Sylvie Tritz: "... uns Schätze im Himmel zu sammeln.". Die Stiftungen des Nikolaus von Kues (= Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte; Bd. 125), Mainz: Verlag der Gesellschaft für Mittelrheinische Kirchengeschichte 2008, 435 S., ISBN 978-3-929135-60-2, EUR 40,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Anton Legner: Der Artifex. Künstler im Mittelalter und ihre Selbstdarstellung. Eine illustrierte Anthologie, Köln: Greven-Verlag 2009
Bart Fransen: Rogier Van der Weyden and Stone Sculpture in Brussels, Turnhout: Brepols 2013
Stefan Gasser / Katharina Simon-Muscheid (Hgg.): Die spätgotische Skulptur Freiburgs i. Ue. im europäischen Kontext. Akten des Kolloquiums im Museum für Kunst und Geschichte Freiburg (15. - 17. Mai 2008), Fribourg: Société d'histoire du canton de Fribourg 2009
Anzuzeigen ist eine historische Qualifikationsschrift, die sich den Stiftungen des Nikolaus von Kues (1401-1464) widmet. Für Kunsthistoriker ist sie aus zwei Gründen interessant: Zunächst einmal liefert sie eine profunde Aufarbeitung der gesamten Legate des Moselaners, wobei die Autorin immer wieder konzise Einblicke in die Funktionsweisen der verschiedendsten Stiftungen gewährt. Aufschlußreich sind hier insbesondere die Vergleiche zu zeitgenössischen Stiftungen amtsnaher Personen. Zum anderen bemüht sich die Verfasserin, die mit den Stiftungen in Auftrag gegebenen künstlerischen Werke nicht nur vor dem Hintergrund des damaligen Stiftungswesens zu beleuchten, sondern sie auch in Gestalt und Funktion auf die individuelle Frömmigkeit des Stifters und Auftraggebers Cusanus zurückzuführen. Absicht der Arbeit ist es, "eine Darstellung und Analyse seiner Stiftungen als Planungsgesamtheit" (333) zu liefern und damit letztlich eine Untersuchung vorzulegen, die Rückschlüsse auf die Mentalität des Stifters zulässt (25).
Zu diesem Zweck teilt sie die Arbeit in zwei große Abschnitte, die die Stiftungen in Deutschland und in Italien getrennt untersuchen. Größten Raum wird natürlich der Stiftung des St. Nikolaus-Hospitals in Kues an der Mosel eingeräumt. [1] Diese ist im strengen Sinne eine Familienstiftung, da sie von mehreren Mitgliedern der Familie Krifftz/Krebs initiiert wurde (spätestens ab 1447, während die Stiftungsurkunde vom 3. Dezember 1458 datiert). Das noch heute existierende Hospital diente einer ständeübergreifenden Aufnahme von immerhin 33 Pfründnern von mindestens 55 Jahren. Die Pfründner sollten aus der näheren Umgebung kommen und in Anlehnung der Statuten der Windesheimer Kongregation in brüderlicher Gemeinschaft leben. Sowohl die Statuten als auch das ständeübergreifende gemeinsame Leben banden die Stiftung an die Vorstellungen dieses monastischen Zweigs der Devotio moderna zurück. In der Folge nutzt die Autorin die seit langem bekannte gedankliche Nähe des Reformtheologen zu der wohl wichtigsten Frömmigkeitsbewegung der ersten Jahrhunderthälfte als Leitfaden, um die weiteren Stiftungen zu interpretieren.
So testierte Cusanus für Deventer, den Ursprungsort der Bewegung, eine Studienstiftung. Die Stipendiaten der bursa cusana, die gemeinsam in Zweierreihen die Messe besuchen sollten und damit im Stadtbild Präsenz zeigten, sollten aus Orten kommen, in denen Nikolaus Pfründe besaß. Erkennbar werden hier zwei wichtige Memorialstrategien, die Nikolaus, jenseits der inhaltlichen Ausrichtung, mit all seinen Stiftungen verfolgte: Öffentlichkeitswirksamkeit und räumliche Streuung.
Aber auch der Bedeutung, die der geistlichen Bildung in der Reformbewegung zukam, wurde damit Rechnung getragen. Auch die weiteren Legate sieht die Autorin von den Devoten beeinflußt. So ist sie der Auffassung, dass für die Stiftung einer Kanzel in St. Wendel (1462) die Seelsorge Movens gewesen sei. Als "seelsorgerisch bemühter Reformer und Theologe" (242) schließlich habe Cusanus, seit 1450 Fürstbischof in Brixen, dort an der Kathedrale den Bau eines neuen Hallenchors (ab 1453) vorantreiben lassen. Absicht sei es gewesen, "eine Hierarchisierung des Kirchenraumes zugunsten seines liturgischen Zentrums" (243) zu schaffen, um somit die Vorrangstellung der Bischofskirche, die sich mit einer erheblichen Reduzierung der andernorts üblichen Wallfahrten verband, und die dort neu geübte Claritas in Fide zu visualisieren.
Beim Rezensenten bleiben jedoch Zweifel, ob der mit den oben beschriebenen Stiftungen verbundene Gestaltungswille wirklich greifbar, respektive sichtbar wird. Formal und funktional lassen sich die Werke mit den Reformbestrebungen durchaus in Einklang bringen. Ob aber der Bau einer spätgotischen Halle immer auf diese Absichten zurückzuführen ist, ist doch fraglich. Auch die damals sich häufenden Kanzelanbringungen spiegeln doch wohl eher das Bedürfnis nach Seelsorge der Gläubigen vor Ort, zumal Cusanus als Kommendatarpfarrer in seiner Pfründe gar keine Anwesenheitspflicht hatte. Die Kanzel erscheint in diesem Licht eher als schlichte Bringschuld.
Im zweiten Teil der Arbeit wird unter gleicher frömmigkeitsgeschichlicher Perspektive vor allem die Stiftung in S. Pietro in Vincoli untersucht, wo der zum Kurienkardinal aufgestiegene bürgerliche Moselaner bestattet werden sollte. Cusanus ließ in seiner Titularkirche einen Altar errichten, der die Kettenreliquien des Petrus barg (1465). Der Altar diente zugleich als Grabaltar, da ein der altniederländischen Formensprache verpflichtetes Relief an der Stirnseite den Stifter im Gebet zeigte. Eine für Rom ebenso ungewöhnlich gestaltete Grabplatte vervollständigte das Ensemble. Sylvie Tritz gelingt es in diesem Teil der Arbeit, die Werkgestalt mit einem konkreten Stifterwillen in Verbindung zu bringen. Denn für Ort und Formgelegenheit sind die distinkten Merkmale des Grabmalprojektes tatsächlich schlagend.
So sehr diese Darlegungen zu überzeugen vermögen, bleibt aber auch hier die Frage, inwieweit sich das reformtheologische Gedankengut gestalterisch niedergeschlagen hat. Diese Frage ist insoweit von Bedeutung, da - worauf die Autorin nicht müde wird hinzuweisen - keine von Nikolaus eingerichteten Anniversare bekannt sind. Er verzichtete damit auf die üblichen, auch zu akkumulierenden, liturgischen Memorialübungen. 'Trotz' seines Vermögens zielte er auf die vagen Aussichten, die ihm eine spontane Memoria von Pfründnern, Stipendiaten und Besuchern für sein Seelenheil einbrachte.
In Rom wird es dem Kardinal mittels der wohl noch berührbaren Reliquien im Grabaltar gleichwohl gelungen sein, Fürbitten in großer Zahl einzutreiben. Auch mit den Legaten in Deventer und vor allem in Kues sicherte er sich die Fortdauer der memorialen Leistungen in großer Zahl. Wie aber verhielt es sich mit der Qualität der Fürbitten? Diese Frage schließt sich bei der Betrachtung der Kunst-Werke zwanglos an, da spätestens seit Thomas von Aquin ein Zusammenhang zwischen Werkgestalt und Intensität des Gedenkens konstatiert wurde.
Eine Brechung der Sehgewohnheiten, wie sie Cusanus in Rom mittels des niederländischen Formenvokabulars gelang, ist für die deutschen Stiftungen nicht erkennbar. Denn sowohl die Kanzel in St. Wendel, als auch das Passionstriptychon vom Meister des Marienlebens in der Hospitalskirche in Kues sind formal konventionell. Man hätte daher an dieser Stelle gerne gewußt, ob sich in den umfangreichen Schriften des Kardinals nicht doch Überlegungen zum Nutzen der spontan geleisteten memorialen Übungen finden. Denn auch wenn keine selbst eingerichteten Anniversare bekannt sind, wollte Nikolaus bei den lässlichen Sünden nicht alleine auf die Gnade Gottes setzen. So hat er sich als frisch ernannter Kardinal umgehend die ihm zustehende Möglichkeit eines zweimaligen totalen Ablasses seiner läßlichen Sünden kodifizieren lassen (77).
Steht man am Ende der Lektüre, hat man daher den Eindruck gewonnen, dass Cusanus doppelgleisig fuhr. Einerseits folgt er der Logik einer "comptabilité de l'au-delà" (J. Chiffoleau), andererseits setzte er auf eine spontane Memoria derjenigen, deren Glaube mutmaßlich durch seine an der Reformbewegung orientierten barmherzigen Werke an Tiefe gewonnen hatten.
Eine Spur dieses Gedankenguts ist möglicherweise eine Sichtverbindung, die zwischen der Hospitalskirche und der ab 1494 errichteten, gleich einem Oratorium an der Südseite des Chores gelegenen Bibliothek besteht. Unterbricht man die Lektüre der Schriften des Cusanus und schaut durch die schrägen Gewände in den Kirchenraum, fällt der Blick auf das Herzgrabmal des Stifters von 1488 (129). Da diese Inszenierung mutmaßlich auf den letzten noch lebenden Familiaren Peter von Erkelenz zurückgeht, reflektiert sie vielleicht doch die Ideenwelt des Nikolaus von Kues. [2]
In der Summe bietet die Arbeit also viele Anstöße und ist nicht zuletzt aufgrund der sehr instruktiven Einblicke in das Stiftungswesen lesenswert.
Anmerkungen:
[1] Eine weitere Studie zur Geschichte des Hospitals unter institutions- und wirtschaftshistorischer Perspektive bietet: Meike Hensel-Grobe: Das St.-Nikolaus-Hospital zu Kues. Studien zur Stiftung des Cusanus und seiner Familie (15.-17. Jahrhundert), Stuttgart 2007. Vgl. dazu die Rezension von Thomas Frank: http://www.sehepunkte.de/2009/10/14999.html.
[2] Meike Hensel-Grobe denkt an eine mündliche Anweisung an Cusanus' Sterbebett. Vgl. dies.: Funktion und Funktionalisierung: Das St.-Nikolaus-Hospital zu Kues und die Erzbischöfe von Trier im 15. Jahrhundert, in: Funktions- und Strukturwandel spätmittelalterlicher Hospitäler im europäischen Vergleich, hg. von Michael Matheus, Stuttgart 2005, 195-211, Anm. 112.
Michael Grandmontagne