Radwan Ziadeh: Power and Policy in Syria. Intelligence Services, Foreign Relations and Democracy in the Modern Middle East (= Library of Modern Middle East Studies; 98), London / New York: I.B.Tauris 2011, XI + 228 S., ISBN 978-1-84885-434-5, GBP 56,00
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Nach beinahe dreißigjähriger Herrschaft als Präsident über Syrien stirbt im Juni 2000 Hafez al-Assad, dem unmittelbar sein Sohn Bashar an die Spitze von Partei, Militär und Staat nachfolgt. Hoffnungen keimen in der syrischen Bevölkerung auf, dass der westlich geprägte Augenarzt nicht nur die wirtschaftliche Lage und Lebenssituation von Millionen von Syrern verbessern, sondern auch das repressive Regime für einen demokratischen Wandel und rechtsstaatliche Elemente öffnen wird. Elf Jahre später, inmitten der Revolten des Arabischen Frühlings, sieht sich dasselbe autoritäre Regime einer Welle von regimekritischen Protesten und gewaltsamen Unruhen ausgesetzt, denen das Militär und der syrische Sicherheitsapparat mit zunehmender Gewalt begegnen.
Radwan Ziadeh, syrischer Exiloppositioneller, Menschenrechtsaktivist und renommierter Politikwissenschaftler, hat mit Power and Policy in Syria sein erstes englisch-sprachiges Buch veröffentlicht, dessen Ziel es ist, die erste Dekade Syriens unter Bashar al-Assad näher zu beleuchten und einen Blick hinter die Kulissen des Regimes zu werfen. Hierbei legt Ziadeh einen besonderen Fokus auf die Machtstrukturen vor und nach dem Machttransfer sowie die Entwicklung des demokratischen Diskurses in der syrischen Gesellschaft. Auch wenn Ziadeh nicht vorhersehen konnte, dass kurz nach der Veröffentlichung dieses Buches Unruhen, Proteste und Aufstände in nie dagewesenem Ausmaß die arabische Welt und auch Syrien erfassen sollten, so liefert Power and Policy in Syria aktuelle und aufschlussreiche Erklärungsansätze über die innere Funktionalität des Regimes und das politische Erwachen der Bevölkerung.
Ziadeh gliedert sein Buch in fünf Kapitel und beginnt seine Analyse mit einem Abriss der historischen Ereignisse und der sozio-ökonomischen Entwicklung Syriens seit der Unabhängigkeit, in deren Kontext die Herrschaft Bashar al-Assads ebenso wie die neueren Entwicklungen zu verstehen sind. Hierbei gliedert er die syrische Geschichte ab 1946 in drei Republiken. Die erste Republik (1946-1958) steht, so Ziadeh, ganz im Zeichen der Installation konstitutioneller Institutionen nach den Prinzipien moderner demokratischer Staatlichkeit. In der zweiten Republik (1958-1963), die mit der Vereinigung Syriens und Ägyptens beginnt und bei der Machtübernahme durch die Baath-Partei endet, beobachtet er eine zunehmende Demontage demokratisch-pluralistischer Strukturen, die im revolutionären Staat der dritten Republik (1963-) unter Erstarken militärischer Eliten endgültig abgelegt werden. Dieser Zustand dauert bis heute an. Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf dem strukturellen Erbe Hafez al-Assads, der sich zur alleinigen Entscheidungsinstanz gemacht hat und unangefochten an der Spitze einer Herrschaftspyramide mit den drei Stützen Partei, Administration und Militär/Sicherheitsapparat steht. Diese Pyramide generiert ein "Orwellian system of surveillance" (24) auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Allerdings bemängelt Ziadeh die starke Konzentration der Forschung auf die Person des Staatschefs als alleinigen und endgültigen Entscheidungsträger und fordert einen Perspektivenwechsel auf die regimeinternen Mechanismen. Leider gelingt es auch Ziadeh nur unzureichend, Licht in diese Entscheidungsmechanismen zu bringen, wie dies so oft der Fall ist bei autoritären intransparenten Regimen. Jedoch zeichnet er ein ausführliches Bild des ausufernden Sicherheitsapparates, der mit einem Verhältnis von einem Geheimdienstler auf 153 Syrer, die älter als 15 Jahre sind, zu den größten der Welt gehört (24).
Als ausgesprochen wertvoll erweist sich das zweite Kapitel, das sich der Machtübergabe widmet und eindrucksvoll die Vorbereitung auf einen reibungslosen Machtwechsel beschreibt. Ziadeh sieht im Austausch der alten Eliten, die er in zahlreichen Beispielen mit Rang und Namen anführt, ab Mitte der 1990er weniger einen turnusmäßigen Wechsel, sondern wertet den Austausch von Schlüsselpositionen in Militär und Sicherheitsapparat als systematische Vorbereitung Hafez al-Assads auf die Sukzession durch seinen Sohn. Ebenso schlüssig weist Ziadeh die gezielte Etablierung und politische Positionierung Bashar al-Assads im In- und Ausland nach. Der durch den Tod Hafez al-Assads angestoßene Machttransfer vollzieht sich dann an einem einzigen Tag. Bashar al-Assad nimmt, so Ziadeh, im Machtgefüge die gleiche zentrale und alleinige Position an der Spitze der Pyramide ein wie sein Vater zuvor. Abschließend entzaubert Ziadeh in diesem sehr gelungenen Kapitel die Vision einer Kopie des chinesischen Modells der wirtschaftlichen Öffnung und Entwicklung unter Ausklammerung politischer Reformen. Hierfür sei die Baath-Partei aufgrund einer zu geringen Anzahl an Technokraten und qualifiziertem Personal nicht geeignet.
Im weiteren Verlauf des Buches arbeitet Ziadeh den Kontext des Damaszener Frühlings heraus und versucht, die Atmosphäre unter den syrischen Intellektuellen zu beschreiben. Hierzu trägt auch die große Fülle an Details und Erfahrungen bei, die Ziadeh als Aktivist in Syrien selbst sammeln konnte. Er bewertet die kurzzeitige Öffnung des Regimes zwar lediglich als taktisches Mittel zur Aufbesserung des eigenen Images, sieht im Damaszener Frühling aber dennoch ein Schlüsselereignis zum Erstarken eines neuen syrischen Bewusstseins, da sich die bislang zerstrittenen oppositionellen Kräfte auf den Minimalkonsens demokratischer Reformen einigen konnten. Dies sei bis dahin ein einmaliges Ereignis gewesen.
Wenig informativ hingegen ist das Kapitel über die syrische Außenpolitik, das zwar einen Überblick liefert und die Schlüsselposition Syriens im regionalen System betont, durch Oberflächlichkeit den komplexen Beziehungen zum Iran und Libanon aber nicht gerecht werden kann. Das letzte Kapitel hingegen analysiert die Rolle der Muslimbruderschaft in Vergangenheit und Zukunft fundiert und zeichnet aktuelle Strukturen nach. Ziadeh sieht die Lähmung der Muslimbruderschaft bezüglich jeglicher politischer Betätigung innerhalb Syriens als Erbe des gewaltsamen Konflikts, der unter Hafez al-Assad im Massaker von Hama mündete.
Radwan Ziadeh besticht insbesondere durch sein Insiderwissen über das syrische Regime, dem er sich selbst wegen seines politischen Aktivismus mehrfach durch Verhaftungen ausgesetzt sah, und steuert damit einen notwendigen und hochwertigen Beitrag zur eher dürftigen Literaturlage über Syrien bei. Ziadeh setzt neue Impulse, da er sich auf viele arabische Quellen beruft und diese damit einem breiten Publikum zugänglich macht. Kleinere Fehler bei Datumsangaben, Transkription und Inhalt, die auf mangelndem Lektorat beruhen, können die Qualität dieses Buches nicht schmälern. Nicht zuletzt trägt Ziadehs klarer Schreibstil dazu bei, dieses Buch für den Leser leicht zugänglich zu machen. Insgesamt veranschaulicht Ziadeh eindrucksvoll die innere Funktionalität des "neuen" Regimes. Ziadehs Kernargumente machen hierbei deutlich, dass Bashar al-Assad mit der Machtübernahme und der Konsolidierung seiner Herrschaft die gleiche Schlüsselposition besetzen konnte wie sein Vater zuvor. Der Verfasser liefert somit einen wertvollen Beitrag zur Erklärung der ausgebliebenen politischen Reformen und zum Verständnis der momentanen Situation, sodass der Schluss nahe liegt, das Bashar al-Assad weniger der erhoffte Reformer als vielmehr der Erbe seines Vaters ist.
Dominik Reich