Empfohlene Zitierweise:

Sabine Panzram: "An einem Orte der ManchaÂ…" - der Archäologische Park von Segóbriga. Altertumswissenschaften und Politik. Einführung, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 9 [15.09.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/09/forum/an-einem-orte-der-mancha-der-archaeologische-park-von-segbriga-altertumswissenschaften-und-politik-147/

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Textes die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

"An einem Orte der Mancha…" - der Archäologische Park von Segóbriga. Altertumswissenschaften und Politik

Einführung

Von Sabine Panzram

Bekannt waren die römischen Ruinen schon seit langem. Als Don Quijote von dem Ort der Mancha, "dessen Namen nicht erinnert sein will", zu seinem Ausritt aufbrach, mag auch er am Cabeza del Griego (Saelices, Cuenca) vorbeigekommen sein, der sich auf der neukastilischen Hochebene, etwa 100 km südwestlich von Madrid, 857 m über NN, rund 80 m über dem Ufer des Gigüela, erhebt. Vielleicht hat er sich über die "antiguallas" gewundert, die seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bekannt waren, [1] und von denen Ambrosio de Morales, den Philipp II. mit der Abfassung einer Geschichte über "Las Antigüedades de las Ciudades de España" beauftragt hatte, 1574 berichten sollte: eine so genannte "curia" (es sollte sich um das Apodyterium der Thermen handeln) und ein "edificio redondo", das er treffend als Amphitheater bestimmte, erregten seine Aufmerksamkeit; er ordnete beide dem antiken Segobriga zu. [2] Philipps Interesse war mitnichten wissenschaftlicher Natur: Infolge der Reconquista sahen sich Krone und Kirche seit 1172 mit dem Problem konfrontiert, die Zuständigkeiten der Bischofssitze von Complutum, Ercávica, Segóbriga und Valencia in der Form wiederherstellen zu müssen, die sie vor Beginn der Eroberung des Territoriums durch die Araber gehabt hatten. Nun war zwar die Existenz Segobrigas, nicht aber seine exakte Lage bekannt - und genau die war von Bedeutung, weil es mit Segorbe einen weiteren Bischofssitz mit ähnlich lautendem Namen gab, der jedoch zu Valencia gehörte. Da der Primas von Toledo sich als Nachfolger des Metropoliten der westgotischen Provinz Carthaginensis sah, die Valencia einschloss, war eine Auseinandersetzung mit dem Erzbischof von Tarragona unvermeidlich, der das Bistum von Valencia mittlerweile als zu Tarragona gehörig ansah. Toledo ging also davon aus, bei Segobriga und Segorbe handele es sich um ein und dieselbe Stadt, während Tarragona das Gegenteil postulierte. Philipp erreichte schließlich bei Papst Gregor XIII. die Einrichtung des Bistums Segorbe in Abhängigkeit vom Erzbistum von Valencia.

Bis Mitte des 18. Jahrhunderts gerieten die Ruinen in Vergessenheit. Mit der Gründung der "Real Academia de la Historia" im Jahre 1738 durch Philipp V. gewinnt die Antike dann erneut an Interesse: Für die Abfassung einer "verdadera Historia Nacional", die die Geschichte der Nation frei von "fábulas" bieten soll, gilt es, jedwedes Zeugnis der (hi)spanischen Vergangenheit aufzunehmen und auszuwerten. [3] Die schriftliche Überlieferung zeigt - und darin stimmen die Gelehrten jetzt überein -, dass Segorbe und Segobriga keinesfalls identisch sind. Nun will man auch sehen, dass sich das antike Segobriga in Cabeza del Griego befindet. Die ersten Ausgrabungen fördern Grablegen im Bereich der so genannten westgotischen Basilika, Bauornamentik und Fragmente römischer Inschriften zutage; unter diesen findet sich zum Beispiel die Buchstabenfolge GOBR, die den Archivar des Ordens von Santiago, Juan Antonio Fernández, zu wahren Begeisterungsausbrüchen führt: "Estoy más ufano con este descubrimiento, que si hubiera hallado la cuadratura del círculo (…)." [4] Der "académico" José Cornide versucht sich im Jahre 1799 an einer endgültigen Beurteilung der alten Polemik. Sein Bericht lässt keinen Zweifel aufkommen, dass es sich bei Theater und Amphitheater, den Thermen und dem Heiligtum der Diana um die Überreste Segobrigas handelt, die der Architekt Melchor de Prado in einem topographischen Plan und in einer "Vista general del Cerro de Cabeza del Griego" festhält. [5]

Diese Überreste werden in den folgenden Jahrzehnten derart als Steinbruch missbraucht, das die Akademie sich 1830 gezwungen sieht, ein korrespondierendes Mitglied zur Überwachung abzustellen; schließlich erwirkt sie im Ministerium ein Verbot, Altertümer aus Segobriga zu entfernen. [6] Dem Vergessen, dem die Ruinen dann erneut anheim fallen, sollte sie erst wieder Martín Almagro Basch, der Direktor des Museo de Cuenca, entreißen, der im Jahre 1962 in Zusammenarbeit mit Francisco Suay, dem Bürgermeister von Valeria, mit Grabungen im Bereich des Theaters begann. [7] Neben einer regelmäßigen Fortführung dieser Aktivitäten hatte er die Restaurierung der einmal freigelegten Monumente im Blick und insbesondere ein Ziel vor Augen, das er auch erreichen sollte: den Erwerb des gesamten umliegenden Territoriums in einer Größenordnung von 100 Hektar durch den Staat und die Erklärung dieses Gebietes zum "Bien de Interés Cultural".

Eine Kontinuität im Sinne jährlich stattfindender Kampagnen im Umfang von mehreren Monaten (Juni bis Oktober) setzt allerdings erst 1995 ein. Auf dieses Jahr gehen auch die Planungen für ein Netzwerk von "Parques Arqueológicos de Castilla-La Mancha" zurück, die 2001 Gesetzesform annehmen. [8] Neben der keltiberisch-römischen Stadt Segobriga erhalten im Endeffekt drei weitere Ausgrabungsgelände diesen Status, und zwar die römische Villa von Carranque (Toledo), das westgotische Recópolis in Zorita de los Canes (Guadalajara) und die beiden "Erinnerungsorte" christlicher respektive muslimischer Präsenz, Alarcos und Calatrava (Ciudad Real). Als Ziel nennt die "Consejería de Educación y Cultura" neben der Erhaltung des kulturellen Erbes die wirtschaftliche Entwicklung dieser Regionen und den Schutz der Landschaft. Am 10. Juli 2002 wird der Archäologische Park von Segóbriga von José Bono, Präsident von Castilla-La Mancha, für die Allgemeinheit geöffnet; 80.000 Besucher zieht es seitdem Jahr für Jahr nach Saelices.

Dass die Beweggründe für archäologische Aktivitäten somit erneut politischer und wirtschaftlicher Natur waren, beeindruckte die Leitung nicht: Seit fünfzehn Jahren zeichnen Juan Manuel Abascal, Lehrstuhlinhaber für Alte Geschichte an der Universidad de Alicante, Rosario Cebrián in ihrer Funktion als Direktorin des Archäologischen Parks, und Martín Almagro-Gorbea von der "Real Academia de la Historia" für die Ausgrabungen verantwortlich. Sie führen den Park als "Unternehmen", das in den letzten Jahren beständig schwarze Zahlen schreibt: Im Theater finden Aufführungen und Konzerte für klassische Musik statt, die "área educativa" hält didaktisches Material für jedwede Altersstufe bereit. Unter ihrer Ägide wurde das Forum mit seinem spektakulären Statuenprogramm und einer Inschrift aus Bronzebuchstaben, die die Großzügigkeit eines [--- Proc]ulus Spantamicus dokumentiert, freigelegt und die Arbeiten in den Thermen und an der so genannten westgotischen Basilika wiederaufgenommen. Als sie 2004 die Kampagne in dem Bereich beginnen ließen, in dem man den Circus vermutete, ahnte niemand, dass dieser zu einem Teil über einer kaiserzeitlichen Nekropole angelegt worden war, die rund 200 Inschriften zu Tage fördern sollte!

Die Ergebnisse der Grabungen werden jährlich vorbildhaft in Form von Berichten (Abascal / Almagro-Gorbea / Cebrián / Hortelano 2008 und 2009; Abascal / Alberola / Cebrián / Hortelano 2010), das Material in Monographien vorgelegt. Experten aus dem In- und Ausland sind herzlich willkommen, sich an der Aufarbeitung des Materials oder der einzelnen Monumente zu beteiligen. So publizierte zum Beispiel Markus Trunk die Kapitelle des Forums (2008), Joaquín Ruiz de Arbulo et al. den Circus (2009) und Abascal et al. (2008) die Münzfunde. Im Museum finden Workshops und Kolloquien unter internationaler Beteiligung statt, die die lokalen Funde und Befunde mit solchen aus anderen Regionen der Iberischen Halbinsel und des Mittelmeerraums vergleichen (Abascal / Cebrián 2010). Gleichzeitig war Segóbriga von Beginn an auch virtuell verfügbar: eine ausgezeichnete Internetpräsenz erlaubt den Zugriff auf die erwähnten Publikationen, eine Bibliographie seit 1546, ein "museo virtual" mit sämtlichen Bauten und Fundstücken (Abascal / Cebrián et al. 2009).

Damit ist eine hervorragende Basis für weitergehende Forschungen geschaffen. Das alte Rätsel der Lokalisierung Segobrigas ist Dank auf dem Forum zu Tage geförderter epigraphischer Monumente - Dedikationen der Segobrigenser - bereits gelöst; [9] und das Bild der Stadt, die ihren Status als municipium schon vor 15 v. Chr. erhält und die Plinius caput Celtiberiae (nat. 3, 25) nannte, scheint schnell gezeichnet: mit ihren Mauern und ihrem Forum, Thermen und Theaterbauten, Circus und Nekropole - und nicht zuletzt den Minen, in denen der lapis specularis, die wirtschaftliche Grundlage des "Booms" im Laufe des 1. Jahrhunderts n. Chr., abgebaut wurde. Man kann nun auf neue Grabungsergebnisse warten und sich möglicherweise von vorrömischen Strukturen, Wohnbauten, Heiligtümern etc. überraschen lassen, aber man kann sich auch einmal intensiv mit den baulichen Überresten, Inschriften und Münzen auseinandersetzen, um sozial- oder mentalitätsgeschichtliche Fragestellungen zu entwickeln, sprich sich der historisch-anthropologischen Dimension römischer Lebenswelten zu widmen.

Dieses Jahr sollte sich die Frage, was zu diesem Zeitpunkt der Forschungen angebrachter scheint, jedoch erst gar nicht stellen. Juan Manuel Abascal und Rosario Cebrián blieb nur die letztgenannte Möglichkeit, da die konservative Volkspartei "Partido Popular" nach ihrem Erfolg in den Regional- und Kommunalwahlen im Mai das gemeinsam von der "Junta de Communidades" und dem "Servicio de Empleo de Castilla-La Mancha" finanzierte Programm SEPECAM aussetzte. Eine 16. Kampagne hat es somit nicht gegeben - nicht in Segobriga und auch in keinem der drei anderen Archäologischen Parks. Damit entzieht die Politik aber nicht nur den Altertumswissenschaften ihre entscheidende Grundlage, sondern nimmt einer ohnehin schon krisengeschüttelten Region die Hoffnung, sich zumindest mit dem Einkommen aus den römischen Ruinen ein Auskommen schaffen zu können. Die Folgen sind nicht abzusehen. Gerade angesichts der hervorragenden Arbeit, die in Segóbriga geleistet worden ist, bleibt zu hoffen, dass ein Kampf gegen Windmühlen auch gewonnen werden kann - oder sollte sich seit den Zeiten, in denen der Ritter von der traurigen Gestalt auszog, tatsächlich nichts geändert haben?

Anmerkungen:
[1] Der Epigraphiker und Arzt Luis de Lucena hatte 1546 von ihnen berichtet, siehe Ms. E 187 in RAH, fol. 297, nach G. Mora: Historias de mármol. La arqueología clásica española en el siglo XVIII, Madrid 1998, 92-95, hier 92 (= Anejos de Archivo Español de Arqueología; 18).
[2] Memorias de la RAH. Tomo III, Madrid 1799, 226-231, nach Mora 1998, 92.
[3] J. Sempere y Guarinos: Ensayo de una Biblioteca Española de los Mejores Escritores del Reynado de Carlos III. Tomo I. Edición facsímil, Madrid 1787, 63-71 [ND Madrid 1969].
[4] Memorias de la Academia de Buenas Letras de Sevilla. Tomo II, Sevilla 1843, 181-192, nach Mora 1998, 94.
[5] J. Cornide: Celtiberia. Viaje a Uclés y Saelices para reconocer las antigüedades de Cabeza del Griego y determinar la Geografía de la Celtiberia, in: J.M. Abascal / R. Cebrían: Los viajes de José Cornide por España y Portugal de 1754 a 1801, Madrid 2009, 203-228 (= Publicaciones del Gabinete de Antigüedades de la Real Academia de la Historia. Antiquaria Hispánica; 19. Catálogos de manuscritos de la Real Academia de la Historia; 4).
[6] Dazu R. Cebrián: Castilla-La Mancha y Madrid, in: M. Almagro Gorbea / J. Maier Allende (Eds.): 250 años de Arqueología y Patrimonio. Documentación sobre Arqueología y Patrimonio Histórico de la Real Academia de la Historia; Madrid 2003, 149-158 (= Publicaciones de Gabinete de Antigüedades de la Real Academia de la Historia. Comisión de Antigüedades: Catálogos e índices, IV.4; 14).
[7] Dazu M. Almagro Basch: Segobriga I. Los textos de la Antigüedad sobre Segobriga y las discusiones acerca de la situación geográfica de aquella ciudad, Madrid 1983 (= Excavaciones Arqueológicas en España; 1).
[8] 11888 Ley 4/2001, de diez de mayo, de Parques Arqueológicos de Castilla-La Mancha, in: BOE 148, 21.06.2001, 22305.
[9] Siehe die entsprechenden Belege unter http://www.ua.es/personal/juan.abascal/segobriga.html#La_ciudad_romana_de_Segobriga; von Interesse sind zudem http://www.ua.es/personal/juan.abascal/segobriga.html; http://www.segobrigavirtual.es/; http://www.patrimoniohistoricoclm.es/parque-arqueologico-de-segobriga/ [Zugriff: 11.09.2011].

Rezensionen