Kerstin Schankweiler: Die Mobilisierung der Dinge. Ortsspezifik und Kulturtransfer in den Installationen von Georges Adéagbo (= Image; Bd. 13), Bielefeld: transcript 2012, 324 S., 91 Abb., ISBN 978-3-8376-2090-0, EUR 36,80
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Ausgesprochen ethnografisch beginnt Kerstin Schankweilers Arbeit über Georges Adéagbo: Einleitend schildert sie, wie der beninische Künstler während ihres Studienaufenthaltes auf seinem Grundstück in Cotonou eine Installation entwickelt. Von einem Gegenstand ausgehend, setzt er im Lauf eines Tages ein komplexes Gefüge aus heterogenen Fundstücken zusammen. Am Ende ist die beobachtende Wissenschaftlerin selbst Teil einer großflächigen Assemblage geworden - zumal in deren Zentrum ein von ihr mitgebrachtes Buch steht, nämlich Nicholas Thomas' "Colonialism's Culture". Mit diesem Schlüsselwerk postkolonialer Differenzforschung ist unmittelbar auf die Komplexität einer polyfonen postkolonialen Kultur hingewiesen - zugleich bleibt der Hinweis subtil in Adéagbos Werk verwoben: Es ist weniger die Theorie an sich, sondern vielmehr das Buch als gestaltetes Objekt, das ihn interessiert und das er beziehungsreich in Szene setzt, mithin also zum Teil seiner eigenen ästhetischen Syntax macht, die von Schankweiler als "transkulturelles Feld des Austausches und der Diskursivität" gelesen wird, als "Modell von Globalisierung" (12).
Damit erweist sich die narrative Einleitung bei näherer Betrachtung als intelligente Exposition für die zentrale - und im Rahmen einer "Globalen Kunstgeschichte" fundamentale - kunstwissenschaftlich-anthropologische Fragestellung der Untersuchung: Die im Titel angesprochene "Mobilisierung der Dinge" bezieht sich nicht nur auf räumliche, sondern auch paradigmatische Aspekte interkultureller Perspektivwechsel zwischen Subjekt und Objekt, die Gegenstände und Akteure gleichermaßen betreffen können.
Vor diesem Hintergrund entfaltet die Verfasserin ihre Arbeit einerseits als Künstlermonografie, andererseits aber auch als exemplarisches Fallbeispiel für eine dezidiert postkoloniale Theorie der Mobilisierung von Dingen. Diese induktive Struktur spiegelt sich auch formal etwa im zweigeteilten Literaturverzeichnis wieder, vor allem aber in der thematisch breiten Kontextualisierung von Adéagbos Werk in der Kunst- und Ausstellungsszene der vergangenen Jahrzehnte: So ist etwa ein großes Kapitel dem Thema "Kunst aus Afrika in Europa" gewidmet. Beginnend mit jüngeren Debatten um das Musée du Quai Branly führt Schankweiler hier die Konzepte "Primitivismus", "zeitgenössische afrikanische Kunst" und schließlich "Globale Kunst" als - stets kritisch zu dekonstruierende - Kategorien für bisherige Rezeptions- und Kanonisierungsprozesse von Adéagbos Werk ein.
Vor allem anhand seiner Installation "L'explorateur et les explorateurs" unterzieht sie selbst dessen künstlerische Praxis daraufhin einer gründlichen Autopsie, die durch Verweise auf rhizomatische Netzwerktheorien zur theoretischen Ebene überleitet. Mit dem Bezug zu Deleuze und Guattari ist auch in dieser Hinsicht die unhierarchische Auffassung von Gegenstand und Methode festgelegt, bevor in den folgenden Kapiteln mit Kategorien wie "Sammeln", "Dinge" und "Künstlermythen" operiert wird - Begriffe also, die an etablierte Diskurse in Kunstgeschichte und Anthropologie anschließen und durchaus potenziell asymmetrisch zu denken sind. Hier öffnet sich ein Spannungsverhältnis, das die Verfasserin durch die Auflösung von Dichotomien fruchtbar zu machen sucht. Besonders deutlich wird dies etwa in einem Unterkapitel, das sich dem "Dualismus Mensch/Ding" widmet (233ff.) und mit Verweis auf Ansätze aus dem Bereich der Agency-orientierten Theorie gängige anthropozentrische Denkweisen grundsätzlich in Frage stellt - am Werk von Adéagbo, so Schankweiler, zeigt sich prototypisch, wie dualistische Paradigmen von einer relationalen, also reziprok gedachten Herangehensweise abgelöst werden können.
Die Arbeit enthält insbesondere in den letzten Kapiteln eine Reihe solcher wertvoller Denkansätze und -modelle. Gegenüber der streckenweise eher deskriptiven Reihung ausstellungshistorischer Voraussetzungen im ersten Teil erscheinen diese theoriebildenden Passagen bisweilen etwas kurz abgehandelt. Auch könnte man sich mitunter eine noch dezidierter ästhetisch gedachte Argumentation wünschen.
Insgesamt ist die vorliegende Publikation jedoch zweifellos ein wertvoller Beitrag zur Diskussion um Ästhetiken der Differenz zwischen künstlerischer Praxis und akademischem Diskurs. In der deutschsprachigen Kunstgeschichte wurde dieses Feld zunächst maßgeblich von der kürzlich verstorbenen Viktoria Schmidt-Linsenhoff entwickelt. "Die Mobilität der Dinge" ist - inhaltlich und argumentativ unverkennbar - aus einer von Schmidt-Linsenhoff betreuten Dissertation hervorgegangen. [1] Zugleich zeigt das Buch weiterführende eigene Perspektiven für die Fortschreibung eines postmodernen und postkolonialen Diskurses, der dezidiert politisch und gegenwartsbezogen erscheint. Damit repräsentiert es eine charakteristische und wichtige Stimme im mittlerweile recht polyfonen Feld 'globaler Kunstgeschichte'.
Anmerkung:
[1] Vgl. auch Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz. Postkoloniale Perspektiven vom 16. bis 21. Jahrhundert, 2. Bde, Marburg 2010; darin s. bes. Kap. 15 "Georges Adéagbos postkoloniale Kunstkammer", 338-359.
Eva-Maria Troelenberg