Karen Haegemans: Imperial Authority and Dissent. The Roman Empire in AD 235-238 (= Studia Hellenistica; 47), Leuven: Peeters 2010, LX + 276 S., ISBN 978-90-429-2151-1, EUR 70,00
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Das dritte Jahrhundert n.Chr. ist schon seit einiger Zeit wieder verstärkt in den Blick der altertumswissenschaftlichen Forschung geraten, gilt es doch nach wie vor, die äußerst langlebige Forschungsthese von der "Reichskrise des dritten Jahrhunderts" kritisch zu hinterfragen. In den zahlreichen Publikationen werden denn auch vielfältige neue Bilder dieser so wechselvollen Epoche in der Römischen Kaiserzeit gezeichnet, von der weiterhin ineinandergreifende Krisensymptome annehmenden Vorstellung bis hin zur relativierenden Ansicht nur regional begrenzter Krisenerscheinungen innerhalb eines längerfristigen Transformationsprozesses. [1] Entscheidend für alle Analysen und Schlussfolgerungen ist dabei heutzutage die breite und interdisziplinäre Einbeziehung aller Quellengattungen und Analysemethoden, da uns die bloße literarische Überlieferung, allen voran die ungemein forschungsintensive Historia Augusta, mit ihrer durchweg konstruierenden und deutenden Gestaltung in vielen Bereichen im Stich lässt.
All dies, Forschungskontroverse wie Quellenproblematik, spiegelt sich paradigmatisch für den ersten der sogenannten Soldatenkaiser, Maximinus (Thrax) (235-238), ist doch die literarische Überlieferung (v.a. Herodian, Historia Augusta) sowie lange Zeit die sich auf diese stützende Forschung für dessen durchweg negatives Bild verantwortlich, ganz im Kontrast zur vorigen Herrschaft des letzten Kaisers der Severerdynastie, Severus Alexander (222-235). Diese Sichtweise zu revidieren und stattdessen die Fakten sprechen zu lassen, ist nun Karen Haegemans mit ihrer 2005 an der Universität Leuven eingereichten und nun in überarbeiteter Fassung gedruckt vorliegenden Dissertation angetreten. Mag nun der lange Zeitraum bis zum Erscheinen einige seit Einreichen der Arbeit erschienene Studien unberücksichtigt lassen [2], so ist doch ihre Grundthese, daß die Jahre 235-238 gerade keinen Bruch mit der vorigen severischen Zeit darstellen, sondern vielmehr eine seit dem Ende des 2. Jahrhunderts n.Chr. andauernde Entwicklung abbilden, nach wie vor im strukturgeschichtlich argumentierenden Forschungszweig zum 3. Jahrhundert n.Chr. in der (bejahenden) Diskussion.
In ihrer Einleitung (1-27) entfaltet Haegemans zunächst die These vom Kaiser Maximinus (Thrax) als Entwicklungsschritt innerhalb einer longue durée und bietet die bisherige Forschungssituation mit deren vielfältigen Deutungen dar. Ebenso widmet sie sich der diffizilen Quellenlage sowie der teilweise unklaren Chronologie der Ereignisse. Bei der literarischen Überlieferung bevorzugt sie Herodian gegenüber der Historia Augusta, behält jedoch bei beiden die intentionale und auf der Qualität der Vorlagen beruhende Darstellung im Blick. Die weiteren Quellengattungen, allen voran die epigraphische und numismatische, aber auch die papyrologische Überlieferung zieht sie im weiteren Verlauf methodisch wie analytisch sorgfältig heran.
Im ersten Kapitel (29-46) macht Haegemans einige Vorbemerkungen zu den angeblichen gesellschaftlichen Spannungen dieser Epoche, allen voran denjenigen zwischen Senatoren und Rittern, aber auch zwischen Militär und Zivilgesellschaft [3] sowie zwischen Kaiser und Untertanen. Da sie hier rein aus der Forschungsliteratur arbeitet und keine konkreten Belege für den von ihr behandelten Zeitraum vorbringt, reiht sich dieses Kapitel zwar in ihre Grundthese von der strukturgeschichtlichen Entwicklung ein, wirkt jedoch in konkretem Bezug auf die Herrschaft des zu behandelnden Kaisers wenig überzeugend, was Haegemans denn auch für das Verhältnis von Senatoren und Ritter unter Maximinus (Thrax) selbst konzediert (32).
Im zweiten Kapitel (47-78) widmet sich Haegemans dem cursus honorum des späteren Kaisers Maximinus (Thrax) bis kurz nach dessen Machtübernahme. Sie zieht dabei die richtigen Schlüsse aus den widersprüchlichen Quellenangaben, die einerseits eine niedere barbarische Herkunft annehmen, andererseits aber die rasche militärische Karriere sowie die Heirat mit Caecilia Paulina, einer Frau aus der Oberschicht, darbieten: Möglicherweise zwar von peregriner Herkunft, habe Maximinus nach Haegemans vor der Constitutio Antoniniana wegen seines nomen gentile Iulius bereits das römische Bürgerrecht erlangt und sei in Anbetracht seiner Karriere eher nicht aus den humiliores her stammend. Hernach schildert sie die militärische Situation nach der Ermordung des Severus Alexander in Mainz(-Bretzenheim) [4] und beurteilt zu Recht die militärischen Aktionen und dahinterstehenden sowie weitergehenden strategischen Überlegungen seitens des neuen Kaisers als positiv, was sie deutlich auch an den zahlreich auf uns gekommenen Meilensteinen aus den anfänglichen Krisenregionen Germanien und Donau erweisen kann.
Das in der literarischen Überlieferung als äußerst problematisch gezeichnete Verhältnis zwischen Kaiser und Senat nimmt das dritte Kapitel (79-111) ein. Hierbei entlarvt Haegemans das von den Quellen transportierte Spannungsverhältnis als ein zumindest teilweise späterhin konstruiertes, indem sie durch saubere Quellenanalyse, v.a. anhand der epigraphischen Überlieferung sowie mithilfe der prosopographischen Methode, aufzeigen kann, dass Maximinus (Thrax) keineswegs gegen den Senat agierte: Die rasche Anerkennung als Kaiser in Rom, das Fortführen bereits unter den Severern begonnener senatorischer Karrieren sowie die nicht systematisch erfolgte Verdrängung von Senatoren durch Ritter in administrativen Funktionen sprechen, soweit die fragmentarische Quellenlage dies erkennen lässt, dagegen. Mithin erweist Haegemans aber den anderen Politikfokus des neuen Kaisers, da dieser als Militär vor Ort, ohne konkrete Ambitionen nach Rom und damit zur zivilen Politik agiert habe, was dieser durch seine dynastische Strategie, ablesbar v.a. an den numismatischen Zeugnissen, nur teilweise habe kompensieren können.
Trotz der dürftigen Quellenlage und der teilweise noch ausstehenden Forschung, speziell zur Münzprägung und deren Feingehalt, zeichnet Haegemans im vierten Kapitel (113-130) pointiert die Finanzpolitik des Kaisers nach. Dass die Kosten der militärischen Aktionen nicht mit einer Entwertung des Geldes, sondern mit vermehrtem Steuerdruck kompensiert wurden, kann sie dabei durchaus glaubhaft machen. Insofern wäre auch das hier nicht behandelte, jedoch im vorigen Kapitel (104f.) als Ausnahme für die Ersetzung von Senatoren durch ritterliche Amtsträger angeführte Zeugnis des Ritters C. Furius Sabinius Aquila Timesitheus als Verwalter für die Erbschaftssteuer sowie den Zoll der Provinz Asia (und vorher für den Zoll der Provinz Bithynien-Pontus-Paphlagonien) noch einmal zu würdigen gewesen. [5]
Kapitel fünf (131-195) bietet eine detaillierte Analyse der turbulenten Ereignisse des Jahres 238 n.Chr.: Ausgehend von der Erhebung der iuvenes im nordafrikanischen Thysdrus gegen einen unbekannten Procurator wegen der dortigen Steuermaßnahmen diskutiert Haegemans die verschiedenen Deutungen des Aufstands in der Forschung. Sie kann dabei ein Bündel an Beweggründen, insbesondere ökonomische [6], für den Aufstand gegen Maximinus (Thrax) und für die Ausrufung des Statthalters der Provinz Africa Proconsularis, Gordians I., als Kaiser wahrscheinlich machen und setzt sich dabei deutlich von einseitigen Interpretationen wie z.B. der eines in Afrika geführten Klassenkampfes (M. Rostovtzeff) oder einer von Rom ausgehenden senatorischen Verschwörung (P. W. Townsend) ab. Ob hingegen die fehlenden Quellenhinweise auf eine solche konspirative Tätigkeit in Rom ein "major obstacle" (155) gegen diese Theorie sind, erscheint dem Rezensenten methodisch fragwürdig. Eine pointierte Analyse erfährt auch die Reaktion des zu Recht nicht als homogen bezeichneten Senats in Rom: Die XXviri ex senatūs consulto rei publicae curandae werden wohl richtig als Organ zur Verteidigung des Staates gegen den heranrückenden Maximinus gedeutet und, soweit bekannt, prosopographisch eingeordnet, wobei sich nach Haegemans kein bestimmter Schwerpunkt auf eine Senatorengruppe, eher ein repräsentativer Querschnitt durch den Senat erweisen lässt; die daraus nach dem Tod der beiden ersten Gordiane hervorgehenden "Senatskaiser" Pupienus und Balbinus waren laut Haegemans in ihrer Selbstdarstellung, v.a. in der Münzprägung und in Inschriften, auf "Gleichrangigkeit" bedacht; das Verhalten der Provinzstatthalter gegenüber den neuen Kaisern gestaltete sich regional sehr unterschiedlich, wobei die detaillierte Analyse in Appendix 2 (259-276) ausgelagert ist.
Kapitel sechs (197-211) und sieben (213-234) behandeln hernach das Ende von Maximinus (Thrax) sowie den weiteren Fortgang des Jahres mit dem baldigen Ende der beiden Senatskaiser und der Augustus-Erhebung von Gordian III. Während die chronologische Verwirrung innerhalb des Jahres in Appendix 1 (257f.) umsichtig geklärt wird, blickt Haegemans kritisch auf die allerdings quellenmäßig nur undurchsichtig überlieferte Taktik seitens Maximinus´ (Thrax) im bellum Aquileiense, in dessen Belagerungsverlauf er, sein Sohn und seine Berater Opfer der eigenen Truppen wurden. Eine strukturelle Erklärung erfährt auch das baldige Scheitern der beiden Senatskaiser: Diese hätten sich, nun nicht mehr durch einen gemeinsamen Feind geeint, durch ihre unterschiedliche Faktionszugehörigkeit zerstritten, die Ermordung sei die Folge des erneuten Aufbrechens von (strukturell bedingten) Grabenkämpfen gewesen. Nutznießer war dabei letztlich Gordian III., der jedoch aufgrund seines knabenhaften Alters nach Haegemans' quellenvergleichender kritischer Würdigung der umstrittenen Jordanes-Stelle (Iord. Rom. 282) wohl kaum in die Ermordung involviert gewesen ist.
Die pointierte Zusammenfassung (235-253) handelt noch einmal Stück für Stück die strukturellen Entwicklungen im 3. Jahrhundert unter den Schlagwörtern Kaiser, Senat, Ritter, Militär, Steuern und dergleichen ab und kann die anfangs aufgestellte These von der Kontinuitätswahrung innerhalb der Herrschaft des Kaisers Maximinus glaubhaft machen. Die derzeitige Quellenkenntnis, mit der Haegemans ebenso profund wie methodisch sicher umgeht, lässt hieran wohl auch kaum einen Zweifel ankommen, weshalb die Studie zu Recht als Ausgangspunkt für die weitere Diskussion um den Charakter des 3. Jahrhunderts n.Chr. genommen werden darf.
Anmerkungen:
[1] Einen guten Überblick hierzu liefert Th. Gerhardt: Forschung, in: Kl.-P. Johne (Hrsg.): Die Zeit der Soldatenkaiser. Krise und Transformation des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert n.Chr. (235-284), Band 1, Berlin 2008, 125-157.
[2] Vgl. dazu die Rezension von Chr. Körner, in: H-Soz-u-Kult v. 5.7.2010, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-3-011 (10.7.2011).
[3] Zum Verhältnis von Heer und Zivilgesellschaft wäre die grundlegende, da methodisch wegweisende Arbeit von O. Stoll: Zwischen Integration und Abgrenzung. Die Religion des römischen Heeres im Nahen Osten. Studien zum Verhältnis von Armee und Zivilbevölkerung im römischen Syrien und den Nachbargebieten, St. Katharinen 2001 (MAS; 3), heranzuziehen gewesen.
[4] Zum Ort der Ermordung vgl. die Kontroverse zwischen L. Schumacher (für Mainz-Bretzenheim) und A. Böhme-Schönberger (für eine Lokalisierung in Britannien): L. Schumacher: Die Sicilia in Mainz-Bretzenheim. Zur Lokalisierung der Ermordung des Kaisers Severus Alexander, Mainzer Zeitschrift 99 (2004), 1-10; A. Böhme-Schönberger: Wurde Alexander Severus in Bretzenheim ermordet?, Mainzer Zeitschrift 99 (2004), 11-16.
[5] Zu Timesitheus vgl. S. Günther: Vectigalia nervos esse rei publicae. Die indirekten Steuern in der Römischen Kaiserzeit von Augustus bis Diokletian (=Philippika 26), Wiesbaden 2008, 77 m. Anm. 458, 117 (mit der weiteren Literatur).
[6] Zur wirtschaftlichen Situation und Umgestaltung in den Provinzen unter römischer Herrschaft vgl. jetzt J. Hoffmann-Salz: Die wirtschaftlichen Auswirkungen der römischen Eroberung. Vergleichende Untersuchungen der Provinzen Hispania Tarraconensis, Africa Proconsularis und Syria (=Historia-Einzelschriften 218), Stuttgart 2011.
Sven Günther