierten sich zwei weitere Parteien im rechten Spektrum. Was die NPD betrifft, so waren in dieser Phase der Desintegration besonders die Jungen Nationaldemokraten und der Nationaldemokratische Hochschulbund die treibenden Kräfte einer programmatischen Erneuerung. Der Prozess der Diversifizierung ist auch auf der Ebene der Jugendorganisationen zu beobachten. Teile dieser neuen Organisationen wurden stark von der sogenannten Neuen Rechten beeinflusst, in deren Umfeld wichtige Publikationsorgane wie die "Junge Freiheit" entstanden.´
Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten leitete die dritte Phase ein, die vom Wiederaufstieg der NPD zur vorherrschenden Partei in der extremen Rechten geprägt wurde. Sie setzte seit Mitte der 1990er Jahre auf eine integrierende Strategie, die den vorpolitischen Raum wieder verstärkt in ihre Aktivitäten einbezog. Hierbei spielten abermals die Jungen Nationaldemokraten eine wichtige Rolle, da sie als Sammlungsbecken für andere, teils verbotene Jugendorganisationen fungierten. Die Konzentration auf der Parteienebene wurde von einem Strukturwandel lebensweltlicher Vereinigungen begleitet. Es entstanden die "Freien Kameradschaften", die neben einer fluiden, nur schwer fassbaren Struktur auch eine größere Gewaltbereitschaft aufweisen.
Am Ende seines Buches kommt der Autor auf die NSU zu sprechen, die symptomatisch für einen nochmals gewalttätigeren Neonazismus sowie für eine organisatorische Neuausrichtung des rechtsextremen politischen Spektrums sein könne. Dies führt ihn zu der Vermutung, dass der Beginn des gegenwärtigen Jahrzehnts möglicherweise eine neue Zäsur darstelle.
Botsch legt die erste Gesamtdarstellung über die Geschichte der extremen Rechten in der Bundesrepublik vor. Er erhebt den Anspruch, anhand der Auseinandersetzung mit dieser Minderheit in der deutschen Gesellschaft einen Beitrag zum Verständnis der Geschichte der Bundesrepublik insgesamt zu leisten. Sein primär politikgeschichtlicher Ansatz wird durch die Betrachtung der Kulturinitiativen auch auf den vorpolitischen Raum ausgedehnt und stellenweise um ideengeschichtliche Anknüpfungspunkte erweitert.
Das Buch überzeugt, weil der Autor die extreme Rechte nicht isoliert betrachtet, sondern die Entwicklungen innerhalb der Szene vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher und transnationaler Prozesse verortet. Auch die Erweiterung des Blickfelds auf ideengeschichtliche Vordenker des 19. Jahrhunderts und jener aus dem Kreis der völkischen Bewegung der Zwischenkriegszeit ermöglichen die Einordnung in einen größeren Rahmen. Botsch weiß die knapp sechzig Jahre des Untersuchungszeitraums überzeugend zu periodisieren und die Vielfalt der Akteure detailliert und kenntnisreich darzustellen.
Eben diese Detailfülle erschwert jedoch stellenweise die Lektüre. Andere Perspektiven, wie zum Beispiel Gender-Aspekte, finden nur am Rande Erwähnung, obwohl sie für die Deutung der Entwicklung der Szene weitere wichtige Hinweise hätten liefern können. Da das Buch als Einführungswerk konzipiert ist, wäre eine ausführlichere Bibliographie wünschenswert gewesen.
Es bleibt festzuhalten, dass Gideon Botsch ein gelungenes Überblickswerk vorgelegt hat, das Studierenden und Lehrenden einen fundierten Einstieg in die Thematik erlaubt. Die komplexen Beziehungsnetze der unterschiedlichen Akteure werden ausführlich dargestellt und an vielen Stellen vor einem weiteren Hintergrund erläutert. Die klare Gliederung, die sorgfältigen Register zu Personen, Organisationen, Verlagen und Periodika erleichtern die Benutzung und ermöglichen eine schnelle Orientierung.
Anmerkung:
[1] Gideon Botsch: "Politische Wissenschaft" im Zweiten Weltkrieg. Die "Deutschen Auslandswissenschaften" im Einsatz 1940-1945, Paderborn u.a. 2006.
Lars Legath