John Zimmer / Werner Meyer / Letizia Boscardin: Krak des Chevaliers in Syrien. Archäologie und Bauforschung 2003-2007 (= Veröffentlichungen der Deutschen Burgenvereinigung e. V.; Bd. 14), Braubach: Europäisches Burgeninstitut 2011, 399 S., zahlr. Abb., zahlr. Pläne als Beilage, ISBN 978-3-927558-33-5, EUR 84,00
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Die ehemalige Johanniterburg Krak des Chevaliers in Syrien gilt als Inbegriff für die Kreuzfahrerburgen im Heiligen Land, was vor allem der martialisch-unnahbaren Formensprache, den gewaltigen Dimensionen und dem hervorragenden Erhaltungszustand zu verdanken ist. Diese Eigenschaften machen den Krak allerdings eher zu einer außergewöhnlichen und keineswegs charakteristischen Anlage der christlichen Kreuzfahrer. Die Faszination für diese Burg regte schon im 19. Jahrhundert das europäische Forschungsinteresse an, was 1934 in einer grundlegenden Monografie des französischen Architekturhistorikers Paul Deschamps mündete, der Bauaufnahmen von Francois Anus zugrunde lagen. Dieses Standardwerk befriedigte über Jahrzehnte hinweg das Wissensbedürfnis der Burgenforschung zu diesem großartigen Bauwerk der Wehrarchitektur.
Innerhalb der letzten fünf Jahre sind nun gleich zwei umfangreiche Arbeiten zur Baugeschichte des Krak publiziert worden. Ursprünglich ausgelöst wurden die neuen Forschungsaktivitäten durch die Beobachtung von gewissen Ungereimtheiten zwischen sichtbaren Baubefunden und der Darstellung von Deschamps. Eine erste Forschergruppe unter der Leitung von Thomas Biller, zu deren Teilnehmern auch die Verfasser der hier zu besprechenden Arbeit gehörten, untersuchte den Bau zwischen 1998 und 2003, woraus 2006 eine umfängliche Veröffentlichung erwuchs [1], die die Burg nach den Maßstäben der modernen Burgenforschung in Augenschein nahm. Es stellt sich daher zunächst die Frage, wieso nur wenige Jahre später eine weitere Großpublikation zu diesem Thema erscheint und über welche neuen Erkenntnisse sie zu berichten hat.
Die Publikation von Boscardin/Meyer/Zimmer gibt die Ergebnisse eines schweizerisch-luxemburgisch-syrischen Forschungsprojekts (2003-2007) wieder, das zwei Hauptanliegen verfolgte: Erstens wurden unter der Leitung von Werner Meyer, einem 'Urgestein' der Schweizer Burgenforschung, an mehreren Stellen innerhalb der Kernburg und im Zwingerbereich archäologische Untersuchungen durchgeführt. Zweitens erfolgte unter der Regie von John Zimmer eine vollständige steingerechte Bauaufnahme der Burg, dessen umfangreiches Planmaterial der Publikation beigefügt ist. Es handelt sich um insgesamt 31 großformatige Pläne mit Grundrissen, Schnitten und Ansichten, die überwiegend den heutigen Baubefund wiedergeben. Sieben Pläne zeigen die Interpretation der verschiedenen Bauphasen der Burg zwischen 1170 und 1300. Der Textband konzentriert sich auf die Wiedergabe der Grabungsergebnisse und enthält außerdem eine ausführliche Baubeschreibung. Den Abschluss bilden zwei Kapitel mit Deutungen des Befunds und einem historischen Überblick.
Die wichtigsten neuen Erkenntnisse bilden zweifellos die Grabungsergebnisse, die sich allerdings nur auf relative kleine Teilflächen innerhalb des Gesamtareals beziehen. Dabei konnte eine bis in das späte 10. Jahrhundert zurückgehende Befestigung nachgewiesen werden, die 1110 in die Hände der christlichen Eroberer fiel und 1142 vom Johanniterorden übernommen wurde. Nach einem schweren Erdbeben im Jahr 1170 beschloss der Orden, die alte Anlage vollständig niederzulegen und eine neue Burg zu errichten. Die nach 1170 in zügiger Weise errichtete Anlage in Form eines Hallenrings hat sich innerhalb der heutigen Burgmauern noch weitgehend erhalten und wurde im Wesentlichen schon von Deschamps erkannt. Im Einzelnen gibt es jedoch Unterschiede bei der Zuschreibung einzelner Gebäudeteile zu dieser Bauphase. Die wichtigsten Erkenntnisse aus den archäologischen Untersuchungen beziehen sich jedoch auf das Alltagsleben innerhalb der Burgmauern, wie man den Kapiteln zu 'Essen und Trinken', 'Wasserversorgung', 'Abfall- und Fäkalienentsorgung' sowie 'Spiele und Zerstreuung' entnehmen kann. Dass man in einer festungsartigen Burg mit einer dauernden Besatzung von bis zu 2000 Mann fast nur einfache Artikel des täglichen Bedarfs und Tierknochen finden kann, ist gut nachvollziehbar. Daneben gab es noch eine kleine Fundgruppe aus den Sachbereichen Waffen, Verteidigung und Belagerung.
Die umfangreichen Planunterlagen geben dem Nutzer einen detaillierten Einblick in die Baustruktur der Burg, ergänzt durch eine Beschreibung und Interpretation aller zeichnerisch dargestellten Bereiche im Textband. Bei der Fülle des Planmaterials kann der Nutzer gelegentlich den Überblick verlieren. Um die bauhistorischen Interpretationen besser nachvollziehen zu können, wäre es sicherlich empfehlenswert gewesen, die Befundpläne durch analytische Zeichnungen zu ergänzen.
Der abschließende Syntheseteil der vorliegenden Publikation fällt gegenüber dem von Thomas Biller herausgegebenen Band etwas schmalbrüstig aus. Texte und Anmerkungen sind recht knapp gehalten, vergleichende Analysen kommen fast nicht vor und die von den Autoren gezogenen Schlussfolgerungen werden dem Leser mehr apodiktisch verkündet als argumentativ erläutert. Dies fällt insbesondere bei strittigen Fragen zwischen den beiden neuen Bänden auf, wie etwa bei der Diskussion um die Bewertung des Nordturms, der als Toilettenturm mit 24 Abtritten ausgestattet war. Reinhart Schmitt hatte den Turm im Biller-Band der Bauphase nach 1170 zugerechnet und als Frühform eines Danskers bezeichnet, dessen Obergeschoss mit einem Dormitorium in Verbindung gestanden hätte. Meyer/Zimmer halten den Turm dagegen für einen Neubau aus der Mitte des 13. Jahrhunderts mit der Funktion einer Barbarkane und der Verknüpfung des Obergeschosses mit einem Krankensaal. Im vorliegenden Fall scheinen Bauaufnahme und archäologische Sondierung eine nachträgliche Errichtung des Turms zu bestätigen, wobei die Argumente für eine Datierung erst um 1250 jedoch nicht eindeutig nachvollziehbar sind. Bei der Frage, ob der Turm als 'Dansker' oder als 'Barbakane' bezeichnet werden soll, ist die Argumentation im Band von Biller jedoch wesentlich differenzierter. Meyer/Zimmer argumentieren, dass der Turm auch Verteidigungsfunktionen besessen hätte und sich von daher der Danskerbegriff verbiete. Dies ist jedoch nur eine terminologische Spitzfindigkeit, denn auch die typischen Danskertürme des Deutschen Ordens waren im Verteidigungsfall als Wehranlagen nutzbar. Die Interpretation als "Barbakane" stützt sich auf eine Inschrift des mittleren 13. Jahrhunderts an einer anderen Stelle der Burg, in der vom Bau einer "barbacane" die Rede ist. Thomas Biller bespricht diese Inschrift sehr ausführlich und stellt auch die entscheidende Frage, was der Begriff "barbacane" in einer Quelle des 13. Jahrhunderts bedeutet haben kann. Er kommt mit guten Gründen zu dem Schluss, dass damit eher eine "äußere Mauer mit Schießscharten" und nicht ein vorgeschobener Turm gemeint gewesen ist. Meyer/Zimmer ignorieren die Argumente Billers und legen einfach die Definition von Violett-le-Duc aus dem 19. Jahrhundert zugrunde. Sie gehen unhinterfragt von der inhaltlichen Übereinstimmung des mittelalterlichen Begriffs mit der modernen Terminologie aus. Derartige simplifizierende Argumentationsweisen finden sich mehrfach im Interpretationsteil von Meyer/Zimmer und mahnen den Leser an einigen Stellen zur kritischen Vorsicht.
Mit diesen Hinweisen soll die verdienstvolle Leistung des vorliegenden Bandes aber nicht in Frage gestellt werden. Der Leser ist jedoch gut beraten, beide Publikationen zur Hand zu nehmen, um ein umfassendes Bild von der aktuellen Forschungslage zum Krak des Chevaliers zu erhalten. 'Totgeforscht' ist dieses gewaltige Monument auch nach diesen beiden Publikationen noch lange nicht, es bleiben zahlreiche offene Fragen, die sich mithilfe der neuen Dokumentation in Zukunft vielleicht einfacher beantworten lassen.
Anmerkung:
[1] Besprechung dazu erschienen in: sehepunkte 7 (2007), Nr.6: http://www.sehepunkte.de/2007/06/11230.html (04.04.2012).
Christofer Herrmann