Torsten Diedrich / Walter Süß (Hgg.): Militär und Staatssicherheit im Sicherheitskonzept der Warschauer-Pakt-Staaten (= Militärgeschichte der DDR; Bd. 19), Berlin: Ch. Links Verlag 2010, X + 371 S., ISBN 978-3-86153-610-9, EUR 34,90
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Zwei Trends zeichnen sich in der deutschen Forschung zur Geschichte von Militär und Geheimdiensten des Warschauer Paktes ab: die zunehmend internationale Perspektive, sowohl hinsichtlich der Inhalte als auch der Vernetzung des Faches, und der Vorrang von Sammelbänden vor großen Monographien. Ersteres ist dringend nötig, um die nationalen Sichtweisen durch vergleichende Untersuchungen zu erweitern, die der Blockbildung und dem Lagerdenken des Kalten Krieges angemessen sind. Letzteres ist vor allem ein grundsätzliches Problem, denn nur wenige Historiker besitzen die notwendige Sprachkompetenz, um in russischen, polnischen, tschechischen, ungarischen, bulgarischen und rumänischen Archiven in komparatistischer Weise zu arbeiten. In den letzten Jahren sind deshalb durch Kooperationsprojekte viele solide Sammelbände entstanden, die vielleicht nicht in allen ihren Beiträgen überzeugen, insgesamt aber doch wichtige Grundlagen für Detailstudien und Synthesen bilden.
Zu diesen Publikationen zählt auch der neue Band aus der gut eingeführten Reihe Militärgeschichte der DDR. Inhaltlich knüpft das Buch an eine Veröffentlichung über den Warschauer Pakt an, die 2009 in der gleichen Reihe erschienen ist. [1] Die Themen überschneiden sich teilweise, am auffälligsten in einer Untersuchung von Mark Kramer zur Reaktion der UdSSR und des Warschauer Paktes auf die Krise in Polen 1980/81, die in beiden Bänden abgedruckt ist, im hier besprochenen in erweiterter Form.
Im neuen Werk geht es keineswegs allein um Militär, Geheimdienst und Geheimpolizei, wie der etwas sperrige, zu eng gefasste Titel suggeriert. Mehrere Beiträge, und nicht die schwächsten, kreisen vor allem um Außenpolitik und Bedrohungswahrnehmungen im östlichen Bündnis. Das titelgebende Sicherheitskonzept wird eigentlich nur bei Torsten Diedrich, der Wechselwirkungen zwischen dem inneren und äußeren Sicherheitsapparat am Beispiel der freilich besonders dicht erforschten DDR darstellt, und noch in Carmen Rijnoveanus Vergleich der Folgen der Ostblock-Krisen 1956 und 1968 für das rumänische Sicherheitsverständnis auch als Konzept erfasst. Mit Ausnahme von Dmitar Tasić, der auf wenigen Seiten "Staat, Ideologie, Außenpolitik und Streitkräfte" Jugoslawiens zwischen 1945 und 1961 in den Blick nimmt, dabei aber bestenfalls grobe Konturen aufzeigen kann, liefern die meisten anderen Beiträge letztlich kleinformatige, dafür oftmals tiefschürfende Analysen.
Von den fünfzehn Beiträgen behandeln allein fünf die DDR; Albanien und die Tschechoslowakei fehlen ganz. Nach dem erwähnten Überblicksbeitrag von Torsten Diedrich werden die übrigen Texte drei Rubriken zugeordnet, die über die "Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten", über "Krisen und ihre Folgen" sowie über "Auswirkungen des Entspannungsprozesses" handeln. Gelungen ist der Aufsatz von Krisztián Ungváry, der in der "Krisen"-Rubrik Meinungen und Stimmungen in der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei und der Geheimpolizei zwischen 1986 und 1990 ausleuchtet. Miklós Horváth/Éva Tulipán können mit einer Rekonstruktion der Opferzahlen des Volksaufstandes in Ungarn 1956 aufwarten. Der in den einschlägigen Publikationen der letzten Jahre vielfach präsente Jordan Baev steuert Neues zum Mord an Georgi Markov 1978 in London, der vermeintlichen "bulgarischen Spur" beim Papst-Attentat 1981 sowie zur inzwischen einigermaßen bekannten "Operation RjaN" des KGB bei. Das liest sich flüssig, ja spannend, ist durchaus aufschlussreich - aber gibt eben doch nur ganz begrenzt konzeptionellen Aufschluss über den Sicherheitsapparat Sofias.
Relativ homogen, mit extensiver Auswertung von Archivquellen, erweisen sich die Analysen von Douglas Selvage, Oliver Bange, Hermann Wentker und Walter Süß zum Entspannungsprozess, die gewissermaßen einen eigenen Sammelband im Sammelband bilden. Überzeugend in der Argumentation sind vor allem Selvage, bei dem Militär und Geheimdienst allerdings keine Rolle spielen, der vielmehr die politischen "Risse im Bruderbund" am Beispiel der unterschiedlichen Positionierung des Warschauer Paktes zur Deutschen Frage in den 1960er Jahren untersucht, sowie Wentker, der auf der Zeitachse Konjunkturen ostdeutscher Bedrohungsvorstellungen im deutsch-deutschen Gegeneinander herausarbeitet.
Die Aufmerksamkeit der Autoren gilt - wie schon in der vorausgegangenen Publikation von 2009 - besonders der Binnenpolitik des Paktes, weniger dem Systemkonflikt mit dem Westen. Stattdessen rücken Dissonanzen innerhalb des östlichen Lagers in den Mittelpunkt. Daher gibt Jordan Baev der weiteren Forschung mit auf den Weg, sie müsse Antworten liefern auf die Frage nach "Unterschieden zwischen den gemeinsamen Bündniszielen und den nationalen Zielen" sowie der "Politik der Differenzierung und der bilateralen Beziehungen zu jedem einzelnen NATO-Staat" (355). Fürwahr ein Programm. Derzeit jedenfalls bringen Sammelbände, die auf vielen Schultern ruhen, das Wissen über Militär und Sicherheitsapparat und nicht zuletzt über Politik und Perzeptionen im Warschauer Pakt augenscheinlich am ertragreichsten voran. Der vorliegende Band ist ein Mosaikstein in diesem Prozess.
Anmerkung:
[1] Vgl. Torsten Diedrich u.a.: Der Warschauer Pakt. Von der Gründung bis zum Zusammenbruch 1955 bis 1991 (= Militärgeschichte der DDR; Bd. 16), Berlin 2009. Siehe dazu auch die Rezension von Michael Ploetz in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 7/8 [15.07.2010], URL: http://www.sehepunkte.de/2010/07/15138.html.
Armin Wagner