Roger Engelmann / Bernd Florath / Helge Heidemeyer u.a. (Hgg.): Das MfS-Lexikon. Begriffe, Personen und Strukturen der Staatssicherheit der DDR, Berlin: Ch. Links Verlag 2011, 400 S., zahlreiche Fotos, Tabellen und Übersichten, ISBN 978-3-86153-627-7, EUR 19,90
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Karin Schmidt: Zur Frage der Zwangsarbeit im Strafvollzug der DDR. Die "Pflicht zur Arbeit" im Arbeiter- und Bauernstaat, Hildesheim: Olms 2011
Tobias Kaiser / Heinz Mestrup (Hgg.): Politische Verfolgung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena von 1945 bis 1989. Wissenschaftliche Studien und persönliche Reflexionen zur Vergangenheitsklärung, Berlin: Metropol 2012
Jörg Müller: Strafvollzugspolitik und Haftregime in der SBZ und in der DDR. Sachsen in der Ära Ulbricht, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012
Rüdiger Wenzke: Ab nach Schwedt! Die Geschichte des DDR-Militärstrafvollzugs, Berlin: Ch. Links Verlag 2011
Mike Dennis / Norman LaPorte: State and Minorities in Communist East Germany, New York / Oxford: Berghahn Books 2011
Kirsten Gerland: Politische Jugend im Umbruch von 1988/89. Generationelle Dynamik in der DDR und der Volksrepublik Polen, Göttingen: Wallstein 2016
Sebastian Klinge: 1989 und wir. Geschichtspolitik und Erinnerungskultur nach dem Mauerfall, Bielefeld: transcript 2015
Thomas Großmann: Fernsehen, Revolution und das Ende der DDR, Göttingen: Wallstein 2015
Bernd Florath (Hg.): Annäherungen an Robert Havemann. Biographische Studien und Dokumente, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016
Bettina Effner / Helge Heidemeyer (Hgg.): Flucht im geteilten Deutschland. Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde, Berlin: BeBra Verlag 2005
Bernd Florath (Hg.): Die DDR im Blick der Stasi. Die geheimen Berichte an die SED-Führung 1968, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018
Der Sieg der Friedlichen Revolution über die SED-Diktatur 1989/90 hatte die Überwindung der heimtückischen Macht der kommunistischen Geheimpolizei, des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) mit seinen weit mehr als 250.000 offiziellen und inoffiziellen Mitarbeitern zur Voraussetzung. Dass dies ohne Blutvergießen gelang, grenzt auch aus heutiger Perspektive an ein Wunder und brachte die Notwendigkeit mit sich, sich mit Strukturen, Arbeitsweisen und Personal der "Stasi" grundlegend auseinanderzusetzen. Hier sind durchaus Fehler gemacht worden, so die zugelassene Aktenvernichtung der Auslandsspionage (HVA), doch es gab auch beachtliche Fortschritte, die besonders der Abteilung Bildung und Forschung der Behörde des/der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) zuzurechnen sind.
Gleichzeitig flammte immer wieder berechtigte und unberechtigte Kritik an der Tätigkeit dieser Forschungseinrichtung auf. Gravierend erscheint die Tatsache, dass die Arbeit an dem geplanten MfS-Handbuch, der "Anatomie der Staatssicherheit", noch immer nicht abgeschlossen ist. Der lange Bearbeitungszeitraum bringt es mit sich, dass selbst Spezialisten für dieses Thema den Überblick verlieren können und dass die ersten Teile der Edition angesichts des Forschungsfortschritts überholt und zu überarbeiten sind. In dieser unbefriedigenden Situation ist das jetzt erschienene "MfS-Lexikon" ein unverzichtbares Hilfsmittel zur Orientierung in einer unübersichtlichen Forschungslandschaft über die Geheimpolizei der SED. Es bildet in einem gewissen Sinne eine Klammer, die bisher weit verstreute Einzelkenntnisse zusammenfasst.
Die Lexikonartikel wurden von 37 Sachkennern, vor allem aus der Forschungsabteilung der BStU verfasst, und es gelingt ihnen zu zeigen, dass die Staatssicherheit nicht die DDR war, dass die SED ihre Diktatur aber ohne eine Geheimpolizei nicht aufrechterhalten konnte. Gleichzeitig prägte die unsichtbare Tätigkeit des MfS ganz wesentlich das Klima der Unsicherheit über eine umfassende Überwachung der Menschen in der kommunistischen Diktatur. Diese lebten zwar trotzdem ihren Alltag, konnten aber nie wissen, ob und in welchen Umfang ihr Leben geheim überwacht war.
In kurzen Überblicksdarstellungen zur Geschichte des MfS, zu seinen leitenden Personen, zur Struktur der Geheimpolizei und besonders zur inneren Organisation des immensen angehäuften Observations- und Spitzelmaterials sowie zu seinen internen Zugängen bietet das Lexikon einen guten Einstieg. Stichwörter zur Auseinandersetzung mit der Geheimpolizei nach Friedlicher Revolution und Wiedervereinigung sind - mit der Ausnahme der Strafverfolgung wegen MfS-Unrechts - nicht enthalten.
Umfang und Qualität der Sachartikel sind durchaus unterschiedlich. So ragen die Beiträge über die Volkswirtschaft als Überwachungsbereich, zu den Beziehungen zur Polizei und zur Nationalen Volksarmee heraus. Das gilt auch für die Texte über die Entführungen von Menschen aus dem Westen, über das Haftsystem des MfS und seine Bedeutung als Untersuchungsorgan beim Verdacht politischen "Fehlverhaltens". Die Übersicht über die hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeiter (die überwiegend SED-Mitglieder waren) ist präzise und informativ. Deutlich wird hier, dass die "Tschekisten" (wie sie sich selbst nach sowjetischem Vorbild nannten) nicht persönliche Vorteile verfolgten, sondern durch Korpsgeist und innere Überzeugung an die kommunistische Ideologie gebunden waren. Das ist auch der eigentlich Grund, dass sie in aller Regel keine Reue zeigen und bis heute schweigen.
Gezeigt wird ebenfalls, dass die Auslandspionage des Markus Wolf auch bei der Unterdrückung der inneren Opposition tätig war und dass sie dazu die Verbindung zu anderen kommunistischen Geheimdiensten pflegte. Besonders beeindruckend sind die Darstellung der internen Terminologie der Staatssicherheit und die der gegenseitigen Verweise auf geheime Strukturen, die auf den ersten Blick nicht immer als zusammengehörig erkennbar sind. Die Angaben zu den streng geheim gehaltenen internen Karteien und Findhilfsmitteln der Geheimpolizei sind äußerst wertvoll, um heute die Gründe für Schwierigkeiten bei Recherchen in den Akten der Staatssicherheit zu begreifen und zu überwinden.
Eine Vielzahl von Artikeln des Lexikons beschäftigen sich mit den Biographien der leitenden Mitarbeiter des MfS. Hier sind drei Gruppen zu unterscheiden: Da sind zuerst Menschen aus Arbeiterfamilien, die früh zur KPD der Weimarer Republik stießen und sich am antifaschistischen Kampf beteiligten. Einige emigrierten dann in die Sowjetunion, kämpften im spanischen Bürgerkrieg oder als Partisanen gegen die Wehrmacht. Andere warfen die Nationalsozialisten in Zuchthäuser und Konzentrationslagern. Nach 1945 kamen sie dann über den Aufbau der Polizei in der SBZ zum MfS. Eine andere Gruppe der späteren Generalität des MfS blieb während des Krieges in Deutschland politisch unauffällig und ging nach der Befreiung vom Nationalsozialismus ebenfalls den Weg über die Polizei zur Staatssicherheit. Dazu kommen als dritte Gruppe die in der DDR geborenen und nicht mehr an das Arbeitermilieu oder den Polizeiaufbau gebundenen Menschen, die allerdings altersbedingt bis zum Ende der Geheimpolizei nicht mehr in die obersten Ränge aufsteigen konnte. Allen drei Gruppen ist ein Spezifikum zu Eigen: Ihr "Karriereweg" führte sie zu einer "juristischen Ausbildung", die ganz überwiegend mit dem Doktorgrad der "Juristischen Hochschule" des MfS in Potsdam-Eiche abgeschlossen wurde. Darüber hinaus erhielten alle höchste Orden der DDR und der SED. Hier wird implizit erneut die Frage aufgeworfen, warum im deutschen Einigungsvertrag nicht zumindest die Abschlüsse und Titel der MfS-Hochschule aufgehoben worden sind.
Bedauerlich bei den Biographien im MfS-Lexikon ist, dass sie in der Regel mit der Auflösung der Geheimpolizei enden. Außerdem sind die Auswahlkriterien für die berücksichtigten Personen nicht eindeutig. So bleibt zu fragen, warum etwa der Leiter des Sekretariats des Staatssicherheitsministers, Generalmajor Hans Carlsohn, unerwähnt bleibt. Die Literaturangaben zu den einzelnen Artikeln sind selektiv. Dazu kommen einige wohl nicht zu vermeidende Fehleinschätzungen. Dazu zählt die Auffassung, dass die Inoffiziellen Mitarbeiter das wichtigste Repressionsinstrument des MfS gewesen seien; richtig wäre hier, die gesamte Geheimpolizei als Teil eines umfassenden Repressionsapparates zu benennen. Außerdem verwischt der undifferenzierte Begriff "Kirche" die Unterschiede zwischen den einzelnen Religionsgruppen in ihrem Verhältnis zur Diktatur.
Das Lexikon schließt ein informativer Dokumentenanhang mit Organigrammen, Übersichten und Tabellen ab, die Strukturen und Sachverhalte übersichtlich zusammenfassen. Überflüssig ist jedoch ein alphabetisches Stichwortregister, da das gesamte Nachschlagewerk ja bereits dem Alphabet folgend gegliedert ist. Dies mindert jedoch nicht den Wert des Lexikons als unverzichtbare Basis für unser Wissen über die Geheimpolizei in der kommunistischen deutschen Diktatur.
Rainer Eckert