Museum with no Frontiers: Discover Islamic Art. Webportal. URL: http://www.discoverislamicart.org
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Kerstin Schankweiler: Die Mobilisierung der Dinge. Ortsspezifik und Kulturtransfer in den Installationen von Georges Adéagbo, Bielefeld: transcript 2012
Birgit Mersmann: Über die Grenzen des Bildes. Kulturelle Differenz und transkulturelle Dynamik im globalen Feld der Kunst, Bielefeld: transcript 2021
1995 erklärte die EU in Barcelona das Programm für eine "Partnerschaft Europa-Mittelmeer". Ziel dieser Erklärung ist die Entwicklung des Mittelmeerraumes zu einer gemeinsamen Friedens- und Stabilitätszone. Dies soll durch einen verstärkten politischen Dialog, durch Zusammenarbeit im Wirtschafts- und Finanz- sowie im sozialen und kulturellen Bereich unterstützt werden.
Ein Aushängeschild dieser Partnerschaft ist das von der Wiener Kulturmanagerin Eva Schubert initiierte "Museum with no Frontiers" (MWNF). Zunächst entwickelte Schubert ein Ausstellungsformat, das unter dem Schlagwort "exhibition trails" darauf ausgerichtet ist, bestimmte Kulturlandschaften und ihre Kunst in situ oder in Museen der jeweiligen Region zu erfahren. Anstatt kulturhistorische Zeugnisse in den Museen und Ausstellungshallen der Metropolen temporär zusammenzutragen, wird der Betrachter also von Ort zu Ort geführt. Diese Reiserouten, die sich auf die Länder des islamischen Mittelmeerraumes konzentrieren, bilden einen bedeutenden Kern des Konzepts von MWNF.
Neben dieser kulturtouristischen Komponente zielt das MWNF durchaus auch auf ein wissenschaftliches Publikum ab: Als Hintergrund zu den "Exhibition Trails" entstand eine Reihe von Publikationen (http://www.mwnfbooks.net/), die jeweils von lokalen Experten verfasst sind und sich primär als Handbücher für den Reisenden verstehen, gerade in Hinblick auf weniger erschlossene Regionen oder Monumente aber auch für den wissenschaftlichen Leser von Interesse sein können.
Zunehmend an Bedeutung gewinnt seit 2005 der Internetauftritt des MWNF, der als virtuelles Museum des Mittelmeerraums angelegt ist - zumal die Mittelmeerstudien als Teilgebiet der Area Studies in den letzten Jahren einen internationalen Aufschwung erleben. Besonders für die Kunstgeschichte, die sich zu einer eigenen Positionierung in diesem interdisziplinären Feld herausgefordert sieht, hält ein solches virtuelles Museum bemerkenswerte Potenziale bereit.
Auf der übergeordneten Startseite (http://www.museumwnf.org/) werden unter dem Reiter "Museum" derzeit die voneinander unabhängigen Sektionen "Discover Baroque Art" und "Discover Islamic Art" angeboten - ein wichtiger Anhaltspunkt dafür, dass die transkulturelle Prägung des Mittelmeerraums hier als pluralistisches Nebeneinander aufgefasst wird und nicht auf eingleisige oder hierarchische Vergleiche abzielt.
Quantitativ umfangreicher ist bislang die Sektion "Discover Islamic Art", die hier im Zentrum der Betrachtung steht. 1235 Kunstwerke aus 40 Museen, Monumente und archäologische Stätten aus 14 Ländern - von Portugal bis Syrien, von Schweden bis Algerien - bilden die "ständige Sammlung" dieses virtuellen Museums. Exponate aus Museen von Weltrang wie etwa dem British Museum, dem Berliner Museum für Islamische Kunst oder dem Museum für Islamische Kunst in Kairo sind gemeinsam mit weniger bekannten Objekten aus kleineren Regional- und Spezialsammlungen erfasst.
Das virtuelle Museum bietet verschiedene Möglichkeiten, diese Fülle von Informationen zu erschließen. Unter "Artistic Introduction" hält die Seite anhand der bedeutendsten Monumente und Objekte eine nach Dynastien geordnete handbuchartige Einführung bereit. Die "ständige Sammlung" bzw. "Permanent Collection" selbst lässt sich nach Themen, Dynastien und Standorten sortieren und bietet zu jedem aufgerufenen Exponat digitales Bildmaterial zur Ansicht, eine Kurzbeschreibung, Links zu zugehörigen "Exhibition Trails", zu verwandten Objekten und Monumenten sowie zu einer "Timeline", die die historische Einordnung erleichtert.
Das für wissenschaftliche Zwecke interessanteste Instrument des MWNF ist die Datenbank, die auch nach Schlagworten durchsuchbar ist. Auch sie bietet zu jedem Monument oder Objekt digitales Bildmaterial und eine katalogartige Kurzinformation, die allerdings über die knapperen Beschriftungen der "ständigen Sammlung" hinausgeht. Sie enthält alle wesentlichen Daten und Fakten sowie eine (kunst-)historische Besprechung, Angaben zur Provenienz sowie zu weiterführender Literatur. Wie die gesamte Website sind auch diese Einträge jeweils in mehreren Sprachen abrufbar, neben der Leitsprache Englisch mindestens auch in Arabisch, zumeist auch in Französisch und Spanisch sowie in der lokalen Sprache des Landes, in dem sich ein Objekt befindet. Die Autoren sind auch hier, getreu der regionalen Devise der "Exhibition Trails", lokale Fachleute oder die Kustoden der jeweiligen Sammlung.
Selbstverständlich weist diese Datenbank noch Lücken auf, so hat sich etwa bislang kein einziges französisches Museum beteiligt. Dennoch wird auf diese Weise bereits jetzt eine große Auswahl von Gegenständen der Forschung verfügbar, die durch die Dynamik des virtuellen Mediums weit über die Möglichkeiten konventioneller Handbücher hinausgeht. Gerade die islamische Kunstgeschichte erfuhr und verstärkte im Laufe des 20. Jahrhunderts die Kanonisierung eines bestimmten, wieder und wieder publizierten Korpus von Objekten - nicht wenige dieser 'Ikonen' sind auch in der Datenbank des MWNF enthalten, jedoch eingebettet in einen wesentlich erweiterten und potenziell erweiterbaren Querschnitt islamischer Materialkultur.
In zwei interaktiven Rubriken kann der Benutzer selbst mit dieser Datenbank arbeiten: Interessanter als das eher spielerische Angebot "Learn with MWNF" ist der vor kurzem hinzugefügte Reiter "My Museum", hinter dem sich ein virtueller Leuchtkasten verbirgt. Nach einer unkomplizierten Registrierung lässt sich hier aus der Datenbank eine individuelle Sammlung zusammenstellen und dauerhaft speichern. Dadurch stehen direkt miteinander vergleichbar hochwertige Abbildungen zur Verfügung, die durch die Lupenvergrößerung auch gute Detailbetrachtungen am Bildschirm ermöglichen.
Das MWNF selbst demonstriert die Potenziale einer solchen Datenkollektion anhand von virtuellen Ausstellungen, die jeweils als Kooperationen von verschiedenen Partnerinstitutionen kuratiert sind. Die Bandbreite der Themen reicht von monografischen Darstellungen einzelner Dynastien etwa über "Women", "Pilgrimage" oder "Geometric Decoration" bis hin zu "Western Influence in Ottoman Lands". Hier werden die in der Datenbank isoliert gezeigten Gegenstände auch über die rein kunsthistorische oder ästhetische Betrachtung hinaus wieder in unterschiedliche kulturhistorische Kontexte eingebettet. Mit diesem Ansatz spiegelt das MWNF die derzeit auch in der realen Museumswelt virulente Frage nach unterschiedlichen Präsentations- und Kontextualisierungsoptionen islamischer Kunst wieder. Gleiches gilt ganz grundsätzlich für die Anwendung eines zunächst universalistisch klingenden Einheitsbegriffs "islamischer Kunst", innerhalb dessen jedoch die regionale und historische Variantenbreite betont wird.
Kritisch wäre allerdings anzumerken, dass Musealisierungsprozesse islamischer Kunst im Westen selbst kaum grundsätzlich problematisiert werden. Ob ein Monument sich an seinem angestammten Standort befindet oder in einem westlichen Museum, macht für das ortlose "Museum with no Frontiers" keinen Unterschied. Tatsächlich sind beide Kontexte Teil und Resultat einer wechselhaften Historie des Austausches zwischen Europa und dem Mittelmeerraum, dessen Asymmetrien und Fragmentierungen ein kritisches Bewusstsein im Umgang mit materialkulturellen Dokumenten erfordern. Gerade angesichts der Betonung des Regionalgedankens, der am Beginn des MWNF stand, sowie angesichts der dahinter stehenden politischen Agenda wäre zu wünschen, dass diese Historie expliziter thematisiert wird. Es ist gewiss eine der besonderen Stärken des als Work in Progress angelegten virtuellen Mediums, dass es auf solche Fragestellungen und sich beständig aktualisierende Diskurse reagieren kann.
Eva-Maria Troelenberg