Sönke Lorenz / Anton Schindling / Wilfried Setzler (Hgg.): Primus Truber 1508 - 1586. Der slowenische Reformator und Württemberg. Eine Veröffentlichung der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Stuttgart: W. Kohlhammer 2011, 452 S., ISBN 978-3-17-021273-2, 48,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Kurt Andermann / Sönke Lorenz (Hgg.): Zwischen Stagnation und Innovation. Landsässiger Adel und Reichsritterschaft im 17. und 18. Jahrhundert. Drittes Symposion "Adel, Ritter, Ritterschaft vom Hochmittelalter bis zum modernen Verfassungsstaat" (20./21. Mai 2004, Schloß Weinsberg), Ostfildern: Thorbecke 2005
Georg Schild / Anton Schindling (Hgg.): Kriegserfahrungen - Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit. Neue Horizonte der Forschung, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2009
Albrecht Ernst / Anton Schindling (Hgg.): Union und Liga 1608/09. Konfessionelle Bündnisse im Reich - Weichenstellung zum Religionskrieg?, Stuttgart: W. Kohlhammer 2010
Primus Truber, vermutlich am 9. Juni 1508 in Rasica/ Raschitz (bei Ljubljana/ Laibach) geboren und am 15. Juni 1586 nach langjähriger Tätigkeit als Pfarrer der St. Gallus-Kirche in Derendingen (heute ein Ortsteil von Tübingen) verstorben, vermag in hohem Maße die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich zu ziehen - davon zeugt die umfangreiche Auswahlbibliograhie (Zvone Strubelj), die dankenswerter Weise dem zu besprechenden Sammelband beigegeben ist. Seiner Tätigkeit als Gemeindepfarrer in Derendingen hat Primus Truber diese Attraktivität freilich nicht zu verdanken, wohl aber seinen vielfältigen Aktivitäten als Autor, Übersetzer und Herausgeber, die ihn zum Schöpfer der slowenischen Schriftsprache werden ließen. Es ist also nicht ohne Grund, wenn die Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, das Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Eberhard Karls Universität sowie die Universitätsstadt Tübingen den 500. Geburtstages des "slowenischen Luthers" zum Anlass nahmen, um seiner auf einem wissenschaftlichen Symposium am 5. und 6. Juni 2008 erneut zu gedenken.
Aus der Fülle der Publikationen ist der Sammelband des Jahres 1995 hervorzuheben, der seinerseits die Referate des Tübinger Kongresses enthält, die 1986 anlässlich des 400. Todestages des slowenischen Reformators gehalten wurden. Worin unterscheiden sich nun die beiden, einmal von dem Tübinger Slavisten Rolf-Dieter Kluge, einmal von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg herausgegebenen Bände, der anlässlich des 400. Todestages und der anlässlich des 500. Geburtstages? Überspitzt formuliert, würdigt der Sammelband des Jahres 1995 Primus Truber vor allem aus historischer und philologischer Perspektive, während der Band des Jahres 2010 einen breiter angelegten Zuschnitt aufweist: Interdisziplinär angelegt, nimmt er in sechs Kapiteln (I. Der Nachruf auf Truber - II. Biographie und Theologie - III. Sprache und Drucke - IV. Württemberg - V. Habsburger Monarchie - VI. Erinnerung) mit insgesamt 22 Beiträgen aus der Feder renommierter Autoren Leben, Nachleben und Wirken des slowenischen Reformators aus Perspektive von Historikern, Kunsthistorikern, Theologen, Sprach- und Literaturwissenschaftlern sowie der Buch- und Mediengeschichte in den Blick. Wie 1995 wird auch im vorliegenden Band Württemberg und Innerösterreich die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Dessen ungeachtet wird das politische System des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation deutlicher als Kontext der slowenischen Reformation herausgestellt, wobei konfessionelle wie ethnisch-kulturelle Grenzen bewusst überschritten werden. Insofern zeugt der vorliegende Band nicht nur von den methodischen Fortschritten bei der Erforschung der Reformationsgeschichte, sondern auch von den tiefgreifenden Transformationsprozessen, welche die politische Landkarte Europas in den letzten zwei Dezennien grundlegend verändert haben. 2008 war, gerade auch was wissenschaftliche Kooperation über Länder- und Systemgrenzen hinweg anbelangt, etabliert, was 1986 noch kaum vorstellbar erschien.
Zweites augenfälliges Unterscheidungsmerkmal ist die ausgesprochen opulente Ausstattung des vorliegenden Bandes, der 118 Abbildungen enthält. Primus Truber und seine Zeitgenossen, Stätten seines bzw. ihres Wirkens, Repräsentationsobjekte wie Gegenstände des alltäglichen Lebens, Epitaphe, zeitgenössische Drucke und vieles anderes mehr kommen so in den Blick und machen die Lektüre des Bandes nicht nur spannend, sondern auch ausgesprochen anregend.
Eigens aufmerksam zu machen gilt es - drittens - auf zwei Beiträge, die für weitere Forschungen grundlegende Information bequem zugänglich machen: Die von Winfried Lagler, dem Leiter der Abteilung Handschriften/Alte Drucke an der Universitätsbibliothek Tübingen, erarbeitete Kurzübersicht über die ca. 40 zwischen 1550 und 1584, mithin noch zu seinen Lebzeiten, überwiegend in Tübingen oder Urach (so genannte Bibelanstalt des Hans Ungnad) erschienenen Drucke, die Primus Truber verfasste, übersetzte oder herausgab (145-200), sowie die von einer Vielzahl von Autoren verantwortete Zusammenstellung der Gedächtnisorte im Slowenien und Deutschland des 20. und 21. Jahrhunderts (389-428), die mehr als aufschlussreich sind für die - auch von konfessionellen bzw. politischen Vorgaben bestimmten - Muster, wie Primus Truber in der jüngsten Vergangenheit wahrgenommen und gedeutet wurde.
Nicht möglich ist es hingegen im Rahmen einer Rezension, die zahlreichen Neuentdeckungen, Neubewertungen oder Korrekturen älterer Forschungsannahmen aufzuführen, die sich in dem Sammelband finden. Beispielhaft verwiesen sei auf die "nuancenreichen Zwischenformen und Uneindeutigkeiten" (Schindling), welche die angeblich "harte" Zäsur im innerösterreichischen Konfessionalisierungsprozess abfederten und abmilderten, freilich nicht aufhoben (ähnlich auch Regina Pörtner in ihrem Beitrag), die mit Hilfe neu herangezogener Quellen (Urbare, Kataster, kirchliche Register/ Matrikel) ermöglichte luzide (und fiktive) Rekonstruktion von Trubers "imaginärem Geburtsschein" (und damit seiner Herkunft und Identität) durch Boris Golec, die neuen Erkenntnisse über den Druckereibetrieb in Urach (u.a. dank der Auswertung der im Universitätsarchiv Tübingen verwahrten Rechnungen) (Hermann Ehmer) oder das Beziehungsgeflecht zwischen Primus Truber und dem aus Capodistria (und damit unweit der Geburtsstätte Trubers) stammenden Pietro Paulo Vergerio (Sönke Lorenz). Auf dem Feld dieser "Spezialforschungen" gibt es freilich in dem vorliegenden Band noch vieles zu entdecken. Er sei daher allen Interessierten zur Lektüre empfohlen.
Norbert Haag