Debra Johanyak / Walter S. H. Lim (eds.): The English Renaissance. Orientalism, and the Idea of Asia, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2010, 246 S., ISBN 978-0-230-61599-1, GBP 52,50
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Der hier vorliegende Sammelband The English Renaissance, Orientalism, and the Idea of Asia erweitert die bestehende Orientalismusdebatte in neun Aufsätzen durch die Analyse englischer Renaissanceliteratur. Die beiden Anglisten Debra Johanyak (University of Akron) und Walter H. Lim (National University of Singapore) verfolgen dabei die Kernthese, dass Orientalismus und Protokolonialismus im Zusammenspiel mit dem soziokulturellen Hintergrund der jeweiligen Autoren zu verschiedenen stereotypisierten Lesarten von Asien führten.
In diesem Sinne baut die Studie auf dem bestehenden Forschungsstand zum Thema "Orientalismus" auf. Werke wie Edward Saids "Orientalism" (1978) und Samuel Huntingtons "A Clash of Civilizations" (1996) bilden die Diskussionsbasis des Bande Hinzu kommen weitere wichtige Ansätze zum wechselseitigen Verhältnis von Orient und Okzident, die vergleichend genutzt werden. Dazu zählen etwa Studien von Nabil Matar ("Europe through Arab Eyes" und "Turks, Moor, and the Englishmen in the Age of Discovery", 2008 bzw. 1999) oder Gerald MacLeans "Looking East: English Writing and the Ottoman Empire before 1800" aus dem Jahre 2007.
Ziel des Sammelbandes ist es, diesen Forschungsstand durch eine Analyse der englischen Renaissanceliteratur im Hinblick auf ihr Asien/Orient-Verständnis zu erweitern. Konkret nennt Lim in der Einleitung folgende Kernfragen: Welche Stereotype von Islam und Osmanischem Reich wurden auf Süd- und Südostasien übertragen? Was "wussten" die Engländer um 1600 von Asien und inwiefern waren Raumvorstellungen kulturelle Einbildung? Welche Ängste beeinflussten das Bild vom Fremden und wie trug dieses zur Identifikation und Schaffung der englischen Nation bei?
Die Aufsätze von Debra Johanyak ("Turning Turk. Early Modern English Orientalism, and Shakespeares Othello", 77-97) sowie von James W. Stone ("Indian and Amazon. The Orientals Feminine in A Midsummer Nights Dream", 97-115) belegen anschaulich den Facettenreichtum des englischen Orient/Asienbildes um 1600. So arbeitet Johanyak in ihrem Beitrag sehr schön die Rolle von Othello als Verkörperung des Konflikts der Wertesysteme von Christentum und Islam heraus und kann darüber hinaus plausibel darstellen, wie in dem Stück unterschwellig eine Gefahr der "Turkisierung" thematisiert wird. Stone rückt hingegen den imaginären Aspekt von Shakespeares Orientverständnis in den Vordergrund und verdeutlicht, wie der Autor Indien und Asien als Synonyme für Wollust und Sexualität einsetzt.
Dass es sich hierbei nicht um einen Einzelfall handelt, zeigt der Beitrag von Lisa Hopkins ("Marlowe's Asia and the Feminization of Conquest", 115-131). Auch Christopher Marlowe (lebte 1564-1593) betont die Weiblichkeit Asiens und imaginiert die Eroberung des Kontinents als höchst erstrebenswerten Gewinn für Europa. Wie in einem weiteren Aufsatz zu Marlowe - in diesem Fall konkret zu seinem "Tamburlain" - aus der Feder von Bindu Malieckal nachweist, galt Indien/Asien ferner als unerschöpfliche und wundersame Quelle von Gold und Edelsteinen. Dabei zeigt die Autorin auf, dass es in dem Stück zu einer räumlichen Vermischung vom heutigen Indien mit Westindien (Karibische Inseln) kam.
Wie stark soziokulturelle Ereignisse das Orient/Asienverständnis der englischen Renaissanceliteraten beeinflussten, wird in den Artikeln von Bernadette Andrea und Marion Hollings deutlich. Beide Beiträge zeigen anhand von Lady Mary Wroths (lebte 1587-1651/3) "Urania" und Edmund Spensers (lebte 1592-1599) "The Fairie Queene" ein wechselhaftes Freund/Feindbild des Orient Historischer Kontext für diese ambivalente Sichtweise waren - wie Andrea und Hollings erläutern - Verhandlungen der englischen Herrscherin Queen Elisabeth I mit dem Osmanischen Sultan Murad II zum Schutz des Britischen Reiches gegen Spanien. Es wird ersichtlich, dass man den Glauben der Sarazenen negativ betrachtete, zugleich jedoch ihre kämpferischen Tugenden zu schätzen wusste.
Die verbliebenen Beiträge runden den Sammelband ab und stellen zwei weitere Facetten der Lesart von Asien herau So zeigt Gwee Li Sui anhand ihrer Analyse von Francis Bacons (lebte 1561-1626) "New Atlantis" China als kulturelle Alternative, die dem Westen verbunden ist und zugleich alte und neue Welt symbolisiert. Diese sich hier schon andeutende Differenzierung zwischen Fernost (Indien, China) und Nahem Osten (Orient) verdeutlicht Walter H. Lim im abschließend Beitrag. Der Autor belegt, dass die Renaissanceliteraten zunehmend zwischen Indien als Ort des ökonomischen Profits und dem Osmanischen Reich als Hort der Tyrannei zu trennen wussten.
Insgesamt gelingt es dem Sammelband gut, die eingangs formulierte These mit anschaulichem Material zu unterlegen. Da die Beiträge Werke verschiedener Autoren analysieren, erhält der Leser einen breiten Einblick in die verschiedenen Lesarten von Asien im England des 17. Jahrhundert Das Werk bildet eine willkommene Ergänzung und Erweiterung des bestehenden Forschungsstandes zum Thema Orientbild und Fremdwahrnehmung aus Sicht der Anglistik.
Tonia Schüller