Matthias Asche / Michael Herrmann / Anton Schindling u.a. (Hgg.): Krieg, Militär und Migration in der Frühen Neuzeit (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit; Bd. 9), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2008, 292 S., ISBN 978-3-8258-9863-2, EUR 29,90
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Anne Löchte: Das Berliner Journal 1859-1918. Eine deutschsprachige Zeitung in Kanada, Göttingen: V&R unipress 2007
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Der zu besprechende Sammelband ist das Ergebnis der sechsten Jahrestagung des Arbeitskreises "Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e.V.", die 2005 in Zusammenarbeit mit dem Tübinger Sonderforschungsbereich 437 "Kriegserfahrungen - Krieg und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit" auf Schloss Hohentübingen stattfand. Ziel von Tagung und Sammelband ist - so die Herausgeber -, "den Mobilisierungsgrad der vormodernen Gesellschaft Alteuropas aufzuzeigen [...], mithin auf diese Weise anhand von chronologisch und geographisch möglichst breit gefächerten Beispielen aus dem vormodernen Europa erstmals allgemeine und generelle Beobachtungen zum gewählten Thema zu erörtern" (10). Dies ist ein hoch gestecktes Ziel, da - wie die Herausgeber selbst einschränkend bemerken - "angesichts der vielfach noch in den Anfängen steckenden vergleichenden Migrationsforschung und Erfahrungsgeschichte vormoderner Kriege [...] ein methodisch gesicherter Weg derzeit nur über die Aufarbeitung von Einzelbeispielen in einen komparatistischen Fragehorizont führen [kann]" (10).
Matthias Asche unternimmt in seinen "Einleitenden Beobachtungen" den Versuch, das "Forschungsfeld [Krieg, Militär und Migration] thematisch" aufzureißen (13). Der Leser erwartet hier einen Überblick zum aktuellen Forschungsstand der genannten Themenkomplexe, aber auch Hinweise darauf, inwiefern diese bislang in der Forschung zueinander in Beziehung gesetzt wurden, kurz Forschungsstand und Forschungsdesiderata, in die sich dann konsequenterweise die folgenden Beiträge als Mosaiksteinchen in einem komplexen Bild, dem noch viele Elemente fehlen, einfügen sollten. Auffallend an diesem Versuch ist, dass es Asche nicht gelingt, beispielsweise das Forschungsfeld "Migrationen in der Frühen Neuzeit", gerade im Hinblick auf die von ihm thematisierte Auswanderung im 18. Jahrhundert durch die einschlägige Forschung in den Griff zu bekommen, sondern in durchaus verdienstvollen, aber nicht den eigentlichen Forschungsstand widerspiegelnden Überblicksdarstellungen steckenbleibt (Fußnoten 9, 11 und 14). [1] Genau hier scheint mir für das viel versprechende, im Sammelband eingegrenzte Forschungsfeld ein grundlegendes Problem zu liegen: die noch zu verbessernde Verknüpfung mit den für das Thema "Krieg, Militär und Migration" relevanten Forschungsbereichen, die neben einer besseren Einbindung der Migrationsforschung auch die frühneuzeitliche Wirtschafts-, Sozial- und Religionsgeschichte und den hier vorliegenden Forschungsstand jenseits von Lexika und Handbüchern mit einbeziehen sollte.
Im Folgenden nimmt Asche dann, nach einem kurzen Hinweis auf die geographische Mobilität von Soldaten generell, soziale und geographische Mobilität zunächst am Beispiel von Frédéric-Armand de Schomberg und des Bauernsohns Peter Eppelmann in den Blick, der es bis zum Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen und zum Reichsgrafen brachte. Stärker wird die Einleitung dort, wo sie auf die Funktionen von Söldnerdiensten im Kontext von wirtschaftlichen und sozialen Interessen europäischer Fürsten verweist. Hier lässt sich der Literaturüberblick durchaus sehen. Ebenso gewinnt die Einleitung an Überzeugung, wo Krieg, Migration und Militär mit "Religionsmigration" in Kontakt tritt, wo konfessionelle und wirtschaftliche Interessen von Söldnerheeren sich zu überlagern beginnen. Allerdings ist das Ganze hier etwas holzschnitthaft: Denn hugenottische Offiziere und Regimenter befanden sich nicht nur im Dienste des protestantischen "Führers" Europas, Wilhelms von Oranien, sondern auch im Dienste des Katholiken Jakob II. von England. Exemplarisch zeigt Matthias Asche im Folgenden wirtschaftliche und landesherrliche Chancen in Kriegszeiten auf bzw. das Potential, das im Wiederaufbau von vom Krieg verwüsteter Regionen steckte und das weitere Migrationen, geographisch und sozial, aber auch politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Wandel hervorrief.
Ergänzt werden die "Einleitenden Bemerkungen" Matthias Asches durch Jochen Oltmers "Migration, Krieg und Militär in der Frühen und Späten Neuzeit", das heißt für den Zeitraum zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert. Oltmer geht weit systematischer bzw. kategorisierend an das Thema heran. Er diskutiert zunächst das Problem der "Zwangsmigrationen" im Kontext militärischer Konflikte: Flucht, Evakuierung, Vertreibung, Umsiedlung, Deportation und Ausweisung, ihre Bedingungen (unter anderem die Art des Krieges, Waffensysteme), Umstände (unter anderem Kommunikations- und Verkehrssysteme) und Folgen (unter anderem Ausmaß der Fluchtbewegung, demographisch, aber auch in Bezug auf die zu überbrückenden Distanzen, Integration in den neuen Siedlungsgebieten). Ebenso werden Vertreibungen und Umsiedlungen als Instrumente von Herrschaft analysiert. So wichtig und notwendig Typologisierungen sind, so schwierig ist jedoch für Migrationsforscher die Zuweisung dieser Begriffe für bestimmte Gruppenmigrationen bzw. für den Individualfall, wie Oltmer selbst schreibt (46). Denn in der empirischen Forschung vermischen sich die Kategorien oft in komplexer Weise, lassen sich "freiwillige" und "Zwangsmigration" nicht immer zweifelsfrei voneinander trennen. Trotzdem erweist sich die Typologisierung, die Oltmer mit durchaus repräsentativen Beispielen füllt, als fruchtbar, da die folgenden Fallstudien sich an diesen "allgemeinen und generellen Beobachtungen" messen ließen, diese veri- bzw. falsifizieren oder ergänzen könn(t)en.
Gegliedert ist der Band in drei Teile: "'Mobilitätsfaktor' Militär", "Kriegsbedingte Migration der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten" und "Kriegsbedingte Migration der Zivilbevölkerung in der Nachkriegszeit". Geographisch liefern die hier präsentierten Fallstudien Beispiele aus dem Kirchenstaat, Schwedisch-Pommern, den Niederlanden, England und Irland (siehe den Beitrag von Vivien Costello und Matthew Glozier zu hugenottischen Regimentern in europäischen Armeen), dem Osten Frankreichs (Hanna Sonkajärvi zu Söldnern in Straßburg), aus Nordamerika zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges (Daniel Krebs zu "German Captives in American Hands"), Brandenburg, Hohenlohe, Ulm, Österreich, die Schweiz und dem Osten des Habsburgerreiches. Was fehlt sind unter anderem irische Soldaten in den Armeen Frankreichs, Spaniens und Italiens oder auch Beispiele aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges. Die Beiträge fokussieren allzu sehr auf die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, das späte 17. und das Ende des 18. Jahrhunderts. Ein Sammelband ist notwendigerweise selektiv, aber wie sehr muss er auch repräsentativ sein bzw. wie weit darf er in Fallbeispielen steckenbleiben?
Auffallend ist, dass einige der partiell sehr materialgesättigten und umsichtigen Beiträge durchaus sehr gut in die einzelnen Teile des Sammelbandes passen (so Ulrich Köchlis Beitrag zur Söldneranwerbung des Kirchenstaates in der Sektion "Mobilitätsfaktor Militär" oder Gundula Gahlens "Dreißigjähriger Krieg und städtische Bevölkerungsentwicklung in Brandenburg. Das Beispiel Perleberg" in der Sektion "Kriegsbedingte Migration der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten"). Etwas "verloren" wirkt dagegen Alexander Schunkas "Krieg, Konfession und die Ausprägung eines Migrationssystems im 17. Jahrhundert" im Kapitel zu "Kriegsbedingte Migration der Zivilbevölkerung in der Nachkriegszeit", der eher zu den einleitenden Beiträgen gehört hätte.
Die die einzelnen Aufsätze verbindenden Fragestellungen des Forschungsfeldes werden insgesamt gesehen oft nur implizit beantwortet bzw. manche Beiträge wirken doch etwas sehr "fallbeispielhaft" bzw. "monolithisch". Hier zeigt sich ein Grundproblem, das vielen Sammelbänden eigen ist und das man durch eine intensivere redaktionelle Betreuung (Ausarbeitung eines Fragenkatalogs für alle Beiträger, stärkere Rückbindung an einleitende bzw. konkludierende Bemerkungen, redaktionelle Bearbeitung aller Beiträge durch alle Beiträger etc.) in den Griff bekommen könnte. Diese Monita sind ein Problem, mit dem wohl jeder Herausgeber zu kämpfen hat. Doch gerade weil diesem Sammelband die stärkere Kohärenz der einzelnen Beiträge fehlt, werden die "allgemeine[n] und generelle[n] Beobachtungen zum gewählten Thema", die im Vorwort angekündigt waren, nicht erreicht. Typologisierungen und Fallbeispiele stehen insgesamt zu unverbunden miteinander, werden zu wenig aufeinander bezogen, so dass sich zwar ein lesenswertes Kaleidoskop zum Thema, aber zu wenig Kohärenz ergibt. Insgesamt zeigen die Beiträge allerdings ein fruchtbares Forschungsfeld auf, das weitere Bearbeitung verdient.
Anmerkung:
[1] Hier beispielsweise Mark Häberlein: Vom Oberrhein zum Susquehanna. Studien zur badischen Auswanderung nach Pennsylvania im 18. Jahrhundert, Stuttgart 1993; Hartmut Lehmann / Hermann Wellenreuther / Renate Wilson (eds.): In Search of Peace and Prosperity. New German Settlements in Eighteenth-Century Europe and America, University Park/PN 2000; Philip Otterness: Becoming German. The 1709 Palatine Migration to New York, Ithaca / London 2004.
Susanne Lachenicht