James Howard-Johnston: Witnesses to a World Crisis. Historians and Histories of the Middle East in the Seventh Century, Oxford: Oxford University Press 2010, XXXIV + 573 S., ISBN 978-0-19-920859-3, GBP 90,00
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James Howard-Johnston, einer der ausgewiesenen Experten für die Geschichte des östlichen Mittelmeerraums und des Nahen Ostens im 7. Jahrhundert, hat mit diesem Buch einen Markstein gesetzt. Dem Autor geht es um eine möglichst exakte und detaillierte Rekonstruktion der Vorgänge, die er als "world crisis" des 7. Jahrhunderts bezeichnet: Um den Verlauf des letzten römisch (= byzantinisch)-persischen Krieges, in dem das Byzantinische Reich zunächst beinahe untergegangen wäre, unmittelbar darauf aber in triumphalen Rückeroberungsoffensiven das persische Sasanidenreich derart schwächen konnte, dass dieses dem Angriff der Araber ein Jahrzehnt später nicht mehr standhalten konnte (603-628 n. Chr.); um die Auseinandersetzungen zwischen Byzanz und den Arabern seit dem Tod des Propheten Mohammed (632) sowie die inneren Konflikte der islamischen Welt in der Frühzeit des Kalifats vor dessen Etablierung als neuer Weltmacht.
Die eigentliche Rekonstruktion der historischen Ereignisse nimmt den kleinsten Teil des Buches ein (436-516) und setzt den Schwerpunkt auf die arabische Expansion. Im Zentrum der Studie steht hingegen ein quellenkritischer Überblick über das gesamte verfügbare literarische Material, das sich - in sechs Sprachen überliefert - zur Rekonstruktion der Vorgänge heranziehen lässt. Diese quellenkritischen Untersuchungen führen zu einer Fülle von wichtigen Ergebnissen, sowohl für die Gesamtsicht auf einzelne Autoren als auch in Einzelfragen. Sie werden sich über Jahre hin als grundlegende Referenz für weitere Arbeiten zum Nahen Osten in der Spätantike und im frühen Mittelalter etablieren.
Der Autor beginnt seine Erörterungen mit dem byzantinischen Dichter Georgios Pisides (einem Diakon an der Hagia Sophia zu Konstantinopel im Dienste des Patriarchen Sergios), dessen poetische Schöpfungen als zentrale Quelle für die Feldzüge des Kaisers Herakleios († 641) noch immer nicht hinreichend gewürdigt worden sind. Howard-Johnston weist denn auch mit Nachdruck darauf hin, dass Georgios nicht nur "a poet of rare talent, with relatively few peers in classical antiquity", gewesen sei (27), sondern vor allem auch wichtiges historisches Material biete (30). Den in der Forschung wiederholt geäußerten Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit der panegyrischen Dichtungen tritt er mit verschiedenen Hinweisen auf die Eigenständigkeit und intellektuelle Unabhängigkeit ihres Verfassers von Kaiser und Patriarch entgegen (vgl. 32).
Außerordentlichen Quellenwert schreibt Howard-Johnston dem Chronicon Paschale (um 630) zu, der "richest of all available sources" zum römisch-persischen Krieg der Jahre 603-628 (41). Er interpretiert dieses Werk als typische Chronik, insofern Fragen der Chronologie gegenüber einem historischen Interesse überwögen. Neuere Forschungen zu spätantiken und mittelalterlichen Chroniken stimmen in dieser Frage indes skeptisch, denn sie weisen zum einen auf die bisher verkannte Mehrdimensionalität zahlreicher Chroniken hin, stellen zum anderen die (moderne) Trennung von Geschichte und Chronographie infrage. Auch Howard-Johnstons nachdrückliche Betonung der Zuverlässigkeit des Chronicon Paschale in chronologischen Details (44) dürfte nicht allenthalben auf ungeteilte Zustimmung treffen, doch liegt die eigentliche Bedeutung dieser Chronik für ihn ohnehin in einem anderen Sachverhalt: Das Chronicon Paschale präsentiere - zumindest in dem für das 7. Jahrhundert relevanten Teil - außerordentlich reichhaltiges dokumentarisches Material, das vom Autor (der sich generell sehr zurücknehme) kaum bearbeitet worden und insofern tatsächlich authentisch sei - darunter etwa der Bericht über die awarisch-persische Belagerung Konstantinopels im Jahr 626, den Howard-Johnston als eine an den Kaiser gerichtete "authoritative official history" (47) dem Umfeld des Patriarchen Sergios zuschreibt. Insgesamt jedenfalls sei "all the documentary material reproduced in the Chronicon Paschale [...] of the highest quality" (67).
Unter Althistorikern nur wenig bekannt ist das wohl in den 650er Jahren entstandene, unter dem Namen Sebeos gehandelte Werk eines anonymen armenischen Bischofs, das - ausgehend von einem geographischen Fokus (Armenien und die auf diese Region einwirkenden Mächte) - eine wichtige Quelle für die Geschichte der 1. Hälfte des 7. Jahrhunderts darstellt, Howard-Johnston zufolge sogar "the longest and most substantial [account] of any contemporary non-Muslim source" zu den frühen arabischen Eroberungen (76). Auch zu diesem Text gelingen Howard-Johnston wichtige Beobachtungen, so etwa zu den verwendeten Quellen, der Werkstruktur (mit Hinweis auf die Vermengung des persischen Vordringens bis Chalkedon 615 mit der Belagerung Konstantinopels 626) sowie der Aufbereitung und Präsentation des Materials (bei der Howard-Johnston Parallelen zum Autor des Chronicon Paschale sieht). Insgesamt erscheint Ps.-Sebeos als weitgehend zuverlässiger Sammler älteren Quellenmaterials, dessen Werk "a source of consistently high quality" darstelle (100).
Von grundlegender Bedeutung sind Howard-Johnstons Anmerkungen zum ursprünglich in syrischer Sprache verfassten Werk des Theophilos von Edessa (8. Jahrhundert), das zwar nicht mehr erhalten, aber von zentraler Bedeutung für die Rekonstruktion der Geschichte des 7./8. Jahrhunderts ist, da es die Grundlage für die Darstellungen des Chronicon ad annum 1234 und Michaels des Syrers (12. Jahrhundert) bildet (über Dionysios von Tel-Mahre) und auch der Chronik des Theophanes (frühes 9. Jahrhundert) und dem arabischen Werk des Agapius (10. Jahrhundert) zugrunde liegt (194-236). Howard-Johnston gelingt eine aufschlussreiche Annäherung an diesen wichtigen Autor, an der sich zukünftige Arbeiten werden messen lassen müssen. Mit Blick auf die Grundfrage seines Buches - den Quellenwert der einzelnen Zeugnisse - fällt das Urteil des Verfassers über Theophilos moderat positiv aus: Es handele sich um eine insgesamt brauchbare Quelle, die aber immer wieder auch Irrtümer aufweise (233). Demgegenüber sei das Breviarium des Nikephoros, dem die nachfolgenden Überlegungen gewidmet sind (237-267), vor allem für die Zeit ab 695 von Bedeutung. Das anschließende Kapitel zu Theophanes (268-312) bestätigt im Wesentlichen die Vorbehalte der aktuellen Forschung: "The Chronographia of Theophanes has to be handled with care" (307). Howard-Johnston zeichnet Theophanes als einen Autor, der letztlich jeweils nur so zuverlässig eingeschätzt werden könne wie seine jeweiligen Quellen (unter denen, wie angedeutet, vor allem Theophilos von zentraler Bedeutung ist), sein Werk sei dementsprechend "of variable quality" (307). Bemerkenswert ist in diesem Kapitel der Versuch, eine bisher noch nicht identifizierte weitere Vorlage des Theophanes näher zu bestimmen: Howard-Johnston entwickelt die spannende Hypothese, dass der Bericht über die Gegenoffensiven des Herakleios in persische Gebiete 624/25 und 627 auf Aufzeichnungen aus dem kaiserlichen Hauptquartier beruhe, die dann später die Grundlage für Dichtungen des Georgios Pisides geboten hätten, die Theophanes noch vorgelegen hätten (284-295). Über diese These, die freilich mit einer ganzen Reihe von Unbekannten operiert, wird noch zu diskutieren sein.
Die Fokussierung des Erkenntnisinteresses auf die Rekonstruktion der politisch-militärischen Entwicklungen im 7. Jahrhundert führt im Ergebnis zu gewissen Verzerrungen. So wird etwa einer der wichtigsten Historiographen des 7. Jahrhunderts, Theophylakt Simokates, als "marginal" klassifiziert, "because it [sc. sein Geschichtswerk] only covers the overthrow and execution of Maurice which provided Khusro II with his justification for going to war" (138). In der Tat geht es Howard-Johnston in erster Linie darum, die Texte in ihrem Wert für Ereignisgeschichte zu untersuchen: "They have been singled out for close examination either because of the precision and accuracy of the information which they supply or because of the insights which they give into current attitudes and aims" (138). Diese Selbstbeschränkung ist angesichts des Umfangs, den die Studie bereits in der vorliegenden Form hat, verständlich, aber hier wurde dennoch die Chance auf eine noch tiefere Durchdringung des Materials durch einen der wenigen Spezialisten ungenutzt gelassen. Stattdessen zielt der Autor mit seinem Durchgang durch die Überlieferung darauf, das Netz an Informationen immer dichter zu knüpfen. Mehrfach werden im Anschluss an die Diskussion einzelner Texte katalogartige Listen von Ereignissen gegeben, die durch die Analyse eben dieser Texte nunmehr gesichert seien (vgl. 68, 136f., 190f., 233-235, 265f., 309-311), bis am Ende ein zuverlässiges Faktengerüst entsteht, das nur noch wenige Lücken aufweist (z.B. für die etwa fünfjährige Phase nach der Ablehnung des Friedensangebots des römischen Senats an die Perser 615 und für die Aktionen des ersten Umayyaden-Kalifs Mu'āwiya, vgl. 354).
Die noch verbliebenen Lücken zu füllen (so 355), dient eine Erörterung des islamischen Quellenmaterials (355-418), die mit Überlegungen zum Problem des Umgangs mit dem Koran als historischer Quelle einsetzt (355-358) und zunächst vor allem auf das wichtige Geschichtswerk des Al-Tabari (839-923) zuläuft (366-369). Howard-Johnston teilt keineswegs die verbreitete Skepsis gegenüber frühen islamischen historiographischen Traditionen und ist insbesondere optimistisch, was die Zuverlässigkeit späterer Autoren des 9./10. Jahrhunderts für die Entwicklungen im 7. Jahrhundert angeht. Es bleibt abzuwarten, wie das Echo der Islamwissenschaftler auf Howard-Johnstons Vorschläge aussehen wird.
Wie bereits angedeutet, bietet die Monographie eine Fülle von Einzelbeobachtungen und Thesen, die hier nicht ansatzweise diskutiert werden können. Dass nicht jeder Vorschlag auf Zustimmung stoßen wird, liegt in der Natur der Sache. So halte ich etwa die Hypothese, Georgios Pisides habe nach der Abfassung der Expeditio Persica für etwa 6 Jahre die Gunst des Kaisers verloren, weil er aus Versehen auf dessen inzestuöse Verbindung mit seiner Nichte und späteren Ehefrau Martina angespielt habe (33-36, 291), zumindest für mutig. Dass Johannes Malalas "presents a predominantly pagan view of the past" (38), scheint mir hingegen ein Fehlurteil zu sein. Nicht unumstritten ist die These, der letzte Teil des Geschichtswerks des Johannes von Antiocheia sei das Werk eines Fortsetzers (140f.); dass bei seiner Behandlung sowie für die Frage nach seinem Verhältnis zu Johannes Malalas ausgerechnet auf einen Aufsatz von W. Treadgold rekurriert wird, in dem blanker Unsinn behauptet wird [1], verwundert ein wenig (vgl. 140f., Anm. 5). Aber das sind letztlich Punkte, die lediglich zu weiteren fruchtbaren Diskussionen anregen.
Insgesamt stellt Howard-Johnstons Buch über die "world crisis" des 7. Jahrhunderts und ihre Quellen einen Forschungsbeitrag von fundamentaler Bedeutung dar; es wird auf absehbare Zeit nicht zu ersetzen sein.
Anmerkung:
[1] Vgl. W. Treadgold: The Byzantine World Histories of John Malalas and Eustathius of Epiphania, The International History Review 29 (2007), 709-745.
Mischa Meier