Rezension über:

Gerd Blum: Giorgio Vasari. Der Erfinder der Renaissance. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2011, 320 S., 43 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-61455-2, EUR 24,95
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Rezension von:
Alexander Linke
Institut für Kunstgeschichte, Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Alexander Linke: Rezension von: Gerd Blum: Giorgio Vasari. Der Erfinder der Renaissance. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/09/20106.html


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Gerd Blum: Giorgio Vasari

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Giorgio Vasari. Der Erfinder der Renaissance - so lauten Titel und leitende These von Gerd Blums Vasari-Biografie. Sie ist zum Anlass des 500. Geburtstags des Künstlers und Autors aus Arezzo erschienen und ist eine wichtige Ergänzung zur gerade in jüngster Zeit außerordentlich regen Vasari-Forschung: Zum einen ist da die wachsende Zahl der unter Leitung von Alessandro Nova vorzüglich ins Deutsche übersetzten und kommentierten Künstlerviten. Zum anderen sind es zwei Dissertationen (von Matteo Burioni und Marco Ruffini), die sich beide ebenfalls mit den Viten auseinandersetzen. Die letzten Biografien zu Giorgio Vasari datieren aus den 1990er-Jahren (Patricia Rubin und Roland Le Mollè). Während aber Rubin zuletzt den Historiografen Vasari in den Fokus rückte, konzentriert sich Blum auf "eine thesengeleitete Übersicht über die Breite der Begabungen und Tätigkeiten Vasaris" (7).

Der Kindheit und Jugend in Arezzo kommen in Blums Argumentation großes Gewicht zu (26-58). Er betont die Bedeutung der kulturellen Traditionen und des kulturellen Milieus der Geburtsstadt, insbesondere der kostenlosen kommunalen Lateinschule. Durch den Rekurs auf Forschungen zum Schulwesen der Renaissance in Arezzo (von Paul Grendler und Robert Black) gelingt es, die bildungsgeschichtlichen Voraussetzungen Vasaris zu rekonstruieren. Gänzlich neu, und für die spätere Kunsttheorie Vasaris bedeutsam, ist der Hinweis auf den Aretiner Autor Restoro (oder Ristoro) d'Arezzo, Verfasser einer ersten volkssprachlichen Naturkunde, in der bereits gegen Ende des 13. Jahrhunderts von den "arti de li designatori" gesprochen wird (47) - eine Formulierung, die bei Vasari später als Theorie der drei Schwesternkünste, den "arti del disegno" wiederkehrt. Eine neue Perspektive eröffnet auch der Hinweis auf eine unveröffentlichte tabellarisch-handschriftliche Weltchronik des Aretiner Humanisten Marco Attilio Alessi, die gegen 1505 abgeschlossen wurde (52ff.) und laut Blum in mehrfacher Hinsicht wegweisend für Vasari gewesen ist: "durch ihre Verknüpfung von Zählen und Erzählen, die uns in Vasaris Künstlerviten wiederbegegnet; durch eine Mischung aus traditioneller christlicher Geschichtstheologie und neuer humanistischer Historiografie, welche ebenfalls die Viten Vasaris kennzeichnet [...]" (54). Beeindruckend sind diese Einsichten vor allem deshalb, weil hier über die Quellen der Nachweis gelingt, wie valide mittelalterliche Weltbilder und Ordnungsstrukturen noch im 16. Jahrhundert sind. Blum legt damit den Grundstein seiner These, dass Vasari die Renaissance im Rückblick auf eine bereits abgeschlossene Zeitspanne und nach dem traditionellen Muster der systematisch-summarischen Universalgeschichten des Mittelalters entwirft.

Es folgen Ausführungen zur Jugend in Florenz (59-69) und schließlich ein Kapitel zum Katastrophenjahr 1527 mit der Vertreibung der Medici aus Florenz und dem Sacco di Roma. Die Kapitel IV und V behandeln die Jahre 1527-1537, in denen Vasaris künstlerische Karriere nicht recht in Schwung kommen wollte. Weder in Rom noch in Florenz gelang Vasari in dieser Zeit der Aufstieg zur Elite der Hofkünstler. Das Blatt wendet sich in den Jahren 1538-1546, als Vasari in Venedig, Neapel und Rom zu ersten größeren Aufträgen kommt (106-116). Während Blum zuvor das zähe Ringen mit dem prekären Status als zurückgewiesener Wanderkünstler eindringlich beschreibt ("Konkurrenz und materielles Elend bis hin zum Hunger kennzeichneten das Leben etlicher dieser Wanderkünstler"; 87), fallen die Ausführungen zu den Aufenthalten in den Metropolen zunächst eher summarisch aus. Wohl auch deshalb, weil der römischen Zeit ab 1542 ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Es war die Patronage der Farnese, mit dem ersten Großauftrag (Sala dei Cento Giorni), die Vasaris Karriere zum entscheidenden Durchbruch verhalf.

Höhepunkt des Buches ist Kapitel VII (144-164), das der historiografischen Struktur der Viten gewidmet ist und bei dem es sich um eine Kurzfassung zweier Aufsätze des Autors zum gleichen Thema handelt. Hier führt Blum den Nachweis, dass die erste Fassung der Vite von 1550 nach dem Muster der Bibel und der augustinischen Geschichtstheologie konzipiert ist. Diese geschliffene Analyse der "großen Erzählung der Kunstgeschichte" (147) führt zu verblüffenden Ergebnissen. Denn Vasari hat sich nicht etwa vorzugsweise an einem antiken und humanistischen, d.h. 'neuen' Geschichtsverständnis orientiert. Vielmehr basiert die Vorstellung einer providentiellen Geschichte der Kunst und einer in sich geschlossenen Renaissance als Telos dieser Geschichte auf einem auf das Mittelalter zurückgehenden und für die Neuzeit offenbar noch ganz selbstverständlichen universalgeschichtlichen Denken.

Kapitel IX gibt einen knappen Überblick über Vasaris malerische und architektonische Arbeiten für Julius III., die Dekoration der Del-Monte-Kapelle in S. Pietro in Montorio und die Planung der Villa Giulia. Eloquent und kenntnisreich, wenn auch nicht in allen Details neu, ist die Deutung des Bildensembles in der Salone dei Cinquecento (196-208), das Blum als Höhepunkt der Tätigkeit Vasaris am Hofe Cosimos I. präsentiert. Im Rückgriff auf die Studien von Henk Th. van Veen und Robert Williams zeigt Blum hier, dass Vasari die Gegenwart und Geschichte von Florenz nach dem alten Muster der Typologie zu einer planvoll strukturierten Bildsumme bündelt. Es sind diese vom Autor immer wieder eingestreuten Besprechungen der Hauptwerke Vasaris mit prägnanten Zusammenfassungen des Forschungsstands sowie angenehm verdichteten Beschreibungen und Analysen, die der vorliegenden Publikation einen sehr willkommenen Handbuchcharakter verleihen.

Es folgt ein weiteres inhaltlich pointiertes Kapitel, das den Zeitraum von 1555-1574 umfasst und Vasari vor allem als Architekt und Verwalter des architektonischen Erbes der Florentiner Renaissance vorstellt (209-232). An Neuem findet sich darin eine überzeugende Charakterisierung der Fassadenfluchten der Uffizien, deren Grundmodul erstmals als Synthese aus Außenfassade des Baptisteriums und Innenfassade von Michelangelos Treppenvorhalle der Biblioteca Laurenziana gedeutet wird. Abermals erscheint Vasari also als Künstler der systematischen Vereinheitlichung, der im Rückblick auf die bereits abgeschlossene Epoche ein kohärentes 'Bild' der Renaissance synthetisiert.

Nach einem letzten inhaltlichen Kapitel zum Grabmal, dem Testament und der Nachlassverwaltung (233-249) schließt Blum mit einem mundgerecht portionierten Fazit (250-264). Hierin findet sich ein luzides Resümee der Kernthese, dass nämlich Vasari den teleologischen Progress durch die Geschichte der Kunst, als deren Abschluss und Höhepunkt er die Renaissance inszeniert, nur vor dem Hintergrund eines holistischen Geschichtsmodells mittelalterlicher Prägung entwerfen konnte. Die von Vasari im Rückblick überhaupt erst konturierte Renaissance erweist sich damit als weitaus weniger diskret, sondern vor allem eingebunden in geistesgeschichtliche Kontinuitäten. Blum stellt Vasari aber nicht nur als Traditionalisten vor, sondern auch als einen Wegbereiter, dessen Modernität er in der diskursiven Autonomisierung der Kunst und des Künstlers sieht. Es folgen abschließend bündige und stets ausgewogene Überlegungen zur geschichtlichen Stellung Vasaris, der hier weder allein zum frommen Autor der Gegenreformation stilisiert wird (wie bei Paul Barolsky), noch wird allein die Rolle seiner humanistischen Interessen betont (wie etwa bei Erwin Panofsky, Ernst Gombrich und David Cast). Die Wirkungsgeschichte Vasaris wird anhand der Kanonisierung von Hauptwerken und Schlüsselbegriffen skizziert, die den Kunstdiskurs wenigstens bis ins 18. Jahrhundert beherrschten.

Format und Aufmachung der vorliegenden Publikation (264 Textseiten mit 43, meist sehr kleinen Schwarz-Weiß-Abbildungen) geben schnell zu erkennen, dass es sich um eine Publikation für den Buchmarkt und für ein breiteres Publikum handelt, die nicht durch Fördermittel unterstützt wurde. Fußnoten und Literaturnachweise wurden offenbar vom Verlag auf das Allernötigste reduziert. Das ist in Anbetracht der thesenreichen Argumentation bedauerlich, tut der Wissenschaftlichkeit jedoch keinen Abbruch. Höchst willkommen sind in diesem Zusammenhang ein Namensregister am Ende des Buches sowie eine ausführliche Bibliografie auf dem neusten Stand (inklusive 2011), die auf der Webseite des Verlags als Download zur Verfügung steht. Überhaupt ist die breite Rezeption der Forschungsliteratur (zu Vasari und zur historiografische Debatte um die Frühe Neuzeit) ein großer Vorzug des Buches.

Der grundsätzlich positive Eindruck dieser Biografie wird nur durch kleine Monita getrübt: So kommt etwa Vasaris Engagement für die Florentiner Kunstakademie nur kurz zur Sprache (224-228). Der Fokus auf den Künstler im Singular führt außerdem dazu, dass Vasaris Fähigkeit des Delegierens und Agierens im Netzwerk nur am Beispiel der kollektiven Autorschaft der Vite (185-188), nicht jedoch in der Abwicklung und Vermittlung künstlerischer Projekte thematisiert wird. Bedauerlich ist auch, dass Vasari als Zeichner nicht beachtet wurde.

Gerade in Anbetracht der überbordenden Fülle der biografischen und autobiografischen Schriften Vasaris sowie der überaus reichen Forschungsliteratur zum Thema ist diese handliche, gut lesbare und bewundernswert kenntnisreiche Biografie ein idealer Einstieg in die Vasari-Forschung. Der Reichtum an neuen, bislang in der Forschung noch nicht rezipierten Quellen sowie die ingeniösen Neudeutungen einzelner Aspekte des künstlerischen und schriftstellerischen Werks machen diese Biografie auch für den Kenner interessant. Obgleich Blum durch eigene Akzentuierungen der Lebensstationen Vasaris zu ausgewählten Forschungsdebatten sehr detaillierte Ausführungen bietet, gelingt es ihm, ein breiteres Publikum nicht aus dem Blick zu verlieren. Gerade diese Vermittlungsarbeit ist eine Stärke des Buches und in diesem Sinne eine gute Werbung für die Kunstgeschichte.

Alexander Linke