Rezension über:

Gonzalo Pasamar: Apologia and Criticism. Historians and the History of Spain, 1500-2000 (= Hispanic Studies: Culture and Ideas; Vol. 30), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2010, VII + 293 S., ISBN 978-3-03911-920-2, EUR 45,20
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Rezension von:
Carl Antonius Lemke Duque
Institut für Europäische Geschichte / Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Carl Antonius Lemke Duque: Rezension von: Gonzalo Pasamar: Apologia and Criticism. Historians and the History of Spain, 1500-2000, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11 [15.11.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/11/20018.html


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Gonzalo Pasamar: Apologia and Criticism

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Der an der Universität Zaragoza als Titularprofessor für Zeitgeschichte lehrende Gonzalo Pasamar Alzuria (Jahrgang 1959) gilt in der internationalen Forschung als Experte für die Geschichte der Spanienhistoriographie. [1] Bereits 1986 promovierte er sich zu diesem Thema bei dem Conze-Schüler und Mommsen-Übersetzer Juan José Carreras Ares (1928-2006). [2] Seitdem sind die von Pasamar zu diesem Forschungsfeld veröffentlichten Einzeluntersuchungen [3], Aufsätze [4] und Sammelbände bzw. Lexika [5] auf eine beachtliche Zahl angewachsen.

Vor dem Hintergrund der seit Ende der 1990er Jahre anhaltenden Debatte um "Spanien - Nation aus Nationen" [6] widmet sich Pasamar in seiner neuesten, auf Englisch verfassten Untersuchung jedoch nicht nur dem in diesem Zusammenhang konstatierten "lack of synthesis offering a general overview [...] of the development of Spanish historiography" (2), sondern kombiniert seine vier - chronologisch von 1500 bis zur Jahrtausendwende reichenden - spanienhistoriographischen Hauptkapitel mit einem zweiten Fokus zum "issue of the professionalization of historians" (6).

Im Vergleich zu den Kapiteln drei und vier, die sich mit den langfristigen Modernisierungsschüben der spanischen Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts beschäftigen, sind die ersten beiden Kapitel zur Genese der essentialistischen, kastilienzentrierten Spanienidee bei Juan de Mariana (1536-1624) (26ff.), ihrer ambivalenten politischen Instrumentalisierung durch die Aufklärung (43ff. und 58ff.) und hohen Persistenz in Form einer "internal" bzw. "Spanish constitution" bis in die Romantik (79, 96f. und 99ff.) zwar umfangreicher, aber leider deutlich schwächer strukturiert. Dies hat zur Folge, dass die beabsichtigte Korrektur der unter anderem bei Ricardo Garcίa Cárcel (Jahrgang 1948) vertretenen These der Spanienidee als "mere invention of the nineteenth century" (4) auch aufgrund des deskriptiven und iterativen Grundstils der Studie nur in Ansätzen gelingt.

Unter dem Stichwort "New Institutions for New Times" erfolgt dann im zweiten Kapitel ein unvermittelter Sprung in die "Beginnings of Spanish Professional Historiography" (108-114) rund um die Generación de 1914, das Centro de Estudios Historicos und die Junta para Ampliación de Estudios, der auch im nachgeschobenen Unterkapitel über den "krausopositivistischen Vorlauf" (146-165) des - durch institutionalisierten Wissenschaftleraustausch mit Europa und massiven Wissenschaftsimport getragenen- Bemühens um eine moderne Historiographie leider viel zu allgemein bleibt. [7]

An diesem Darstellungshorizont, der die Studie letztlich auf das Niveau einer Einführung drückt, ändert sich in den Kapiteln 3 und 4 leider wenig. Sowohl die geradezu oberflächlichen Bemerkungen zum zweifelsohne renommiertesten Modernisierungsmotor im Spanien des 20. Jahrhunderts - der Revista de Occidente und ihrem Mitarbeiterkreis (176-181) - als auch die zu dessen Ausläufern in die Zeit des frühen Franquismus (199-205) besitzen in Pasamars Studie keine kritisch-analytische Qualität. Selbst bei den umfangreicheren Ausführungen zur Spanienkritik bei Americo Castro Quesada (1885-1972) fällt die - immerhin festgestellte - Kontinuität des Denkrahmens zur Historiographie in Spanien (182, 190 und 223) hinter den Stand der neueren Forschung zurück (205-232). [8]

Für ein wirklich profundes Urteil über das enge Miteinander von Impulsen und Gegenkräften beim Durchbruch der modernen Wissenschaften und Wissenschaftspraxis in Spanien wird man wohl auch bei den abschließend von Pasamar behandelten jüngeren Fachvertretern wie Jaume Vicens Vives (1910-1960) oder Antonio José Antonio Maravall Casesnoves (1911-1986) auf neue Ergebnisse der Forschung warten müssen. [9]


Anmerkungen:

[1] Vgl. u.a. W. L. Bernecker / S. Brinkmann: Zwischen Geschichte und Erinnerung. Zum Umgang mit der Zeitgeschichte in Spanien, in: Zeitgeschichte als Problem. Nationale Traditionen und Perspektiven in Europa, hg. von A. Nützenadel / W. Schieder, Göttingen 2004, 78-106.

[2] Vgl. G. Pasamar: Historiografίa y práctica social en España, Zaragoza 1987 - als Digitaldruck wieder aufgelegt 2003 bei Prensas Universitarias-Onix 21 Editorial.

[3] Vgl. ders.: Historiografίa e ideologίa en la posguerra española. La ruptura de la tradición liberal. Zaragoza 1991 - als Digitaldruck wieder aufgelegt 2003 bei Prensas Universitarias-Onix 21 Editorial; sowie ders.: La historia contemporánea. Aspectos teóricos e historiográfίcos, Madrid 2000.

[4] Vgl. u.a. ders.: La operatividad de las categorίas historiográficas. Problema epistemológico o histórico?, in: Arbor. Ciencia, Pensamiento y Cultura 502 (1988), 63-86; ders.: La invención del método histórico y de la historia metódica en el siglo XIX, in: Historia Contemporánea. Universidad del Paίs Vasco 11 (1994), 183-213; ders.: Los historiadores españoles y la reflexión historiográfica (1880-1980), in: Hispania. Revista Española de Historia 198 (1998), 13-48; sowie ders.: La influencia de Annales en la historiografίa española durante el franquismo. Un esbozo de explicación, in: Historia Social 48 (2004), 149-172.

[5] Vgl. ders. / I.Peiró Martίn (eds.): La Escuela Superior de Diplomática (los archiveros en la historiografίa española contemporánea), Madrid 1996; sowie G. Pasamar / I. Peiró Martίn (eds.): Diccionario Akal de historiadores españoles contemporáneos (1840-1980), Madrid 2002.

[6] Vgl. vor allem A. M. Garcίa Rovira (ed.): España, nación de naciones, Madrid 1999 bzw. 2002.

[7] Zum vormodernen Charakter der Philosophie Krauses und der ambivalenten Geschichte seiner Rezeption in Spanien vgl. J. Abellán: Sobre la recepción de Krause en España: la continuidad del derecho natural tradicional, in: España y Alemania. Percepciones mutuas de cinco siglos de historia, hg. von M. A. Vega Cernuda/ H. Wegener, Madrid 2002, 131-144, hier vor allem 137ff. und 143f.; sowie J. M. Vázquez-Romero: Sociedad, derecho y ciencia en los escritos de Giner de los Rίos, in: Krause, Giner y la Institución libre de Enseñanza. Nuevos estudios, hg. von P. F. Álvarez Lázaro/ J. M. Vázquez-Romero, Madrid 2005, 107-129, hier 112 und 124f.

[8] Vgl. dazu von Martin Baumeister und Bernhard Teuber herausgegebene "Americo Castro"-Dossier der Iberomamericana 38 (2010); hier vor allem deren "Presentación" 91-97, insbesondere 93f.

[9] Vgl. Antolίn A. Hofrichter: Spanish History of Historiography - Recent Development, in: History Compass 8 (2010), 668-681 bzw. das im Abschluss befindliche FRIAS-Dissertationprojekt Antolίns "Vom katholischen Imperium zur gescheiterten Industrialisierung: Geschichtswissenschaft und franquistische Wissenschaftspolitik im Zeichen des Desarrollismo (1950-1975)".

Carl Antonius Lemke Duque