Rezension über:

Nadine Müller: Kunst & Marketing. Selbstvermarktung von Künstlern der Düsseldorfer Malerschule und das Düsseldorfer Vermarktungssystem 1826-1860, Regensburg: Schnell & Steiner 2010, 333 S., ISBN 978-3-7954-2342-1, EUR 69,00
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Rezension von:
Matthias Lehmann
Universität Trier
Redaktionelle Betreuung:
Stefanie Lieb
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Lehmann: Rezension von: Nadine Müller: Kunst & Marketing. Selbstvermarktung von Künstlern der Düsseldorfer Malerschule und das Düsseldorfer Vermarktungssystem 1826-1860, Regensburg: Schnell & Steiner 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11 [15.11.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/11/18863.html


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Nadine Müller: Kunst & Marketing

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Das Buch ist ein Beitrag zur Geschichte des Kunstmarktes in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, zu der es bislang wenige Veröffentlichungen gibt. Den deshalb gespannten Erwartungen trägt die Verfasserin mit 286 Seiten Text einschließlich 1248 Fußnoten Rechnung, hervorgegangen aus einer Dissertation von 2009 an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.

Die Verfasserin beschreibt auf der Grundlage intensivsten Quellenstudiums, wie es zwei Künstler bewerkstelligt haben, ihre Arbeiten auch zu verkaufen. Zwar sind Robert Reinick mit seinen "Liedern eines Malers mit Randzeichnungen seiner Freunde" und Adolph Schroedter mit seinem breiten Angebotssortiment keine typischen Maler der Düsseldorfer Malerschule, doch das lässt die lebenswichtige Frage unberührt. Der freischaffende Künstler muss wie ein (Klein-)Unternehmer (15) die zweiseitige Aufgabe lösen: er erstellt einerseits Leistungen und er verwendet sie andererseits durch Abgabe an Dritte gegen Entgelt.

Der Verkauf einer Künstlerarbeit ist zugleich auch ein Beitrag zur Anerkennung der Künstlerpersönlichkeit und zur Geltung seines Werkes. Unter Betonung der ökonomischen Seite sprechen wir von der Marktstellung. Sie ist die Grundlage der Angebotspolitik eines Malers, die im einzelnen Angebot das jeweils Angebotene dem geforderten Entgelt gegenüberstellt. Erst eine herausgehobene Marktstellung gibt ihm die künstlerische Freiheit für das Angebotene und/oder für eine aktive Preispolitik.

Dieser Vorlauf soll den Leser auf die Problematik der methodischen Sichtweise der Verfasserin vorbereiten. Sie beschreibt im zweiten Kapitel eine Marketing-Konzeption, bestehend aus der Abfolge: Ziele, Strategien und Maßnahmen. Die Detaillierung dieser Komponenten (25 Seiten) ist zumindest für Kunsthistoriker sicher eine trockene, wenn nicht harte Kost. Das von ihr ausgesuchte Marketing-Konzept ist (wie andere der Literatur) ein Planungskonzept (32). "Planung" ist ein Sammelbegriff für vielfältige Aktivitäten und bezeichnet den zweckgerichteten Prozess des Verdichtens der Vorstellungen über Künftiges zu einem Konzept des nachfolgenden Handelns, welches als "Plan" beschlossen wird. [1] Davon unterscheiden sich die verwirklichenden Entscheidungen, die infolge des Flusses der Ereignisse häufig zu Planabweichungen führen.

Angesichts der fehlenden Informationen und der Unsicherheit der Zukunft geht ein derartiges Marketing-Planungskonzept von vornherein fehl für den Beginn des jungen Künstlers: er formuliert weder Ziele noch Strategien, noch hat er Auswahl bei seinen absatzpolitischen Maßnahmen. Er beginnt nicht mit einer überplanten Künstlerlaufbahn, sondern mit der Suche nach Mitteln und Wegen angesichts eines völlig unvorhersehbaren Lebensweges. Wer sich in Künstlerbiografien auskennt, ist weit davon entfernt, die Absatzseite der Betätigung in ein Planungskonzept zu Beginn umzudenken.

Die Bindung an das historische Material zwingt die Verfasserin, ihren Anspruch zu reduzieren (33). Es muss genügen, die Vergangenheit zu erklären, und das reicht bei weitem aus, dem Leser aus dem Quellenmaterial einen abwechslungsreichen Beitrag zur Kunst- und Wirtschaftsgeschichte zu erarbeiten.

Wie die Überschriften des dritten und vierten Kapitels belegen, ist der Verfasserin das zu wenig. Sie möchte die aus dem Material gewonnenen Ergebnisse weitergehend interpretieren als die Verwirklichung vorangegangener allgemeiner strategischer Marketingentscheidungen. Deren Gesamt versteht sie als Marketingkonzept, das infolge des eingeschlagenen Weges als Rekonstruktion bezeichnet wird. Diese Argumentationsweise ist zirkular: "Wie es sich ereignet hat, so ist es geplant gewesen und strategisch entschieden worden." Ihr Vorhaben, für zwei Künstler aus dem aufbereiteten Quellenmaterial jeweils ein Marketing-Planungskonzept zu Beginn der wirtschaftenden Betätigung zu rekonstruieren, kann sie nicht einlösen.

Das dritte Kapitel (60 Seiten) analysiert die Ausgangssituation. Einem Blick auf Düsseldorf 1826-1860 folgt der ausführliche Abschnitt (30 Seiten) über Kooperationen in der Produktion und in der Absatzpolitik der Akademieschüler. Dieser Gemeinschaftsaspekt der Düsseldorfer Malerschule wird in der Literatur stets erwähnt, jedoch trägt erst die Verfasserin die Vielzahl der Aspekte zusammen, fundiert mit dem fortlaufenden Nachweis aus den zeitgenössischen Quellen. Ein bewundernswerter Beitrag erfolgreichen Quellenstudiums sind die 40 Seiten über den Düsseldorfer Kunsthandel: die Verfasserin listet 37 Kunsthandlungen auf. Für Reinick und Schroedter hatten sie allerdings keine Bedeutung.

Das vierte Kapitel behandelt die "Rekonstruktion zweier Vermarktungskonzeptionen". Damit sind zwei nicht miteinander vergleichbare Vorhaben gemeint: ein Buchprojekt des Dichters Robert Reinick (40 S.) und das Leben des Malers Adolph Schroedter aus ökonomischer Sicht (90 S.).

Das erste Fallbeispiel betrifft die Publikation "Lieder eines Malers mit Randzeichnungen seiner Freunde" von Robert Reinick aus Danzig (1805-1852). Er war über Berlin nach Düsseldorf gekommen, um sich als Maler auszubilden. Er war jedoch bislang nicht als angehender bildender Künstler, sondern als Dichter und Mitherausgeber von Sammlungen bekannt geworden (176).

Reinick hatte im April 1836 die Idee, eine Auswahl aus seinen lyrischen Gedichten von seinen Düsseldorfer Malerkollegen mit Randzeichnungen illustrieren zu lassen. Er fand keinen Verleger und entschloss sich, das Projekt in eigener Regie und auf eigene Rechnung durchzuführen, zumal er in der Lage war, die Druckkosten aus eigenen Mitteln zu finanzieren.

Ohne auf Reinicks Produkt- und Absatzentscheidungen hier im Einzelnen einzugehen, ist von dem finanziellen Erfolg zu berichten: etwa 2.000 Taler für zwei Jahre Arbeit, Eigenkapitalverzinsung und Projektrisiken.

Unter der Überschrift "Die Selbstvermarktung von Adolph Schroedter" behandelt die Verfasserin die künstlerische Betätigung als Maler, Radierer, Kupferstecher und Lithograf aus ökonomischer Sicht. Vermarktet werden nicht etwa die Person, sondern die vom Künstler geschaffenen Werke!

Adolph Schroedter war 1805 in Schwedt an der Oder geboren. Er ging 1820 nach Berlin und die finanzielle Not der Ausbildungszeit zwang ihn, seine breit angelegten Fähigkeiten in den verschiedenen künstlerischen Techniken auszubilden. Der Malerei konnte er sich erst mit dem Wechsel 1829 nach Düsseldorf widmen. Hier war er Schüler und dann bis 1845 Meisterschüler von Wilhelm von Schadow.

Dieser formulierte: "Welcher Künstler weiß nicht, dass auf seinem Ruf sein Erwerb beruht!" Damit sprach er die Zweiteiligkeit des Lebenszieles einer künstlerischen Betätigung aus und zugleich deren Wechselbeziehungen. Anerkennung der Person und Geltung ihrer Werke auf der einen Seite und Verkäufe der Kunstwerke gegen Entgelt auf der anderen Seite fördern sich wechselseitig, wenn der junge Künstler seine "Marktphase" beginnt. Der Ökonom spricht von der Marktstellung, die sich der Künstler aufzubauen bemüht und die vor allem von den Verkäufen alimentiert wird, wie sie dann umgekehrt den künftigen Verkäufen den Weg erleichtert. Künstlererfolg (Reputation) und Markterfolg (Einkommen) entwickeln sich verknüpft miteinander auf nicht voraussehbare Weise und höchst empfindlich gegenüber Außeneinflüssen. So erreichte diese Symbiose für Adolph Schroedter schon nach einem Jahrzehnt ihren Höhepunkt. Ersichtlich verfolgt die Verfasserin eine außerordentlich wichtige und höchst interessante Fragestellung, wenn sie den Künstler-Lebensweg von dessen ökonomischer Seite aus den Quellen erforscht.

Es folgt der Abschnitt "Adolph Schroedters Ausgestaltung des Instrumenteneinsatzes" (211-267). Damit sind die absatzpolitischen Maßnahmen gemeint, um die möglichen Kunden zu erreichen und zum Abschluss eines Kaufvertrages zu bewegen. Diese Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungen für das Einzelunternehmen "Künstlerwerkstatt Adolph Schroedter" erarbeitet die Verfasserin mit einer einnehmenden Gründlichkeit und Umsicht. Eine solche Ausarbeitung der Absatzpolitik zur ökonomischen Monografie eines Malers dieser Jahrzehnte gibt es bislang für keinen anderen Künstler. Ihre besondere wissenschaftliche Leistung besteht darin, das umfangreich zusammengesuchte Quellenmaterial ordnend auszuwerten, das heißt in diesem Abschnitt auf die Gruppen der absatzpolitischen Instrumente zuzuordnen. Der Mangel - den sie nicht zu vertreten hat - ist das Durcheinander dieser Gruppen. [2] Der (1) Leistungsgestaltung hätte (4) die Preispolitik gegenübergestellt werden müssen, weil "Leistung gegen Entgelt" der Kern der Absatzwirtschaft ist. Dieses Paar bildet vorab das Vertragsangebot und wird dann gegebenenfalls zum abgeschlossenen Vertrag.

Außerhalb der Angebotspolitik ist die Teilnahme an Kunstausstellungen das wichtigste absatzpolitische Mittel des freischaffenden Künstlers. Die Teilnahme ist erst einmal Werbung, weshalb sich (3) die Kommunikationspolitik hätte anschließen sollen, während der damit verbundene Ort des Angebotes und damit (2) die Distributionspolitik nachrangig folgt und sich nur noch auf den Vollzug der abgeschlossenen Verkaufsverträge bezieht. Die mit den eingeklammerten Zahlen (1) - (4) - (3) - (2) erfasste Abfolge im Text der Verfasserin zeigt, dass die Preispolitik an 2. Stelle und die Distributionspolitik an 4. Stelle hätte stehen sollen, um die Beziehungen zwischen den Gruppen der absatzpolitischen Instrumente zu berücksichtigen.

"Die ausführliche Beschreibung und Analyse der Ausformung der einzelnen Marketinginstrumente" genügen der Verfasserin nicht. Sie verwendet sie weitergehend als Grundlage, um strategische Entscheidungen zur Absatzpolitik zu rekonstruieren (267). Damit möchte sie ihre bereits absatzpolitisch geordneten Ergebnisse auch auf der abstrakteren Strategie-Ebene dieser entsprechend ordnen, nachvollziehend erklären und fachsprachlich benennen. Ihr Anspruch geht noch darüber hinaus: Schroedter soll marktstrategische Entscheidungen getroffen haben, was ein Planungskonzept voraussetzt. Diesem Höhenflug eines überplanten absatzwirtschaftenden Handelns des Künstlers traut die Verfasserin jedoch selbst nicht: "Es darf nicht angenommen werden, dass er sich dezidiert und bewusst hingesetzt hat, um seine Vermarktung und Profilbildung langfristig zu planen und streng systematisch zu realisieren." (279)

Höchst verdienstvoll sind die Aufbereitung des umfangreichen Quellenmaterials und die Ordnung der Ergebnisse nach absatzwirtschaftlichen Aspekten. Die weitergehende Absicht, aus dem ökonomischen Ablauf der künstlerischen Betätigung rückblickend ein Marketing-Planungskonzept ex ante zu rekonstruieren, scheitert daran, dass sich aus dem greifbar gewordenen Ereignisablauf nicht nachträglich der Rückschluss ziehen lässt, dass er so zuvor geplant gewesen sei.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Matthias Lehmann: Absatzwirtschaft, 2. Aufl. Heidelberg 2003, 329.

[2] Vgl. dazu Lehmann 2003, 337-370.

Matthias Lehmann