Hélène Becquet / Bettina Frederking (Hgg.): La dignité de roi. Regards sur la royauté au premier XIXe siècle, Rennes: Presses Universitaires de Rennes 2009, 205 S., ISBN 978-2-7535-0949-8, EUR 18,00
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Man könne den Thron nicht zu dritt besteigen, hielt Adolphe Thiers den Monarchisten der Dritten Republik entgegen und verwies damit auf die Heterogenität innerhalb der monarchistischen Strömungen Frankreichs seit 1789. Die Unterschiedlichkeit in den politischen Programmen und Zielen von Legitimisten, Orléanisten und Bonapartisten lassen es problematisch erscheinen, von der französischen Monarchie im 19. Jahrhundert zu sprechen. Und so wählen die beiden Herausgeberinnen des zu besprechenden Sammelbandes den Titel La dignité de roi. Ausgehend von dem Versuch, die historischen Interpretationen zu dem Thema Monarchie im 19. Jahrhundert nicht auf den Vorwurf der Blockade zu reduzieren, soll in elf Kapitel diskutiert werden, ob die französische Monarchie die Moderne nur verhindert oder auch zu ihr beigetragen hat. Dabei interessieren sich die Herausgeberinnen vor allem für die zeitgenössische Vorstellungen monarchischer Würde (la royauté) und grenzen diese Diskussion gegenüber einem Monarchiediskurs ab, der das politische Potential der Herrschaftsform in den Mittelpunkt stellt.
In ihrer Einleitung betonen Hélène Becquet und Bettina Frederking, dass die Hinrichtung Ludwigs XVI. im Januar 1793 nicht nur als Ursprungsmythos französischen Republikanismus gelesen werden kann, sondern gleichzeitig die Erwartungen an monarchische Herrschaft grundlegend veränderte. Die Vorstellungen von Monarchie, wie sie während des Ancien Régime existierten, seien im Anschluss an die Revolution durch idealisierte Ansprüche an monarchische Herrschaft ersetzt worden. Dies habe zu einer Wiederherstellung der Monarchie in unterschiedlichen Formen und unter anderen Vorzeichen geführt. Anhand dieser theoretischen Überlegung legen die beiden Herausgeberinnen den chronologischen Rahmen des Bandes fest. Neben Beiträgen zu Napoleon I. werden die Restauration, die Julimonarchie und das Zweite Kaiserreich diskutiert. Da es sich um die Erträge einer Konferenz des Institut d'histoire de la Révolution française aus dem Jahre 2007 handelt, stellen die Beiträge keine systematische Abhandlung dar, sondern analysieren verschiedene Aspekte des Monarchiediskurses mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
Natalie Petiteau diskutiert das Verhältnis der französischen Bevölkerung zu Napoleon I. Ihr Hauptinteresse liegt auf den Reaktionen des Senats, der Legislative und der Bevölkerung im Anschluss an die Krönung Napoleons. Ihre Interpretation der Ereignisse 1804 betont, dass die Schaffung einer neuen Dynastie zur erneuten Sakralisierung von Herrschaft geführt, die Franzosen jedoch weniger politisch als vielmehr emotional berührt habe. Dabei habe das Regime trotz aller Despotie, die sich in den Folgejahren zeigen würde, die Revolution als ideologischen Ursprung nicht bestritten. So sei es erneut zu einer Verbindung zwischen dem Souverän und der Nation gekommen, die sich in das Bewusstsein vieler Franzosen eingegraben habe.
Diese Überlegungen aufgreifend untersucht Michel Kerautret die Kontinuitäten zwischen Revolution, Konsulat und Empire unter dem Schlagwort der vierten Dynastie. Handelte es sich beim Kaiserreich um die Gründung (fondation) einer neuen oder um die Wiederherstellung (restauration) der alten französischen Monarchie? Kerautret betont, dass sich Napoleons Empire nicht nur in die Traditionen der Republik einordnen lässt, sondern sich viele Referenzpunkte zu der Geschichte französischer Könige herstellen ließen. Trotz dieses Geschichtsbewusstseins sei der Darstellung napoleonischer Legitimität immanent, sich von den Bourbonen und deren Herrschaftsansprüchen zu distanzieren. Das Erste Kaiserreich enthielt in Kerautrets Interpretation das Potential, eine vierte Dynastie zu etablieren. Doch scheiterte Napoleons Versuch einer Synthese aus Altem und Neuen als dauerhaftere Form von Herrschaft an der militärischen Niederlage.
Sébastien Le Gal widmet sich dem Spannungsverhältnis von monarchischem Herrschaftsanspruch und Konstitutionalismus. In seinem Beitrag untersucht er die Entstehungsgeschichte der Charte von 1814 - eine sehr hilfreiche Synopse der verschiedenen Textversionen der Präambel ist dem Beitrag beigefügt - um anhand der Verhandlungen über den Text der Charte die Positionen zu "droit divin" und "dignité royal" darzustellen. Le Gals Perspektive geht jedoch über 1814 hinaus und diskutiert die Schwierigkeiten, die aus dem Versuch entstanden, monarchische Herrschaft schriftlich festzulegen, da sie den Versuch darstellten, unterschiedliche Legitimitätsvorstellungen zu vereinen. In Le Gals Lesart ist weniger der Text der Charte als ihr Zustandekommen der entscheidende Aspekt, um die Tragweite des Dokuments für den Monarchiediskurs angemessen zu verstehen.
Auch Bettina Frederking widmet sich in ihrem Beitrag der Charte als zentralem Dokument. Ihre Lesart der Anklage Clausel de Coussergues gegen Decazes unterstreicht die Grauzone zwischen politischer und strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Die Anklage des Ultra-Royalisten, Decazes habe mit seiner Politik zu dem Attentat auf den Duc de Berry beigetragen, löste eine heftige Diskussion in den beiden Kammern aus, unter welchen Voraussetzungen ein Minister anzuklagen sei. Gleichzeitig wurde die Frage nach einem Verfahren laut, das die Ministerverantwortlichkeit feststellte. Da die Charte darüber schwieg, nutzten die Ultra-Royalisten die Lehrstelle für eine politische Abrechnung mit der Politik des Innenministers.
Grégoire Franconie diskutiert in ihrem Beitrag neue Formen der Sakralität in der Herrschaft Louis-Philippes. Als König der Franzosen, primus inter pares und durch eine Verfassung gebunden entsprach die Darstellung des Monarchen seit 1830 nicht dem Bild der bourbonischen Hauptlinie. Dennoch weist Franconie anhand von Feierlichkeiten zu Geburten, Hochzeiten und Beerdigungen der königlichen Familie sowie von iconographischen Darstellungen nach, dass die Monarchie sich eine religiöse Dimension erhielt. Dabei kam der Vorstellung, von der Vorsehung für das Amt des Bürgerkönigs ausgewählt worden zu sein, eine besondere Funktion zu. Anhand der Person des Prinzen Ferdinand kann Franconie einen weiteren Aspekt aufzeigen. Der individuellen Leistung, dem heroischen Einsatz für die Nation kommen im orléanistischen Verständnis eine größere Bedeutung zu oder wie Franconie es formuliert: "De l'onction à l'action".
Thibaut Tretout untersucht das Verhältnis Louis-Philippes zum Hof. Dabei unterscheidet er drei chronologische Abschnitte. Anhand der Erinnerungen, die der Bürgerkönig im englischen Exil am Ende der napoleonischen Kriege abfasste, zeigt er, wie Louis-Philippe das Umfeld des Monarchen für das Ende der Monarchie verantwortlich machte. Während der Restauration seit 1815 war die Familie Orléans ein Teil der unmittelbaren Umgebung des Monarchen und damit des Hofes. Doch Tretout betont die Ambivalenzen im Verhältnis zwischen den beiden Monarchen und der Nebenlinie der Bourbonen. Der größte Teil des Beitrags untersucht die Reaktionen Louis-Philippes während seiner eigenen Herrschaft. Nach einer radikalen Reduktion der Ausgaben für den Hof in den ersten beiden Jahren investierte der Bürgerkönig substantiell in die Ausstattung seiner Herrschaft, was nicht zuletzt die Selbstdarstellung des Monarchen verbessern sollte. Die Entscheidungen, wie der Hof ausgestattet und organisiert werden soll, sieht Tretout auch als einen Hinweis auf die Politik und das Herrschaftsverständnis Louis-Philippes, die deutliche Spuren eines autoritären Regimes aufweisen.
Hélène Becquet diskutiert die Rolle der Prinzessinnen während der Restauration. Anhand der Duchesse d'Angoulême und der Duchesse de Berry zeigt sie, welche Konsequenzen das Fehlen einer Königin für die französische Monarchie besaß. Neben der Bedeutung der Prinzessinnen für die Erbfolge und damit das Fortleben der Monarchie sowie der dynastischen Bedeutung überzeugt Becquet Argument, dass den weiblichen Mitglieder der Familie Bourbon vor allem für die Vorstellung des Martyriums, des Leids und des Opfers eine zentrale Rolle zukommt. Durch die salische Erbfolge zwar faktisch von der Herrschaft ausgeschlossen, trugen die beiden Prinzessinnen in einem ideologischen Sinne zur Legitimation der Restauration bei.
Wie wichtig die weiblichen Mitglieder einer Dynastie sein konnten, zeigt auch Munro Price in seinem Beitrag zu Adélaide d'Orléans, der Schwester Louis-Philippes. Nicht nur ihre Verhandlungen mit Thiers im Sommer 1830 sondern auch ihre täglichen Gespräche mit dem Monarchen sowie ihr Kontakt zu den französischen Diplomaten in London lassen Adélaide als eine zentrale Person im Herrschaftsgefüge erscheinen. Price zeigt anhand von biographischen Quellen, Druckerzeugnissen und Karikaturen, dass auch den Zeitgenossen der Einfluss Adélaides auf ihren Bruder nicht verborgen blieb. Die öffentliche Diskussion über ihre Person führte dazu, dass ihr politisches Gewicht verstärkt wurde. Gleichzeitig machte die Rolle der informellen Beraterin sie auch aufgrund ihres Geschlechts angreifbar.
Sudhir Hazareesign nimmt den Leser von der Hauptstadt mit in die Provinz. Seine Untersuchung des Feiertags Saint-Napoleon nutzt Berichte von lokalen Agenten wie Unterpräfekten und Polizeikommissaren, um die Herrschaft Napoleons III. zu charakterisieren. Er zeigt auf, welche starke Eigendynamik Feste am 15. August haben konnten, nicht zuletzt da neben der politischen auch die religiöse Bedeutung des Tages gefeiert wurde. Doch trotz der unterschiedlichen Popularität, Gewichtung und Interpretation des Festes, das nicht nur Unterstützung fand sondern auch Opposition provozierte, identifiziert Hazareesign eine für das Kaiserreich spezifische Mentalität. Dabei seien traditionelle Charakteristika charismatischer Herrschaft mit einem Fortschrittsdenken verbunden, so dass Erfolge in der Landwirtschaft, der Ausbau der Eisenbahn, die Neugestaltung der Hauptstadt, die Weltausstellungen und der Freihandelsvertrag mit militärischen Erfolgen und charismatischen Auftritten in einer Art konkurrierten, die den Bonapartismus des Zweiten Kaiserreichs vom Napoleonismus der früheren Zeit unterschied.
Jean-Clément Martin kehr in seinen abschließenden Überlegungen zum Ausgangspunkt, der großen Revolution zurück. Auch Martin betont, dass mit der Hinrichtung Ludwigs XVI. die Geschichte der französischen Monarchie nicht abgeschlossen war. Während sich Marie-Antoinette dem Schafott näherte, so Martin, brachten Sans-Culottes ein Hoch auf Heinrich IV. aus. Doch auch Martin unterstreicht, dass es sich nicht allein um die Überlebensfähigkeit des Ancien Regimes, des Alten handelt. Vielmehr habe das Alte versucht, sich neu zu erfinden.
Martins Plädoyer, die Langzeitwirkungen der Monarchie in ihrer vollen Komplexität zu untersuchen, beschließen diesen Band, der durch kluge Überlegungen überzeugt. Wie jeder Sammelband hätte auch dieser noch weitere Aspekte - etwa die Person Henri V - aufgreifen können. Die Beiträge zu Napoleon I. zeichnen sich weniger durch innovative Kraft als durch klare Argumentation aus. Auch verbergen sich hinter vielen Beiträgen substantielle Monographien. Dennoch liefert der Sammelband wichtige Argumente, die Rolle der Monarchie für die französische Geschichte des 19. Jahrhunderts zu überdenken.
Torsten Riotte