Robert Suckale: Die Erneuerung der Malkunst vor Dürer (= Historischer Verein Bamberg (für die Pflege der Geschichte des ehemaligen Fürstbistums) e.V. Schriftenreihe; Bd. 44), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2009, 463 + 320 S., ISBN 978-3-86568-130-0, EUR 150,00
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"Am Anfang war Pleydenwurff [...]" - so ungefähr könnte die Geschichte der Nürnberger Tafelmalerei im späten Mittelalter beginnen. Und enden mit Albrecht Dürer als Pleydenwurffs ferner Erbe, dessen Name in einer teleologischen Art und Weise im Titel der vorliegenden Publikation steht, weil seine Vorgänger ihm entgegen der herrschenden Meinung neben einem harten Handwerk auch einiges mehr zu bieten hatten. Jedenfalls stellt die Nürnberger Tafelmalerei des späten 15. Jahrhunderts, deren Nennung in einem Untertitel des Buches zu wünschen wäre, ein wichtiges Kapitel der deutschen gotischen Malerei dar. Ihre ebenso im Buchtitel postulierte Erneuerung basierte auf einer reflektierten Rezeption der niederländischen Malerei, ohne zu deren bloßer Expositur zu werden, wie das etwa in Köln der Fall war. Außerdem entwickelte sie sich, nicht ohne den Vorteil, den Nürnberg als politisch sowie wirtschaftlich und kulturell führende Reichsstadt im Herzen des Heiligen Römischen Reichs genoss, zu einer einzigartigen kuntsgeschichtlichen Erscheinung, deren Einfluss vor allem weit nach Osten und Südosten reichte.
Die vorliegende, reichlich bebilderte und vorzüglich hergestellte Publikation ist Ergebnis eines großangelegten, an der Bamberger Universität angesiedelten Forschungsprojekts unter der Leitung von Robert Suckale, das die Tafelmalerei um Hans Pleydenwurff und Michael Wolgemut erfassen sollte. Aus unterschiedlichen, nicht zuletzt finanziellen Gründen wurde im Laufe der Zeit auf den ursprünglich geplanten Umfang des Projekts verzichtet. Die im zweiten Band des Buches vorgelegte Dokumentation umfasst katalogartig die Werke aus dem Umkreis Hans Pleydenwurffs und des in Bamberg tätigen Wolfgang Katzheimer. Der erste Band bringt hingegen Untersuchungen zum Phänomen der Nürnberger Tafelmalerei vor Dürer in unterschiedlichen, ineinandergreifenden kultur- und kunstgeschichtlichen Aspekten, welche der Autor, einer der methodisch gründlichsten Mediävisten der heutigen Kunstgeschichte, in seinen Forschungen auch sonst verfolgt.
Als Ausgangspunkt nimmt Suckale das Bildthema der volkreichen Kreuzigung, in dem er die theologisch-heilsgeschichtlich und bildkünstlerisch zentrale Aufgabe der deutschen Malerei in dieser Epoche erblickte. Der um 1456 zu datierende Kalvarienberg Hans Pleydenwurffs für den Bamberger Domherrn Georg von Löwenstein gab den Anlass, alle Fähigkeiten dieses Künstlers zu einer stilgerechten, aber auch eigenständigen Übernahme der Errungenschaften zu erörtern, welche die niederländische Malerei mit Rogier van der Weyden und Dierick Bouts entwickelt hatte. Einen zweiten Höhepunkt erreicht das Thema mit der Mitteltafel des Passionstriptychons in Leipzig-Stötteritz von ca. 1473, bereits durch Schongauersche Typen gekennzeichnet, die aber in der Lockerung der Figurenkomposition unter dem Kreuz ein in Nürnberg sonst nie rezipiertes Boutssches Empfinden für den Freiraum zutage legt. Ob derselbe, anonym bleibende Maler auch die Kreuzaufrichtung der National Gallery in Washington schuf, die durch denselben Formwillen charakterisiert wird, oder nicht, wie Suckale meint, muss dahin gestellt bleiben. Die sogenannte Tucher-Tafel in St. Sebald von 1485, die nach Suckale in der Werkstattgemeinschaft Katzheimers und des Monogrammisten LCz entstanden ist, kombiniert hingegen den Kalvarienberg mit einer großzügigen, durch Schongauer inspirierten Kreuztragung in der unteren Zone und rückt so die zu dieser Zeit neu erwachten Gefühle für den Leidensweg Christi in den Vordergrund.
Der zweite Teil ist Hans Pleydenwurff gewidmet, der, wohl aus Bamberg stammend, nach seiner Niederlassung in Nürnberg 1457 die führende Meisterposition der Stadt einnahm und die dortige Malerei grundlegend prägte. Anhand des Bildnisses des Domherrn Georg von Löwenstein und dessen Kalvarienbergtafel werden die Prinzipien seiner Kunst, auch in Konfrontation mit den Niederländern, klargelegt. Dem folgen Untersuchungen zu Pleydenwurffs eventuellen Handzeichnungen, die hier zum ersten Mal als solche zusammengestellt worden sind. In der Fortsetzung unternimmt Suckale einen Streifzug durch das übrige Werk Pleydenwurffs und eröffnet konkrete sowie methodische Fragen, ohne die das Funktionieren einer Malerwerkstätte des ausgehenden Mittelalters kaum verstanden werden kann. Sein Werkstattbetrieb war groß, sein persönlicher Anteil ist nur in den besten Partien der gelieferten Werke festzustellen. Demgegenüber gelang es Suckale, durch minuziöse visuelle Analysen die Hände einiger Schüler und Mitarbeiter auszusondern, die sich auch anderswo verfolgen lassen, unter anderem Hans Schüchlin in Ulm und den als Johannes Siebenbürger identifizierten Urheber des Wiener Schottenstiftretabels.
Der bedeutendste Maler, der durch die 'Schule' Pleydenwurffs gegangen war, ist Martin Schongauer. Die in letzter Zeit lauter gewordene Annahme von einem Aufenthalt Schongauers in Nürnberg während seiner Rückfahrt aus Leipzig, wo er sich 1465/1466 an der dortigen Artistenfakultät immatrikuliert hatte, gewann mit Suckale feste Umrisse. Die Reflexe Pleydenwurffscher Kunst in seinem Œuvre sind verblüffend und ändern in mancher Hinsicht unsere Vorstellungen von seinem Werdegang, selbst sein niederländisches Formengut scheint Schongauer weitgehend bereits in Nürnberg erworben zu haben. In der Fortsetzung dieses Teils befasst sich der Autor nun mit Pleydenwurffs Werkstätte nach dessen Tod 1472 und seinen Nachfolgern, wobei er sich vor allem beim Monogrammisten LCz aufhält.
Im vierten Teil kehrt Suckale nach Bamberg zurück und nimmt Wolfgang Katzheimer, den führenden Meister der Bischofsstadt von ca. 1465 bis zu seinem Tod 1508, und seine Werkstatt ins Visier. Weil Katzheimer als Künstler nur an den Holzschnitten der Bambergischen Halsgerichtsordnung von 1507 erweislich greifbar ist, stellte die Rekonstruktion seines Œuvres ein vages Unternehmen dar. Im gleichen akribischen Vorgang wie bei Pleydenwurff wird dieses nun gereinigt und auf eine firmere Basis gestellt.
In den übrigen fünf kürzeren, aber nicht minder wichtigen Teilen des Buches rollt Suckale einige allgemeine Fragen auf. Das Darstellen der Landschaft in der Malerei muss, wie anhand der theologischen Schriften gezeigt, aus der Begriffswelt des Mittelalters und nicht aus den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts, dabei aber auch differenziert betrachtet werden. Im fünften Teil bespricht der Autor unterschiedliche Aspekte der Landschaft, der Pflanzen, die er als deren Zier versteht, des Goldgrundes, der Landschaft der Hintergründe mit ihren Motiven, der Vedute und anderes mehr, an welches Dürer anknüpfen konnte. Der sechste Teil, betitelt mit "Signatur, Datierung, Selbstbildnis und die Entfaltung der Künstler im 15. Jahrhundert", befasst sich mit den Umständen, die das Wachsen des Selbstbewusstseins des Künstlers als Schaffender begleiten. Es folgen "Bemerkungen zum Verhältnis von Malerei und Theorie im 15. Jahrhundert", wo in Bezug auf die Bibel, die gregorianische Bilderlehre und die Antike einige Begriffskategorien wie Andachtsbild, Kultbild, Historienbild, Bildtypus, Bildfunktion, Stillage erörtert werden, mit denen man oft allzu leichtfertig umgeht. Im achten Teil steht das mittelalterliche Altarretabel mit seiner Bildanordnung im Mittelpunkt. In instruktiver Weise legt der Autor dar, nach welchen Prinzipien ein Retabel vom Inhalt der Bilder her strukturiert wird, wie man es ablesen soll und welche Funktion der einen oder anderen Bildanordnung in konkreten Fällen zukam. Zum Schluss werden die Fragen der Chronologie bei den in den Hauptteilen des Buches behandelten Meistern und Werken rekapituliert und Probleme kommentiert, die hauptsächlich aus den in der Vergangenheit zu späten Datierungen resultieren.
Suckale baut seine Schilderung der Nürnberger Malerei auf einem immensen, teilweise wenig bekannten oder sogar unbekannten Material auf, das im Zuge des oben genannten Projekts technologisch untersucht und detailliert aufgenommen worden war. Es versteht sich, dass in solchen Forschungen die visuelle Analyse eine entscheidende Rolle spielt. Das ist zwar keine Stilanalyse für sich allein im Sinne Heinrich Wölfflins, immerhin aber eine Stilanalyse, die in der heutigen Kunstgeschichte weitgehend in Verruf geraten ist und nur noch selten auf einem hinreichenden Niveau praktiziert wird. Suckale beherrscht sie meisterhaft, stets mit dem Vorsatz, was damit gezeigt oder bewiesen werden soll. Sein Vorgang, die Visualität eines Kunstwerks in die heute dominierenden kontextuellen Untersuchungen einzubetten oder umgekehrt, bleibt beispielhaft. Nicht zuletzt ist die bildende Kunst eine Kunst für die Augen und soll primär als solche behandelt werden.
Das vorliegende Buch Robert Suckales ist eine 'redigierte' Geschichte der Nürnberger (und Bamberger) Malerei der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, zugleich aber auch eine reiche Quelle von methodischen Gedanken und Anregungen für jedermann, der sich mit der bildenden Kunst dieser Epoche nördlich der Alpen befasst. Nicht jede Beobachtung oder Schlussfolgerung des Autors wird allgemeine Zustimmung finden, immer aber wird sie zu weiteren fruchtbaren Überlegungen führen.
Janez Höfler