Ute Daniel / Inge Marszolek / Wolfram Pyta u.a. (Hgg.): Politische Kultur und Medienwirklichkeiten in den 1920er Jahren, München: Oldenbourg 2010, 339 S., ISBN 978-3-486-59241-2, EUR 39,80
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Gerade in den letzten Jahren sind zahlreiche Publikationen zur politischen Kulturgeschichte im Allgemeinen und der der Weimarer Republik im Besonderen erschienen. Die Schwerpunkte reichen dabei von Ritualen und Symbolen über den Krisendiskurs bis zur parlamentarischen Kultur. [1] Massenmedien spielen dabei zwar stets eine Rolle, eine umfassende Untersuchung ihres Einflusses auf die politische Kultur fehlt jedoch noch. In diese Lücke stößt der vorliegende Sammelband, hervorgegangen aus einer 2008 abgehaltenen Tagung der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte. Die politische Kultur der zwanziger Jahre soll hier im Hinblick auf die durch politische Umbrüche und zunehmende Medialisierung "intensivierten Wechselwirkungen zwischen politischer und medialer Sphäre" (11) untersucht werden. Den Begriff der Medialisierung wollen die Herausgeber dabei bewusst weit angelegt als "die Prägungen der politischen Kultur durch die Art und Weise der symbolischen, literarischen oder massenmedialen Vermittlung von Bedeutungszuschreibungen" (12) verstanden wissen.
Anschließend an die Einleitung der Herausgeber und die Einleitung Dirk van Laaks sind die übrigen Beiträge in drei Teile gegliedert: "Politisch-mediale Wechselwirkungen", "Repräsentation von Gemeinschaft, Führertum und Gesellschaft" und "Repräsentation von Gewalt, Tod und Demokratie". Schwerpunkt ist die politische Kultur der Weimarer Republik, der Blick geht, getreu dem allgemeiner gehaltenen Titel des Bandes, jedoch auch über deren Grenzen hinaus in die USA, nach Polen und Italien.
Dirk van Laak führt in seinem Aufsatz zur Symbolischen Politik sowohl in die methodische als auch die inhaltliche Perspektive des Bandes ein. Angesichts des gesteigerten Bewusstseins um die Bedeutung symbolischer Politik sowohl bei den Politikern selbst als auch in der Wissenschaft, eröffnen sich, so van Laak, neue Perspektiven auch auf die Weimarer Republik, sei sie doch wie kaum ein anderer Staat von öffentlichen Kämpfen um symbolische Deutungshoheit geprägt gewesen.
Der sich an van Laaks Ausführungen anschließende erste Teil des Sammelbandes ist der Rolle der neuen Medien im Kampf um symbolische Deutungsmacht gewidmet. Martin H. Geyer zeigt am Beispiel des Barmat-Skandals sehr überzeugend die Entwicklung eines Korruptionsfalles zu einem politischen Medienereignis, dessen gemeinsamer Kommunikationsraum sowohl als Schauplatz der "Selbstinszenierung der Republik und ihres Justizwesens" (71) als auch der Formierung eines antirepublikanischen, antisemitischen und letztlich wirkungsmächtigeren (Korruptions-)Narrativs dient. Die Beiträge von Riccardo Bavaj und Thomas Welskopp schlagen dagegen eine gänzlich andere Richtung ein. Während Bavajs die Selbstinszenierung und innovativen Text-Bild-Verbindungen des Medienmoguls Willi Münzenberg in den Blick nimmt, verlässt Thomas Welskopp die Weimarer Bühne und analysiert den Wandel des amerikanischen Parteiensystems im Spannungsfeld zwischen Massenmedialisierung und der moralisch aufgeladenen Politik charismatischer Verbände am Beispiel der Prohibitionsfrage.
Die Beiträge des zweiten Abschnitts gestalten sich deutlich homogener. Wolfram Pyta, Michael Wildt und Ulrich Fröschle behandeln die Auswirkungen des Kriegserlebnisses und seiner literarischen Vermittlung auf die Erwartungsstrukturen und Symbole von Herrschaftslegitimation in der Weimarer Republik. Pyta und Wildt zeigen dabei anschaulich, wie sich, ausgehend von den Fronterfahrungen des Ersten Weltkrieges, ein Verständnis der "Volksgemeinschaft" und ihres Führers herausbildete, das den Führungsanspruch des Feldmarschalls Hindenburg zunehmend zugunsten des Frontsoldaten Hitler unterhöhlte. Alle Beiträge betonen dabei, dass sowohl dass Ideal einer homogenen Volksgemeinschaft als auch das eines charismatischen Führers in der Literatur und im Diskurs des gesamten politischen Spektrums präsent waren. Auch im daran anschließenden Beitrag Heidi Hein-Kirchers zum polnischen Piłsudski-Kult lassen sich auch in Bezug auf Konstruktion politischer Mythen und Kulte um eine charismatische Führerfigur deutliche Parallelen zur Weimarer Entwicklung erkennen, auf die Hein-Kircher selbst allerdings nur am Rande eingeht.
Der dritte Teil umfasst mit der "Repräsentation von Gewalt, Tod und Demokratie" wiederum sehr unterschiedliche Aspekte politischer Kultur. Oliver Janz untersucht die symbolischen Ebenen und die Versuche der politischen Steuerung des sich in Italien herausbildenden Gefallenenkultes. Als Einziger nimmt er dabei die Parallelen und Unterschiede der Repräsentation von Trauer um die Gefallenen nicht nur in Italien und Deutschland sondern (ansatzweise) auch in den anderen kriegsteilnehmenden Ländern in den Blick.
Thomas Meyer fragt abschließend nach der Bedeutung von Verfassungsfeiern für die politische Kultur der Weimarer Republik unter Anwendung der Ansätze des "symbolic turn". Angesichts der methodischen Unschärfe des Symbolbegriffes konzentriert er sich dabei vor allem auf zeitgenössische Symboltheorien, wie die Heideggers und Cassierers. Angesichts dieses eher philosophiegeschichtlichen Zuganges tritt die im Titel des Aufsatzes enthaltene Repräsentation der Feiern in der jüdischen Presse allerdings deutlich in den Hintergrund, zudem Meyer zu dem Schluss kommt, dass weder die Verfassung noch ihre Feiern hier die angestrebte Symbolkraft entfalten konnten.
Insgesamt vermitteln die Beiträge einen durchweg sehr interessanten Blick auf verschiedene "Medienwirklichkeiten" der zwanziger Jahre. Dabei kristallisieren sowohl in Bezug auf die Rolle der Medien als auch die symbolischen Dimensionen der politischen Kultur der Weimarer Republik zahlreiche verbindende Linien heraus, die deutlich machen, dass sich die Verfasser trotz der Unterschiedlichkeit ihrer jeweiligen Blickwinkel auf einer methodisch und begrifflich homogeneren Ebene bewegen. Die Herausgeber erheben dabei keinen Anspruch auf eine erschöpfende Behandlung ihrer Fragestellung und so bietet der Band sicherlich noch zahlreiche Anknüpfungspunkte für die weitere Erforschung der Prägung der politischen Kultur durch das Wechselverhältnis zwischen politischer und medialer Sphäre, von denen einige auch bereits in der Einleitung angerissen werden. Interessant wäre dabei beispielsweise auch eine stärkere Einbindung der internationalen Perspektive, die zwar in Einzelbeiträgen vertreten ist, in der Einleitung van Laaks jedoch weitgehend unberücksichtigt bleibt.
Anmerkung:
[1] Vgl. beispielsweise Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.): Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, Berlin 2005; Thomas Mergel: Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik. Politische Kommunikation, symbolische Politik und Öffentlichkeit im Reichstag, Düsseldorf 2002; Wolfgang Hardtwig (Hg.): Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit 1918-1939, Göttingen 2005.
Annika Klein