N. J. Crowson: Britain and Europe. A political history since 1918, London / New York: Routledge 2011, IX + 214 S., ISBN 978-0-415-40018-3, GBP 85,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Christopher Andrew: MI 5. Die wahre Geschichte des britischen Geheimdienstes. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer, Enrico Heinemann und Norbert Juraschitz, Berlin / München: Propyläen 2010
Martin Pugh: 'Hurrah for the Blackshirts!'. Fascists and Fascism in Britain between the Wars, London: Random House 2005
John Julius Norwich (ed.): The Duff Cooper Diaries. 1915-1951, London: Weidenfeld & Nicolson 2005
"Die Masse der britischen Bevölkerung versteht unter Europa jene fremden Länder, in denen die Leute auf dem Rechtsverkehr bestehen, jeden Morgen aller Welt die Hand schütteln, sich auf beide Wangen küssen und Entfernungen in Kilometern angeben; es sind Leute, die unverständliche Sprachen sprechen und sich von Hitler und Napoleon erobern ließen." [1] Mit diesen Sätzen erklärte der Schriftsteller und Journalist Anthony Sampson 1971 den deutschen Lesern das Verhältnis seiner Landsleute zu Europa wenige Monate nach der Einigung über den Beitritt Großbritanniens zur EWG. Obwohl das Land nun seit 40 Jahren Teil des europäischen Projekts ist, dürfte Sampsons Bestandsaufnahme nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben. Im Gegenteil: Trotz neuer Reisemöglichkeiten und einem deutlichem Anstieg des britischen Tourismus auf das europäische Festland bleiben entschiedene Pro-Europäer in Großbritannien eine kleine Minderheit. Immer weniger Schulkinder lernen eine europäische Fremdsprache und im öffentlichen Europa-Diskurs dominiert eine Abneigung gegenüber dem "Bürokratie-Monster Brüssel", die zwischen Skepsis und Verfolgungswahn changiert.
Das komplizierte und ambivalente Verhältnis Großbritanniens zu Europa in eine längerfristige historische Perspektive zu rücken, ist die Absicht von Nicholas Croswons neuem Buch Britain and Europe. A Political History since 1918. Der an der University of Birmingham lehrende Historiker grenzt sich mit diesem Untersuchungszeitraum explizit von Darstellungen ab, die vor allem den britischen Teil der Geschichte der europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg untersuchen. Dieser Standardansatz sei unzureichend, denn "by ignoring the British response to the continent during the 1920s and 1930s it fails to offer a longitudinal narrative that may explain why Britain appeared to be a reluctant participant in the European project after 1945." (7) Seine 200 Seiten lange Überblicksdarstellung richtet sich dabei als "text-book" vor allem an Studenten, basiert jedoch nicht nur auf Forschungsliteratur, sondern auch auf Archivquellen - neben Regierungsakten und Dokumenten aus Parteiarchiven vor allem Nachlässe konservativer Politiker, deren Verhältnis zu Europa der Autor bereits in einer früheren Studie untersucht hat. [2]
Das Buch gliedert sich in fünf Kapitel. Im ersten Kapitel zur Zwischenkriegszeit argumentiert Crowson, dass man die britische Außenpolitik zwischen Versailler Vertrag und Appeasement-Politik keineswegs als einen Bruch mit der Doktrin der "balance of power" in Europa sehen solle. Vielmehr habe die britische Diplomatie in Europa auf der Prämisse einer "limited liability" basiert. Der Schwerpunkt der Außenpolitik lag auf Empire und Freihandel; eine europäische Koalition gegen Hitler zu schmieden, sei gänzlich unrealistisch gewesen. Im zweiten Kapitel zeigt Crowson wie in der Nachkriegszeit auch in Großbritannien verschiedene Europa-Konzepte diskutiert wurden, die aber weitgehend am Prinzip eines beschränkten Engagements festhielten. Angesichts seiner kolonialen Sonderrolle müsse Großbritannien ein Unterstützer, dürfe aber kein Teilnehmer des europäischen Einigungsprozesses sein. Auf den Punkt gebracht hatte diese Haltung Winston Churchill bereits 1930 in einem Artikel für die Saturday Evening Post: "We have our own dream and our own task. We are with Europe, but not of it. We are linked but not comprised. We are interested and associated but not absorbed." (31) Wie sich diese Position änderte, zeigt der Autor im dritten Kapitel zur "Bewerbungsphase" Großbritanniens in Europa von 1961 bis 1975, in der erst der dritte Antrag Großbritanniens auf Beitrittsverhandlungen zur EWG von Erfolg gekrönt war. Die britischen Eliten erklärten eine Mitgliedschaft als eine ökonomische Notwendigkeit, die gleichzeitig neue strategische Möglichkeiten bieten würde, da man in Europa die alte Rolle des Vermittlers der "balance of power" wieder aufgreifen könne.
Das vierte Kapitel widmet sich der britischen Mitgliedschaft in der EWG (später EG und EU) vom Referendum 1975 bis zum Aufstieg New Labours 1997. Crowson lässt keinen Zweifel: Kaum waren die Briten in Europa dabei, waren sie auch schon dagegen. Insbesondere Margaret Thatcher nutzte "Europa" als Werkzeug für ihre Partei- und Innenpolitik. Doch dass Großbritannien europapolitisch wieder vornehmlich reagierte statt agierte, lag auch an dem sich beschleunigenden Einigungsprozess in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre. Dass Europa als ein dynamisches Konzept geplant war und europäische Institutionen zunehmend mit Kompetenzen ausgestattet werden sollten, hätten auch die lautstarken konservativen Euroskeptiker der 1980er und 1990er Jahre wissen können, so Crowson. Doch: "the difficulty was that there now existed a generation of politicians who conveniently suffered amnesia or who could be selective in their reading of history." (129) Im fünften und letzten Kapitel zu "Europe and New Labour" attestiert Crowson vor allem Tony Blair europäische Schizophrenie: Pro-europäische Rhetorik sei schnell Skepsis gegenüber dem europäischen Verfassungsprojekt und einer Ablehnung der EURO-Mitgliedschaft gewichen. Des Autors These dazu: "Behind all of this lay an apparent 'negativity' amongst 'public opinion' towards Europe which seems to have persuaded successive governments that it remains in their domestic interest to avoid becoming European positivists." (16)
Diese Feststellung ist sicher richtig, aber auch wenig weiterführend. Auch sonst bietet das Buch kaum überraschende Perspektiven und Erklärungen. Die kurzen Zusammenfassungen am Ende der Kapitel sind hilfreich, aber ein Gesamtfazit, das die Gedanken und Thesen des Autors hätte bündeln können, fehlt leider. Doch wer eine solide Einführung in das Thema auf einer guten Quellen- und Literaturbasis sucht, dem kann das Buch von Crowson empfohlen werden.
Anmerkungen:
[1] Anthony Sampson: Großbritannien und Europa, in: Der Spiegel, 18.10.1971.
[2] N.J. Crowson: The Conservative Party and European Integration since 1945: At the Heart of Europe?, London 2007.
Bernhard Dietz