Rezension über:

Josef Wiesehöfer / Robert Rollinger / Giovanni B. Lanfranchi (Hgg.): Ktesias' Welt - Ctesias' World (= Classica et Orientalia; Bd. 1), Wiesbaden: Harrassowitz 2011, 546 S., ISBN 978-3-447-06376-0, EUR 88,00
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Rezension von:
Katharina Knäpper
Exzellenzcluster "Religion und Politik", Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Katharina Knäpper: Rezension von: Josef Wiesehöfer / Robert Rollinger / Giovanni B. Lanfranchi (Hgg.): Ktesias' Welt - Ctesias' World, Wiesbaden: Harrassowitz 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 2 [15.02.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/02/20564.html


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Josef Wiesehöfer / Robert Rollinger / Giovanni B. Lanfranchi (Hgg.): Ktesias' Welt - Ctesias' World

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Ktesias' Welt titelt der von Josef Wiesehöfer, Robert Rollinger und Giovanni Lanfranchi herausgegebene Sammelband zur Salzauer Tagung im Frühjahr 2006. Es handelt sich dabei um den ersten, jedoch zweiterschienenen Band der neuen Reihe Classica et Orientalia, die sich zum Ziel setzt die "Orientbilder der Orientinformationen der griechischen Historiographie"(9) unter Einbezug der altorientalischen Quellen neu zu kontextualisieren.

Da einige der Aufsätze bereits auf der Online-Plattform Achemenet zugänglich waren, wurde der Tagungsband sehnlichst erwartet. Dies begründet sich sicherlich aus dem binnen der letzten Jahre erstarkten Forschungsinteresse an Ktesias [1], aber auch aus der bis dahin eher geringen Literaturdichte.

Der vorliegende Band versammelt das who is who der Erforschung Altirans, und zwar gerade unter Einbezug jüngerer Wissenschaftler. Einer Einleitung in Gegenstand und Problem Josef Wiesehöfers (7-11), folgen 20 Aufsätze (13-506), die ob des Umfangs nicht alle besprochen werden können, zu verschiedenen Bereichen von der Authentizitäts- und Genrefrage hin zu motivhistorischen, mit altorientalischen Quellen vergleichenden, linguistischen, die Architektur betreffenden, Genderaspekte oder gesellschaftliche Gliederungen beleuchtenden Untersuchungen. Daran angeschlossen ist ein Resumée Pierre Briants (507-514), eine ausführliche Bibliographie (515-527), die für sich genommen schon ein Desiderat der Forschung darstellt, ein Register (529-543) sowie eine Liste der Autorinnen und Autoren des Bandes (545-546).

Reinhold Bichler plädiert in seinem Aufsatz Ktesias spielt mit Herodot (21-52) dafür, den Autor nicht mehr als (unsauber arbeitenden) Historiker zu begreifen, sondern als "Verfasser fiktionaler Prosa" (36). Ohne das Postulat des Historikerstatus kann Ktesias' Behandlung des Werks Herodots im Rahmen eines humorvollen Spiels mit den Erwartungen des Publikums interpretiert werden; dies erlaube voraussetzungsreiche Konstruktionen bezüglich der Quellen des Autors zu unterlassen. Zudem verweist Bichler darauf, dass die Biographie Ktesias' keineswegs gesichert sei.

In seinem Beitrag Lo storico nel sou testo: Ctesia e la sua 'biografia' (81-109) fokussiert Marco Dorati auf die Rolle, die Ktesias in seinem Werk einnimmt. Doratis Einschätzung folgend ist die in den Persika fassbare Ktesiasfigur als ein in Szene gesetzter Protagonist zu interpretieren, dessen Augenzeugenschaft den Wahrheitsanspruch untermauern sollte. Damit verschiebt Dorati die Wertung Ktesias' - weil er eine "originalità dell' uso [...] della propria 'vita' come strumento della narrazione" (106) entwickelt, sei er bedeutend, und nicht so sehr als Historiker.

Viele Beiträge des Bandes berühren den Fragenkomplex um die Authentizität der Aussagen Ktesias', auch wenn sie thematisch anders ausgerichtet sind; stellvertretend sei in diesem Kontext auf die Ausführungen Maria Brosius' in Greeks at the Persian Court (69-80) verwiesen: sie stellt fest, dass Ktesias keine wesentlichen Einzelheiten über den achaimenidischen Hof zu berichten weiß, wie es von einem Augenzeugen zu erwarten wäre.

Insgesamt zeichnet sich eine Tendenz zur Annahme eines wenig authentischem Persienbilds bei Ktesias ab, wenngleich das eine Abkehr von der unterschiedlich begründeten Meinung darstellt, Ktesias habe in den höchsten Kreisen des persischen Adels verkehrt. [2]

An dieser Stelle wäre eine stärkere Auseinandersetzung mit der These Doratis von der Fiktionalität der Anwesenheit Ktesias' am achaimenidischen Hof [3] wünschenswert. In diese Richtung deutet der vorsichtige Vorschlag Robert Rollingers in Ktesias' Medischer Logos (313-350), "kritische Distanz" (343) bei der Einschätzung der Dauer der Anwesenheit am Hof und der Herrschernähe Ktesias' walten zu lassen.

Eine weitere Leitfrage des Konferrenzbandes ist die nach Verwendung und Entwicklung spezifisch orientalischer Muster bei Ktesias. Von "fundierende[r] Bedeutung" im Hinblick auf das abendländische Orientbild spricht Rollinger (342), vom Ursprung des "Zerrbild[s] einer 'orientalischen Despotie'" (505) Josef Wiesehöfer, während Irene Madreiter die Errichtung "jene[r] Windmühle, gegen deren Flügel die Wissenschaft bis in heutige Tage anzukämpfen hat" (272) konstatiert. Briant sammelt in seinem Schlusswort weitere orientalische Topoi und setzt diese in Bezug zum modernen Orientalismus nach Edward W. Saïd. [4] Auch wenn das Überdauern bestimmter bereits bei Ktesias verwendeter Klischees auf graecozentrierte Traditionsströme verweisen mag [5], so scheint ein freier Vergleich mit den methodisch wie inhaltlich durchaus kritisierten Thesen Saïds zu stark assoziativ.

Abschließend ist festzuhalten, dass das Buch über ein hohes Redaktionsniveau verfügt und einen sehr einheitlichen Leseeindruck hinterlässt. Dafür sorgen neben den vereinheitlichten Formalia die zahlreichen Querverweise und -bezüge, die jedoch divergierende Meinungen nicht verschweigen. Ebenfalls positiv hervorzuheben ist, dass Aufsätze in vier europäischen Sprachen - neben Deutsch sind es Englisch, Französisch sowie Italienisch - abgedruckt sind, was für eine lesenswerte Vielfalt sorgt.

Der vorliegende Tagungsbericht spiegelt den Stand der Erforschung der Persika Ktesias' sehr gut wider. Es werden gute Vorschläge zur Beantwortung aktueller Fragen vorgebracht, Forschungslücken geschlossen wie aufgezeigt. Für weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit Ktesias, aber auch anderen klassischen Quellen über den Orient, bildet Ktesias' Welt eine wertvolle Grundlage.


Anmerkungen:

[1] Auf die neuen Ausgaben / Übersetzungen weist Wiesehöfer (7) hin, diesen hinzuzufügen wäre wohl die knapp kommentierte, onlinepublizierte Übersetzung Andrew Nichols: The Complete Fragments of Ctesias of Cnidus, Diss., Gainesville 2008 (http://etd.fcla.edu/UF/UFE0022521/nichols_a.pdf).

Für Forschungsbeiträge vgl. beispielsweise Bruno Bleckmann: Ktesias von Knidos und die Perserkriege. Historische Varianten zu Herodot, in: Herodot und die Epoche der Perserkriege. Realitäten und Fiktionen. Kolloquium zum 80. Geburtstag von Dietmar Kienast hg. von Bruno Bleckmann, Köln, Wien, Weimar 2007, 137-150; Rüdiger Schmitt: Iranische Anthroponyme in den erhaltenen Resten von Ktesias' Werk (Sitzungsberichte Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 736; Veröffentlichungen zur Iranistik 33; Iranica graeca vetustiora 3), Wien 2006; Jan P. Stronk: Ctesias of Cnidus. From Physician to Author, in: Talanta 36-7, 2004-2005, 101-122.

[2] Solche Interpretationen folgen letztlich Felix Jacoby: Art. Ktesias, in: RE XI, 2, 1922, 2032-2073; zur Auseinandersetzung mit dessen Thesen unter Einbezug der neueren Forschung vgl. Carsten Binder: Plutarchs Vita des Artaxerxes, ein historischer Kommentar (GFA Beihefte NF 1), Berlin, New York 2008, bes. 52-59.

[3] Marco Dorati: Ctesia falsario?, in: QS 41, 1995, 33-52; eine neue Diskussion befürwortet Bichler (38).

[4] Edward W. Saïd: Orientalismus, Frankfurt 2009.

[5] Vgl. etwa Josef Wiesehöfer: Das frühe Persien. Geschichte eines antiken Weltreichs, München 3 2006, 13.

Katharina Knäpper