Rezension über:

Ingrid Renée Vermeulen: Picturing Art History. The Rise of the Illustrated History of Art in the Eighteenth Century, Amsterdam: Amsterdam University Press 2010, 359 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-90-8964-031-4, EUR 49,50
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Caecilie Weissert
Institut für Kunstgeschichte, Universität Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Caecilie Weissert: Rezension von: Ingrid Renée Vermeulen: Picturing Art History. The Rise of the Illustrated History of Art in the Eighteenth Century, Amsterdam: Amsterdam University Press 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11 [15.11.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/11/19231.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Ingrid Renée Vermeulen: Picturing Art History

Textgröße: A A A

Kein Kunstverlag würde heute eine Geschichte der Kunst herausgeben und darauf verzichten, das geschriebene Wort durch Abbildungen zu unterstützen, zu belegen oder zu erweitern. Dem war aber nicht immer so. Erst Ende des 18. Jahrhunderts wurden Bücher herausgegeben, in denen Text und Bild dazu beitrugen, Verlauf und Höhepunkte der Entwicklung der Kunst aufzuzeigen. Picturing Art History nimmt genau die Voraussetzung und Anfänge einer Kunstgeschichtsschreibung in den Blick, die nicht mehr ohne Abbildungen auskommen kann und will.

Eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine illustrierte Kunstgeschichte sieht Ingrid R. Vermeulen in der Beschäftigung der Autoren und Herausgeber mit grafischen Sammlungsbeständen. Ziel der Untersuchung ist daher die Herleitung der Kunstgeschichte, verstanden als eine Geschichte der künstlerischen Weiterentwicklungen, aus den Ordnungskriterien grafischer Sammlungen. Vier zentrale Fragen stellen sich: Welche Sammlungstypen erschienen im 17. und 18. Jahrhundert als besonders geeignet zur Visualisierung einer Geschichte der Kunst? Wie konnte Kunstgeschichte mit diesen sichtbar gemacht werden? Was haben grafische Sammlungen mit der damals neuen Disziplin der Historiografie der Kunst zu tun und in wie weit können Handzeichnungen und Grafiken überhaupt als repräsentativ für eine Geschichte der Kunst herangezogen werden?

In vielschichtiger Argumentation geht die Untersuchung den Fragen an drei Fallbeispielen nach. Den Anfang macht der römische Antiquar Giovanni Gaetano Bottari und sein nicht realisiertes Projekt einer illustrierten Ausgabe der Viten des Giorgio Vasari aus den 1750er-Jahren. Für den Plan, den Fortschritt der Kunst auch visuell durch Grafiken belegen zu können, arbeitete er mit dem Grafikbestand der Sammlung Corsini. Auch Johann Joachim Winckelmanns Konzept einer Geschichte der Kunst des Altertums sei, so die These, maßgeblich durch das Studium der Handzeichnungen in der Sammlung des Antikenrestaurators Bartolomeo Cavaceppi geprägt worden (91). Als Beispiel einer publizierten Sammlung wird Jean-Baptiste Séroux d'Agincours Darstellung einer Geschichte der Kunst in seinem Buch Histoire de l'art par les monuments (1810-23) vorgestellt, in dem die Kunst des Mittelalters erstmals durch die Werke selbst geschildert wird.

Die Untersuchung verbindet nicht nur, wie die Autorin betont, zwei (7), sondern im Grunde sogar drei Themenbereiche: die Geschichte des Sammelns grafischer Künste, den Weg von einer Künstlergeschichte zu einer Geschichte der Kunst, also von der Kennerschaft zur Wissenschaft und das Entstehen des Kunstbuchs, in welchem die Verbindung von Bild und Text die Bedingung für eine überzeugende Darstellung der Kunstentwicklung darstellt. Die Bearbeitung eines so breiten Feldes wird möglich, da die Forschung in den letzten 20 Jahren einschlägige Werke zur Geschichte des Sammelns grafischer Künste, zur Historiografie der Kunstgeschichte, zum Kunstbuch und zur Reproduktionsgrafik im 18. und 19. Jahrhundert vorgelegt hat. [1] Die Fragen, was die einzelnen Forscher mit den Grafik- und Zeichnungskonvoluten gemacht haben, welche Funktion sie im Wandel von einer Künstlergeschichte der Kenner zu einer Kunstgeschichte als Wissenschaft haben und nach dem so gewonnenen Erkenntnisgewinn, knüpfen an aktuelle Fragen der Forschung zur Sammlungsgeschichte an. [2] Der Fokus auf die grafischen Sammlungen, in denen Ordnungsschemen nach Künstlern, Schulen und eine Chronologie der Werke der geschriebenen Geschichte der Kunst vorgängig waren (16), lenkt die Aufmerksamkeit auf einen von der Forschung vernachlässigten Ausgangspunkt. Hier wird das breite Spektrum der Voraussetzungen (Philosophie, Kunsttheorie, Galerie- und Museumsfragen, Paläografie, Glyptik, Archäologie, Naturwissenschaften) um ein Segment erweitert.

Die Stärken des Bandes liegen in dem sehr differenzierten Blick, mit dem die Autorin die Bemühungen nachzeichnet, die Diskussion um die Kunst von einer von Vasari geprägten Künstlergeschichte zu lösen. Da Vasari den Gang des künstlerischen Fortschritts in den Viten (1550) bereits beschreibt, ist hier kein Bruch, sondern ein fließender Übergang zu konstatieren (265). Die Bedeutung der grafischen Sammlungen für diesen Prozess liegt in deren Offenheit und Beweglichkeit, die es zuließen, dass neue Erkenntnisse und neues Wissen anhand unterschiedlicher Zusammenstellungen gewonnen werden konnten.

Den Übergang von der Künstlergeschichte zu einer Geschichte der Kunst allein aus den Sammlungen europäischer Handzeichnungen und Grafiken zu erklären, widerspricht der Beobachtung, dass die Historisierung der Kunstbetrachtung sich im intensiven Austausch mit anderen Wissensgebieten herausbildete. [3] Winckelmanns Geschichte der Kunst des Altertums (1764) lässt sich nicht schlüssig aus der Beschäftigung mit der Sammlung von Handzeichnungen erklären. Den Gang der Geschichte belegen ihm gerade nicht die bekannten europäischen Werke. Die Kunstbetrachtung musste offenbar erst durch die Anonymität der antiken Denkmäler - daher auch die große Popularität der antiken Vasen und der Werke des Mittelalters - durchgehen, um sich von Normen und Werten der Kunsttheorie und der Kennerschaft zu lösen und eine Ordnung der Kunst nach ihren Denkmälern praktisch umsetzbar zu machen. [4]

Die Untersuchung von Ingrid R. Vermeulen veranschaulicht nachdrücklich, auch mitunter in der für den Leser verwirrenden Vielfalt der angeschnittenen Themen, Namen und Daten, die Verwobenheit und Vielschichtigkeit der Argumente in dem Ringen um eine adäquate Ordnung und Visualisierung der künstlerischen Vergangenheit. Sie zeigt einmal mehr, dass eine Aufteilung des Sammelns von Zeichnungen, Grafiken und grafischen Reproduktionen in deren Publikationstypen (Sammlung, Galeriewerk, Mappenwerk, Kunstbuch, Kunstgeschichte) historisch gesehen nicht zu stark betont werden sollte. Picturing Art History stellt so einen lesenswerten und anregenden Beitrag dar, der den Weg zu einer Kunstgeschichte nachgeht, in der Bild und Text gleichberechtigte Partner sein sollen.


Anmerkungen:

[1] Aus der breiten Literatur seien stellvertretend nur wenige Titel genannt: Francis Haskell: History and its images: art and the interpretation of the past, New Haven 1993; Hubert Locher: Kunstgeschichte als historische Theorie der Kunst, München 2001; Katharina Krause (Hg.): Bilderlust und Lesefrüchte. Das illustrierte Kunstbuch von 1750 bis 1920, Leipzig 2005.

[2] Siehe z.B. Anke te Heesen / Emma C. Spary: Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung, Göttingen 2001.

[3] Gabriele Bickendorf: Die Historisierung der italienischen Kunstbetrachtung im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 1998, 10.

[4] So bildet Winckelmann aus der "Menge der Objekte der griechischen Plastik ein gemeinsames Gesetz der formalen Gestaltung". Vgl. Locher 2001 (wie Anm. 1), 119.

Caecilie Weissert