Stefanie Michels: Schwarze deutsche Kolonialsoldaten. Mehrdeutige Repräsentationsräume und früher Kosmopolitismus in Afrika (= Bd. 4), Bielefeld: transcript 2009, 262 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-8376-1054-3, EUR 28,80
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Der Titel Schwarze deutsche Kolonialsoldaten benennt AkteurInnen, die es im deutschen kolonialen Diskurs nicht geben durfte. Schwarze sollten nicht deutsch werden, sondern als kolonisierte "Andere" unterscheidbar bleiben. Hingegen wurden in afrikanischen Diskursen Afrikaner, die in der deutschen Kolonialarmee arbeiteten, als deutsche Soldaten bezeichnet. Dennoch blieben diese deutschen Soldaten in den Augen der Deutschen Schwarze, denen deshalb etwa Aufstiegsmöglichkeiten in der Armee verwehrt blieben. Da sich die deutschen Kolonisatoren auch als "Afrikaner" bezeichneten (221), fällt dem Adjektiv "schwarz" auch eine analytische Funktion zu. Gleichzeitig spielt der Buchtitel auf einen Deutungskonflikt an. Er führt somit zwei verschiedene Perspektiven auf die Kolonialsoldaten zusammen, nämlich die Selbstbezeichnung als "deutsche" Soldaten und die Fremdwahrnehmung als "Schwarze". Damit gibt der Titel bereits das Programm des Buches vor: Kolonialgeschichte als eine geteilte Geschichte [1] zu schreiben, die gleichermaßen aus afrikanischen und deutschen Erfahrungen und Diskursen besteht.
Deutschen Kolonialsoldaten wurde in den vergangenen Jahren verstärkt die Aufmerksamkeit der historischen Forschung zuteil. [2] Michels erweitert diese Arbeiten nicht nur um einen diskursgeschichtlichen Ansatz, sondern schlägt eine postkoloniale Schreibweise und Perspektive vor, die - angelehnt an Chakrabarty und Gilroy - auf eine De-zentrierung (11) der Kolonialgeschichte zielt. Dies betrifft zum einen den geographischen Ausgangspunkt, den sie nach Afrika setzt - ein Zugang, der oft gefordert aber selten umgesetzt wird. Zum anderen problematisiert sie die Deutungsmacht des kolonial geprägten Wissenssystems, legt ihre Position als deutsche weiße Wissenschaftlerin selbstkritisch offen und erweitert die übliche Literatur- und Quellenauswahl. [3] Auch im Untersuchungszeitraum spiegeln sich postkoloniale Überlegungen wider: Weil Kolonialgeschichte "unabgeschlossen" sei (28) erstreckt sich die Studie weit über die kolonialgeschichtliche Zäsur, das offizielle Ende der deutschen Kolonialherrschaft 1918, bis in das zweigeteilte Deutschland und die unabhängigen afrikanischen Staaten hinein.
Das Buch gliedert sich in zwei Teile: Der erste Teil "Die Entstehung imperialer Räume" zeichnet die diskursiv erzeugten Räume und deren Veränderung zwischen dem Deutschen Reich und den afrikanischen kolonial beanspruchten Gebieten nach. Darauf baut im zweiten Teil eine diskursgeschichtliche Analyse "(post)kolonialer (Un)Ordnungen" auf.
Im ersten Teil schildert Michels zunächst den Kontext der Kolonisierung: kosmopolitische Räume und dynamische Netzwerke, in die sich europäische Reisende und Kolonisatoren einpassen mussten. Vor diesem Hintergrund argumentiert Michels denn auch überzeugend, dass anstelle von einer Entdeckung oder Aufschließung Afrikas vielmehr von einer "nationalen Schließung kosmopolitischer Räume" (12) durch koloniale Gewalt und Grenzziehung auszugehen sei. Diese kolonialen Grenzen, das macht sie deutlich, existierten jedoch vorwiegend in der europäischen Wahrnehmung. Indem Michels die Agency der AfrikanerInnen in den Blick nimmt, kann sie zeigen, dass AfrikanerInnen diese sozialen und geographischen Grenzen regelmäßig überschritten und damit in Frage stellten. Zudem waren die Kolonisatoren auf bestehende Netzwerke und etablierte Handlungsmuster von AfrikanerInnen angewiesen, die damit die kolonialen Räume mitgestalteten. Berufsgruppen wie die Kru in Westafrika und die Wanyamwezi in Ostafrika importierten so beispielsweise ihre Organisationsstrukturen in die deutschen Kolonialtruppen.
Im zweiten Teil wird anhand zahlreicher, bisher wenig berücksichtigter Bildquellen erläutert, wie die deutsche koloniale Ordnung, die über die Kategorien Rasse, Klasse und Gender strukturiert wurde, vor allem in Form von Repräsentationen existierte. Während sich im Alltag klare Aufgabenteilungen und Hierarchien entlang dieser Kategorien kaum aufrecht erhalten ließen, wurden sie auf offiziellen Photographien, die in Form von Postkarten häufig auch ins Reich geschickt wurden, umso deutlicher als idealtypische Herrschaftsphantasien konstruiert. Methodologisch fundierte Bildanalysen sind in der Kolonialismusforschung trotz inzwischen gut zugänglicher (online) Bildarchive [4] immer noch unterrepräsentiert. Deren Potential wird deutlich, indem Michels neben der kolonialen auch subversive Lesarten offenlegt. Hierzu fokussiert sie auf Leerstellen, Widersprüche und Uneindeutigkeiten und kontrastiert die Bilder mit anderen schriftlichen und mündlichen Quellen. Bilder, die nicht für den offiziellen Gebrauch bestimmt waren - etwa solche, auf denen Soldaten mit ihren Familien zu sehen sind oder Gewalt ausüben, indem sie die berüchtigten deutschen Peitschenhiebe verteilen - machen eine alltägliche Pluralität an Lebensformen, Identitäten und Funktionen noch deutlicher und widersprechen damit einer vereinheitlichenden Sichtweise von Söldnern, treuen Askari oder Kolonisierten als bloßen Opfern. Schade ist, dass die Herkunft der Bildquellen lediglich in einem knappen Abbildungsverzeichnis abgehandelt wird, was weiterführende Arbeiten mit dem Quellenmaterial erschweren könnte.
Die Analysen werden durch Quellen aus oral history-Projekten ergänzt. So wird die Autorin dem Anliegen gerecht, afrikanische und deutsche Erinnerungsdiskurse in einen gemeinsamen (Erinnerungs)Raum zu stellen. Hieraus entsteht eine Vielstimmigkeit, die als Korrektiv dient, um etablierte deutsche Narrative zu brechen. Konsequenterweise verneint Michels "ein unmittelbares Verstehen" (230), macht die heterogenen Erinnerungen aber dennoch nachvollziehbar, indem sie sie in ihre jeweiligen erinnerungspolitischen Kontexte bettet.
Anstatt einer Synthese der verschiedenen Praktiken und Perspektiven schlägt Michels schließlich "kosmopolitisierende Perspektiven" (208) vor, in denen die heterogenen Deutungen nebeneinander stehen bleiben ohne vom kolonialen Blick homogenisiert zu werden.
Michels Studie ist eine überzeugende Kombination aus postkolonialer Schreibweise und empirischer Forschung. Durch Aktualitätsbezüge spitzt sie ihre Thesen zu und fordert zu Diskussionen auf. Diese sind dem Buch neben vielen LeserInnen zu wünschen.
Anmerkungen:
[1] Shalini Randeria / Sebastian Conrad: Geteilte Geschichten - Europa in einer postkolonialen Welt, in: dies. (Hgg): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt 2002, 9-49.
[2] Thomas Morlang: Askari und Fifita. "Farbige" Söldner in den deutschen Kolonien, Berlin 2008; auch in: Michael Pesek: Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika. Expeditionen, Militär und Verwaltung seit 1880. Frankfurt am Main 2005 und Marianne Bechhaus-Gerst: Treu bis in den Tod. Von Deutsch-Ostafrika nach Sachsenhausen - Eine Lebensgeschichte, Berlin 2007.
[3] Sie zitiert auch AktivistInnen und LiteratInnen. Zur Forderung einer Re-Positionierung europäischer Erkenntnissysteme in den postcolonial studies: María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan: Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung, Bielefeld 2005, 137-139.
[4] Genannt seien hier die beiden größten, das Bildarchiv der Deutschen Kolonialgesellschaft in Frankfurt (http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de) und das der Basler Mission (http://digitallibrary.usc.edu/bmpix/controller/index.htm).
Caroline Authaler