James B.L. Mayall / Krishnan Srinivasan: Towards the New Horizon. World order in the 21st century, New Delhi: Standard Publishers 2009, 247 S., ISBN 978-81-87471-50-9, USD 37,50
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Ananda Bhattacharya (ed.): Bengal and 1857 (Selections), Kolkata: K.P. Bagchi & Company 2013
Manu Bhagavan (ed.): India and the Cold War, Chapel Hill, NC / London: University of North Carolina Press 2019
Srinath Raghavan: 1971. A Global History of the Creation of Bangladesh, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2013
Obwohl das neue Jahrtausend mittlerweile zehn Jahre alt und der Kalte Krieg Geschichte ist, gibt es noch immer keine Antwort auf die Frage nach der künftigen Ordnung der Welt. Die Debatten der 1990er Jahre mit den markanten Thesen von Francis Fukuyama und Samuel Huntington - hier das Ende der Geschichte, dort der Kampf der Kulturen - werden mit etwas verminderter Intensität weiter geführt, ohne dass die politischen Ereignisse bereits klare Hinweise darauf geben, in welche Richtung die weitere Entwicklung führen wird. Die Diskussion war von Anfang an weniger von nüchternen Analysen als von griffigen, teils provokanten Thesen geprägt. Entsprechend kurz war die Halbwertszeit mancher Veröffentlichungen, so dass etwa Paul Kennedys "In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert" bereits wieder weitgehend vergessen ist. Bemerkenswert war zudem, wie man die Welt jenseits der transatlantischen Gemeinschaft wahrnahm, in der anders als in Europa und Nordamerika weiterhin klassische Machtpolitik praktiziert und Kriege geführt wurden. Huntingtons Augenmerk galt insbesondere der islamischen Welt, die er als rückständig und aggressiv charakterisierte, wobei sich nicht übersehen ließ, wie wenig er von dieser wusste und wie fremd ihm auch die anderen Kulturkreise blieben, die er definiert hatte.
Gerade vor diesem Hintergrund darf es begrüßt werden, dass sich nun zwei Autoren zu Wort gemeldet haben, die zumindest teilweise diesen "anderen" Welten zugerechnet werden dürfen. James B.L. Mayall ist zwar Brite, der emeritierte Professor für internationale Beziehungen in Cambridge und an der London School of Economics hat aber zahlreiche Publikationen zur Entwicklungszusammenarbeit und zu Nord-Süd-Fragen vorgelegt; er erweist sich in seinem Beitrag zudem als exzellenter Kenner der Kolonialgeschichte sowie der südasiatischen Zeitgeschichte. Krishnan Srinivasan, ehemals Spitzendiplomat und Staatssekretär im indischen Außenministerium, hat sich im Ruhestand der Wissenschaft zugewandt und unter anderem eine lesenswerte Studie zum britischen Commonwealth verfasst, dessen Sekretär er zeitweilig war. Beiden gemeinsam ist, dass sie nicht an eine grundsätzlich neue Weltordnung, sondern an die Wiederkehr von Bekanntem glauben und dass sie in der amerikanischen Vorrangstellung ein zeitlich begrenztes Phänomen sehen.
Während sich Srinivasan dem internationalen Staatensystem widmet, befasst sich Mayall, ein ausgezeichneter Theoretiker, mit Gesellschaftsordnungen und den Kräften, die Staaten zusammenhalten und antreiben. Für ihn sind Nationalstaaten - allerdings keine säkularen - die Zukunft: Zentral ist der Begriff der politischen Religion. Internationales Recht, universelle Menschenrechte und die etablierte Diplomatie wurzeln in der historischen Entwicklung Europas und Nordamerikas, wo die Religion aus dem politischen Leben zunehmend ausgeklammert wurde. Dies gilt aber nicht für andere Teile der Welt, in denen Multikulturalität und -religiosität keine Konzepte, sondern Realitäten sind. Die säkulare Volksrepublik China sieht sich durch ethnische und religiöse Minderheiten in Frage gestellt, der Westen insgesamt wird vom Islamismus herausgefordert. Mayall weist darauf hin, dass christlicher Fundamentalismus eine ähnliche Sprengkraft besitzt, die uns nur deshalb weniger bewusst ist, weil er ihn statt von nicht-staatengebundenen Militanten von der stärksten Macht auf dem Globus vertreten sieht. Die Hindutva-Bewegung in Indien hat auch diesen Staat von Innen fundamental verändert. Mayalls Analysen und Prognosen überzeugen insbesondere für Ost- und Südasien, geben jedoch auch für die europäischen Gesellschaften wichtige Denkanstöße.
Srinivasan sieht den Staat ebenfalls als entscheidenden politischen Akteur des 21. Jahrhunderts. Er prognostiziert eine Wiederkehr des Konzerts der Mächte, wie man es im 19. Jahrhunderts kannte, nur auf globaler Ebene mit anderen Akteuren. Diese Welt wird nicht von einem einzigen Machtzentrum geprägt sein, wie dies angesichts der scheinbaren Übermacht der USA zumindest bis zum Irak-Krieg teils erwartet wurde. Srinivasan sieht die USA im langsamen Niedergang - militärisch dem Rest der Welt noch auf Jahrzehnte überlegen, ansonsten jedoch nur noch eine Macht unter anderen, die insbesondere finanziell bereits stark abhängig von vermeintlich schwächeren Rivalen wie der Volksrepublik China ist. Srinivasan erwartet eine Reihe von regionalen Hegemonialmächten, die alle wichtigen Fragen und Probleme in ihren jeweiligen Einflusssphären eigenhändig regeln. Dazu zählt er Brasilien, China, Indien und Russland. Einflussreiche Akteure geringerer Bedeutung sind für ihn Israel und der Iran im Nahen Osten, Nigeria und Südafrika auf dem afrikanischen Kontinent sowie Indonesien und Japan in Ost- bzw. Südostasien. Grundlage solcher Einschätzungen sind die innere Kohärenz dieser Staaten, ihre Wirtschaftskraft, der Zugang zu Ressourcen sowie die sicherheitspolitische Einschätzung. Die Argumentation insbesondere hinsichtlich der asiatischen Staaten in dieser Machthierarchie ist bestechend sachkundig, gerade wenn seltener analysierte Staaten wie der Iran und Indonesien in den Blick genommen werden.
Schließlich werden EU und NATO als Organisationen mit weitreichendem Einfluss angeführt. Humanitäre Interventionen etwa im Namen der Vereinten Nationen, wie sie die letzten zwei Jahrzehnte prägten, werden nach Srinivasan bald kein Thema mehr sein, weil die Hegemonialmächte jegliches Eingreifen Dritter in ihren eigenen Machtbereich zu verhindern wissen werden. Multilateralismus werde es weiterhin geben, solange er den Interessen der Hegemonialmächte nütze. Der Euphorie über eine von übernationalen Organisationen getragene Weltinnenpolitik, wie sie unmittelbar nach Ende des Kalten Krieges zu beobachten war, erteilt Srinivasan eine klare Absage. Dies mag angesichts jahrzehntelanger indischer Lippenbekenntnisse zu internationalen Organisationen und Srinivasans eigener Karriere überraschen, spiegelt aber wohl auch Erfahrungen aus der Praxis wider.
Angesichts der Qualität des Gemeinschaftswerks ist es zu bedauern, dass der Band bislang bei keinem der namhaften angloamerikanischen, sondern "nur" bei einem indischen Verleger erschienen ist. Er sollte wegen seiner gelungenen Mischung aus intellektueller Brillanz und nüchterner Realpolitik in den Kanon der nicht allzu vielen lesenswerten Werke zu den Visionen einer neuen Weltordnung nach dem Kalten Krieg aufgenommen werden.
Amit Das Gupta