Laura Nasrallah / Charalambos Bakirtzis / Steven J. Friesen (eds.): From Roman to Early Christian Thessalonike. Studies in Religion and Archaeology (= Harvard Theological Studies; 64), Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2010, XIV + 437 S., ISBN 978-0-674-05322-9, USD 40,00
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Die Erforschung des römischen Makedoniens hat in den letzten Jahrzehnten einen deutlichen Aufschwung erlebt. [1] Dies ist nicht zuletzt der verbesserten Zugänglichkeit der inschriftlichen Quellen durch die neu erschienenen Corpora [2] sowie dem zunehmenden Interesse der Neutestamentler an dem allgemeinen historischen Hintergrund des Neuen Testaments zu verdanken. [3]
In diesen Kontext gehört auch der hier zu besprechende Band, der aus einer Tagung hervorging, die im Jahr 2007 an der Harvard Divinity School Neutestamentler, Archäologen, Althistoriker und Byzantinisten zusammenbrachte. In zwei Teilen, die zum einen der Kaiserzeit, zum anderen der Spätantike gewidmet sind, präsentiert er je sieben Beiträge.
Der erste Teil enthält je einen Beitrag eines Althistorikers und einer Archäologin sowie fünf Beiträge von NeutestamentlerInnen, während der zweite Teil von archäologischen Beiträgen dominiert wird. Aus historischer Sicht sind im ersten Teil vor allem die Beiträge von Pantelis Nigdelis, Richard Ascough, Helmut Koester und Thea Stefanidou-Tiveriou interessant.
Die ersten beiden beschäftigen sich aus althistorischer bzw. neutestamentlicher Sicht mit dem Vereinswesen in Thessalonike. Nigdelis (Voluntary Associations in Roman Thessalonikē: In Search of Identity and Support in a Cosmopolitan Society, 13-47) stellt dabei das breite Spektrum der in der Stadt nachgewiesenen Vereine vor, fragt nach den Bedingungen für die Mitgliedschaft, analysiert ihre Organisationsstruktur und untersucht ihre Aktivitäten. Ascough (Of Memories and Meals: Greco-Roman Associations and the Early Jesus-Group at Thessalonikē, 49-72) versucht dagegen Gedenk- und Speisepraktiken, die in den beiden Thessalonikerbriefen des Neuen Testaments angesprochen werden, mit Hilfe der Informationen über die paganen Vereine zu deuten.
Der Beitrag von Helmut Koester (Egyptian Religion in Thessalonikē: Regulation for the Cult, 133-150) ist dagegen bei einem Autor dieses Formats eine ziemliche Enttäuschung: Ohne jede Fragestellung werden einzelne und gut bekannte Zeugnisse für die ägyptischen Kulte in Thessalonike vorgestellt.
Für den Rezensenten - und hoffentlich nicht nur für diesen - von besonderem Interesse ist der Beitrag von Thea Stefanidou-Tiveriou (Social Status and Family Origin in the Sarcophagi of Thessalonikē, 151-188). [4] Nach einem Überblick über das Material und seine Typologie (155-178) werden der soziale Status der Grabinhaber und ihre Herkunft analysiert. Soweit die Inschriften darüber Auskunft geben, sind Inhaber politischer Ämter, aber auch Händler und Soldaten, Freigelassen und Sklaven nachweisbar. Ein Hindernis bei der Auswertung ist allerdings, dass etwa die besonders teuren attischen Sarkophage mit einer Ausnahme keine Inschriften aufweisen. Ausgehend von der Onomastik der Grabinhaber schlägt Stefanidou-Tiveriou vor, den Grund für das Aufkommen der Sarkophage durch Einwanderer aus Kleinasien zu erklären. Die Prägung durch den Einfluss kleinasiatischer Einwanderer erscheint durchaus plausibel. Weniger überzeugt bin ich davon, dass sich dies aus den römischen Gentilicia, die in beiden Regionen belegt sind, nachweisen lässt. Indes belegen auch genügend Grabinschriften mit Herkunftsangaben, dass es Einwanderer aus Kleinasien gab. Insgesamt ein Artikel, der den Leser den von Stefanidou-Tiveriou und Nigdelis in Kürze zu erwartenden Corpus-Band der lokalen Sarkophage aus Thessaloniki gespannt erwarten lässt.
Der zweite, der Veränderung Thessalonikes in der Spätantike gewidmete Teil enthält sieben Beiträge, von denen zwei spezifische Materialgruppen vorstellen (Glass bzw. Keramik), einer den Tetrarchen-Palast und ein weiterer das Mosaik von Moni Latomou behandelt. Hier seien nur die drei Beiträge hervorgehoben, die sich vor allem der Veränderung von der heidnischen zur Christlichen Metropole widmen.
Slobodan Ćurčić (Christianization of Thessalonikē: The Making of Christian "Urban Iconography", 213-244) untersucht die Umgestaltung der städtischen Topographie durch die Kirchenbauten des 5. Jahrhunderts, die der ehemaligen Kaiserresidenz einen evident christlichen Charakter verliehen.
Charalambos Bakirtzis (Late Antiquity and Christianity in Thessalonikē: Aspects of a Transformation, 397-426) geht dagegen der Frage nach, wie sich alte kulturelle Traditionen unter dem Einfluss der Christianisierung veränderten. So sieht er in dem Stadtheiligen Agios Demetrios, vor allem in der im Kontext "seiner" Basilika praktizierten Krankenpflege, den funktionalen Erben des Serapis-Heiligtums von Thessalonike. Darüber hinaus verweist er auf das Fortdauern einer nun christlich gewandelten Theaterpraxis.
James Skedros (Civic and Ecclesiastical Identity in Christian Thessalonikē, 245-261) zeigt, wie der Verehrung des genannten Stadtheiligen mehr und mehr die Funktion zukommt, die kirchenpolitische Autorität des Erzbischofs zu sichern. Dies erschien notwendig, weil deren traditionelle Grundlagen wie die Zuständigkeit für die Residenz des Prätorianerpräfekten für das Illyricum und das Amt als Stellvertreter des Papstes für das Illyricum an Bedeutung verloren.
Alles in allem ein bunter Strauß mit einigen sehr interessanten Beiträgen zur Sozialgeschichte des kaiserzeitlichen und zur Christianisierung des spätantiken Thessalonike.
Anmerkungen:
[1] Vergleiche zuletzt zusammenfassend M. Zahrnt: Die Römer im Land Alexanders des Großen. Geschichte der Provinzen Macedonia und Epirus, Mainz 2010.
[2] Athanasios Rizakis / Jannis Touratsoglou (eds.): Επιγραφές Άνω Μακεδονίας, Athen 1985; Louisa Gounaropoulou / Miltiades Hatzopoulos (eds.): Επιγραφές Κάτω Μακεδονίας 1: Επιγραφές Βέροιας, Athen 1998; Fanoula Papazoglou u. a. (eds.): Inscriptiones Graecae X,2,2: Inscriptiones Macedoniae septentrionalis, Sectio 1, Berlin / New York 1999; Pantelis Nigdelis: Έπιγραφικά Θεσσαλονικεῖα, Thessaloniki 2006; Peter Pilhofer (Hg.): Philippi, Bd. 2: Katalog der Inschriften von Philippi, 2. überarb. u. erg. Aufl., Tübingen 2009.
[3] Vergleiche zum Beispiel Valerie Abrahamsen: Women and Worship at Philippi. Diana/Artemis and Other Cults in the Early Christian Era, Portland 1995; Lukas Bormann: Philippi: Stadt und Christengemeinde, Leiden u. a. 1995; Peter Pilhofer: Philippi, Bd. 1: Die erste christliche Gemeinde Europas, Tübingen 1995; Charalambos Bakirtzis / Helmut Koester (eds.): Philippi at the Time of Paul and After His Death, Harrisburg 1998; Christoph vom Brocke: Thessaloniki, Stadt des Kassander und Gemeinde des Paulus, Tübingen 2001.
[4] Vergleiche die sozialhistorische Analyse der bis dahin publizierten Sarkophage mit Inschriften bei Jens Bartels: Städtische Eliten im römischen Makedonien, Berlin / New York 2008, 114-121 mit einigen weitergehenden Überlegungen. Die Arbeit erschien zweifellos zu spät, um von Stefanidou-Tiveriou noch benutzt werden zu können.
Jens Bartels