Paula Wheeler Carlo: Huguenot Refugees in Colonial New York. Becoming American in the Hudson Valley, Brighton: Sussex Academic Press 2005, XI + 252 S., ISBN 978-1-84519-059-0, GBP 55,00
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Bertrand Van Ruymbeke: From New Babylon to Eden. The Huguenots and Their Migration to Colonial South Carolina, Columbia: University of South Carolina Press 2005, XVIII + 396 S., ISBN 978-1-57003-583-8, USD 49,95
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Paula Wheeler Carlos Studie zu Huguenot Refugees in Colonial New York ordnet sich ein in eine Reihe von Studien, die das quick assimilation paradigm bezüglich der Dissenter in den englischen Kolonien in Nordamerika zunehmend in Frage stellen. [1] Die Historiographie der Hugenotten in Nordamerika wird bis heute von Jon Butlers The Huguenots in America: A Refugee People in New World Society (1983) dominiert, auf die nicht nur Historiker des Refuge, sondern auch des Presbyterianismus, des Kongregationalismus und des Anglikanismus in Nordamerika immer wieder gerne verweisen. Butler zufolge, der den wichtigen Versuch einer Gesamtdeutung des Refuge in Nordamerika unternommen hat, sollen sich die Hugenotten in den einzelnen englischen Kolonien an die jeweilig dominante Kirche angepasst und sich schnell, d.h. spätestens bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, assimiliert haben. [2]
Diese These widerlegt Wheeler Carlo nun überzeugend anhand ihrer eindringlichen Studien zu den ethnisch und religiös homogenen hugenottischen Gemeinden im Hudson Valley, nämlich in New Paltz und New Rochelle (New York State). Sie zeigt, dass es für Integrations- und Assimilierungsmuster weniger auf die generelle Minderheitenpolitik des Aufnahmelandes und die Dominanz einer bestimmten, oft konkurrierenden Kirche, sondern auf Fragen von Homogenität und Geschlossenheit der Ansiedlungen von Immigranten ankam. Dies ist nicht nur für die englischen Kolonien in Nordamerika der Fall. Die gleiche Tendenz lässt sich ebenso für hugenottische Immigranten in Hessen-Kassel oder Brandenburg und überhaupt für viele andere Einwanderer der Frühen Neuzeit (und nicht nur hier) nachweisen. [3]
Wheeler Carlos Studie besticht durch eine minutiöse Analyse der Beziehungen zwischen hugenottischen Siedlern und "First Nations" im Hudson Valley (Kap.2), der Kirchen, Doktrin, religiösen Praxis und Erziehung der Hugenotten in New Paltz und New Rochelle (Kap. 3 bis 5), der Familienstrukturen und demographischen Entwicklungen (Kap. 6) sowie der Haltung von Hugenotten im Hudson Valley zur afrikanischen Diaspora, d.h. zu Sklavenhaltung und -haltern (Kap. 8). Sie widmet sich damit genau den Parametern und Analyseebenen, die für eine Einschätzung von Integration und "Kreolisierung" von Immigranten signifikant sind und die empirische Basis für eine differenzierte Darstellung von Integrationsmustern liefern.
Die Quellenbasis, die Wheeler Carlo dabei nutzt, ist beachtlich und zeigt, dass Fehleinschätzungen des Integrationsverhaltens von Hugenotten in Nordamerika, wie sie bei Robert Kingdon und anderen vorliegen [4], zum Großteil auf mangelnde Kenntnis der Akten der Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts, der Predigten Pierre Stouppes sowie der Kirchenprotokolle der französisch-reformierten Kirchen von New Paltz und New Rochelle zurückzuführen sind. Gerade die Predigten Pierre Stouppes und Louis Rous zeigen, wie sehr die Doktrin der konformistischen französisch-reformierten und damit offiziell anglikanischen Kirchen der Hugenotten im Hudson Valley - und in South Carolina - eine dezidiert kalvinistische war und sich in der Definition der Sakramente oder im Schlagen des Kreuzes radikal von der anglikanisch-kalvinistischen Doktrin unterschied (86-89). Allerdings verfällt auch Wheeler Carlos Studie ab und an in die Reproduktion von Stereotypen der Hugenottenforschung, wie die der "significant contributions to printing, publishing, and journalism as well as manufacturing and trade" (9), ohne dass diese Aussagen wirklich verifiziert oder quantifiziert werden.
Ebenso wie Paula Wheeler Carlo vermag auch Bertrand Van Ruymbeke für das hugenottische Refuge in South Carolina zu zeigen, dass auch hier - entgegen der These Jon Butlers - Hugenotten nicht dem quick assimilation paradigm unterzuordnen sind. Er bestätigt damit - allerdings auf einer breiteren Quellenbasis, unter Einbeziehung von Kirchenregistern, Gerichtsakten, Verwaltungsakten, Familiennachlässen aus South Carolina, England, Frankreich und der Schweiz - die Ergebnisse von Amy E. Friedländers Dissertation (Emory University, Atlanta 1979) zu "Carolina Huguenots: A Study in Cultural Pluralism in the Low Country, 1679-1768".
Die meisten der ca. 500 (zwischen 1690 und 1710, ca. 15,5% der weißen Bevölkerung South Carolinas) (74) in South Carolina sich ansiedelnden Hugenotten (zu Zahlen, regionaler Herkunft und Familienstrukturen der Hugenotten in South Carolina vgl. Kap. 4) verließen Frankreich unmittelbar vor der Revokation, teilten also nur zum Teil die traumatischen Erfahrungen von Verfolgung und Flucht der nach 1685 Frankreich verlassenden Glaubensgenossen (Kap. 1 und 3). Während - geschürt durch Werbeschriften und gezielte Anwerbung durch die Eigentümer der beiden Carolinas (Kap. 2) - hugenottische Einwanderer ein "Eden" erwarteten, in dem, wie in allen anderen Ländern des Refuge, Milch und Honig fließen sollten [5], entpuppte sich das Leben in den Kolonien als das "Babylon" (Kap. 1 und 8), dem sie glaubten entkommen zu sein. Bis in das frühe 18. Jahrhundert reagierten die französisch-kalvinistischen Siedler in South Carolina auf ihre neue Umgebung, die durch Konflikte mit Indianern, spanischen Übergriffen, Schwierigkeiten bei der Rodung und dem Aufbau der Plantagen geprägt waren, mit sozialer und ethnischer Endogamie (85 und 87-91).
Dies änderte sich allmählich in im Verlauf des 18. Jahrhunderts. Nun gab es vereinzelt Ehen zwischen französischen und englischen Siedlern in South Carolina, wobei die Zahl der endogamen Ehen nach wie vor überwog (91). Ab 1704 mit der Dominanz der anglikanischen Kirche in South Carolina konfrontiert, integrierten sich die französischen Kalvinisten scheinbar in die anglikanische Kirche, um allerdings in ihren offiziell konformistischen Kirchen eine Doktrin und eine Liturgie zu kultivieren, die sich - ähnlich wie im Hudson Valley - radikal von denen der anglikanischen Staatskirche unterschieden (Kap. 5 und 6). Das offizielle Bekenntnis zur anglikanischen Staatskirche war jedoch der Preis, den hugenottische Siedler in South Carolina für ihre Naturalisierung und damit auch für ihr Wahl- und Mitspracherecht in den Belangen der Kolonie zu zahlen hatten (Kap. 7). Ab den 1720er, spätestens mit den 1730er Jahren, setzte dann eine sukzessive "Kreolisierung" der Hugenotten in South Carolina ein, die bis heute zwar nicht die Erinnerung an hugenottische Vorfahren und den Stolz ihrer Nachfahren auf das "französisch-protestantische" Erbe ausgelöscht hat, aber bis zum Ende des 18. Jahrhunderts aus den Hugenotten in South Carolina Amerikaner französisch-kalvinistischer Herkunft machte.
Mit Wheeler Carlo und Van Ruymbekes Arbeiten zum Refuge im Hudson Valley bzw. in South Carolina liegen damit zwei eindrucksvolle Ergebnisse langjähriger und fundierter Recherchen vor, die zwei für die historische Migrationsforschung relevante Probleme aufzeigen und erfolgreich gelöst haben: 1. dass für Migrations- und Integrationsmuster die ältere Forschung viel zu lange den Mythen und der Hagiographie der Hugenotten selbst und ihrer Aufnahmegesellschaften aufgesessen haben, 2. dass Integrations- und Assimilierungsverhalten oft nur an der Oberfläche behandelt und (scheinbare) Paradoxe im Integrationsverhalten von Migranten einfach ignoriert wurden.
Zusammen mit bereits oben zitierten jüngeren Arbeiten aus der transatlantischen Migrationsforschung stellen Wheeler Carlos und Van Ruymbekes Studien nicht nur das quick assimilation paradigm infrage, sondern fordern auch ein weiteres Stereotyp der Early American History heraus, das des "successful white Anglo-Saxon", dessen Vorbild - bei aller Frankophobie - u.a. ausgerechnet der amerikanische Hugenotte darstellte: "French Protestants had impregnated the American national character with 'specific' desirable traits: religious freedom, economic success, perseverance and the entrepreneurial spirit. Thus, it became possible to represent the Huguenots as the essence of what America is all about." [6] Vor allem Van Ruymbekes Arbeit zeigt, dass Hugenotten in South Carolina weit weniger ökonomisch "erfolgreich" und weniger innovativ waren, als die Forschung dies bislang angenommen hat (XVIII und 81-84).
Anmerkungen:
[1] Vgl. u.a. Philip Otterness: Becoming German. The 1709 Palatine Migration to New York, Ithaca and London, Cornell University Press 2004; Hermann Wellenreuther: The Herrnhuters in Europe and the British Colonies (1735-1776), und Christopher Hodson: Idlers and Idolaters. Acadian Exiles and the Labour Regimes of British North America 1755-1763, beide in: Susanne Lachenicht: Religious Refugees in Europe, Asia and the Americas. Hamburg 2007, 171-195 und 197-215.
[2] Jon Butler: The Huguenots in America. A Refugee People in New World Society, Cambridge/Mass. 1983, 71-88, 83-90, 94-95, 107-120, 189-197.
[3] Siehe u.a. Thomas Klingebiel: Aspekte zur Ansiedlung von Hugenotten in den norddeutschen Territorien, in: Frédéric Hartweg/Stefi Jersch-Wenzel (Hgg.): Die Hugenotten und das Refuge: Deutschland und Europa. Berlin 1990, 67-79.
[4] Robert M. Kingdon: Why Did the Huguenot Refugees in the American Colonies Become Episcopalians?, in: Historical Magazine of the Protestant Episcopal Church 49, Garrison 1980, 317-335.
[5] Mémoire pour encourager les Protestants à venir habiter en Irlande, Paris, Bibliothèque nationale, Fonds Français Ms. 21,622: n. 551. fol. 101. Zitiert in Susanne Lachenicht: Huguenot Immigrants and the Formation of National Identities 1548-1787, 10.
[6] Bertrand Van Ruymbeke: Minority Survival. The Huguenot Paradigm in France and the Diaspora, in: Bertrand Van Ruymbeke/Randy J. Sparks (Hgg.): Memory and Identity. The Huguenots in France and the Atlantic Diaspora, Columbia 2003, 15-16 und John M. Murrin: Religion and Politics in America from the First Settlement to the Civil War, in: Mark A. Noll (Hg.): Religion and American Politics. From the Colonial Period to the 1980s, New York 1990, 19.
Susanne Lachenicht