Gerd Blum / Steffen Bogen / David Ganz u.a. (Hgg.): Pendant Plus. Praktiken der Bildkombinatorik (= Bild+Bild; Bd. 2), Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2012, 408 S., ISBN 978-3-496-01449-2, EUR 49,00
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Der Künstler Gerhard Richter ist zurzeit nahezu omnipräsent. Auch in dem vorliegenden Sammelband über Techniken der Zusammenstellung von Bildern ist er in zwei Beiträgen vertreten. Christine Tauber widmet einem abstrakten Gemäldezyklus des Künstlers von 2008 einen Abschnitt im Rahmen von drei Fallstudien über grenzwertige Bildpaare. Richters Atlas-Tafeln der frühen 1960er-Jahre und einige daraus hervorgegangene Gemälde wiederum stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Christiane Kruse. Richter bietet sich mit seinen vielen Serien und Zyklen in der Tat dazu an, über die Frage nach dem Verhältnis von Einzelbild, Bildpaar und -serie nachzudenken.
Konzeptuell geleitet werden die einzelnen Beiträge des Sammelbands von Felix Thürlemanns Begriff des hyperimage, der in Analogie zum bis heute gebräuchlichen Begriff hypertext aus der amerikanischen Informatik der späten 1960er Jahre formuliert wird. Thürlemann definiert den Begriff erstmals in dem Aufsatz "Vom Einzelbild zum hyperimage. Eine neue Herausforderung für die kunstgeschichtliche Hermeneutik" (2004). Er unterscheidet darin "zwei Formen des Sehens", die er im Kontext einer durch das Christentum geprägten "Sehkompetenz" situiert (28). Diese befähigt zum einen, im Vergleich von narrativen, Antitypus und Typus gewidmeten Darstellungen, den Sinn in einem Bereich jenseits des direkt Dargestellten zu entdecken, zum anderen ermöglicht sie es, in direkten Kontakt mit dem Kultbild zu treten. Paradigmatisches Beispiel für eine derartige Verschränkung von Einzelbild und Bildpaar ist das Triptychon. "Die auf der Grundlage des typologischen Geschichtsmodells des Christentums gebildeten Suprazeichen appellieren an eine spezifische Sehkompetenz: das auf inhaltliche Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen zwei Bildern hin ausgerichtete vergleichende Sehen." (28) Thürlemann entdeckt dieses Prinzip der hyperimage-Bildung auch in späteren Zusammenstellungen von Bildern, vor allem im sogenannten Pendantsystem des 17. Jahrhunderts: "Beim Pendantsystem wird das für das Triptychon zentrale Prinzip der Hierarchisierung zum generellen Ordnungsprinzip erhoben, das die Anbringung von Gemälden an einer Schauwand oder die Disposition von Skulpturen im Raum regelt: Jede triptychonartige Dreiergruppe, bei der zwei Bilder ein drittes, diesen übergeordnetes Bild rahmen, kann wieder als Einheit aufgefasst werden, die zusammen mit einer weiteren, analog aufgebauten Dreiergruppe ein Werk (oder eine Werkgruppe) höherer Ordnung einfasst." (30) Dieses Pendantsystem sei "das syntagmatische Schema, das die Präsentation der Bilder in Galerien und Museen seit dem 17. bis ins frühe 20. Jahrhundert dominierte." (26) Es folgen weitere, eher kursorisch abgehandelte Beispiele für Zusammenstellungen von Bildern: das illustrierte Kunstbuch des 19. Jahrhunderts, Aby Warburgs Mnemosyne-Atlas, das Musée imaginaire von André Malraux, die Verlinkungsstruktur des Internets. Das Pendant wird als "Lektürevorgabe" (34) verstanden, als ein "Spiel mit einem gewissen Reiz" (ebd.). Die Bilder scheinen sich zunehmend zu lösen aus dem christlichen Schema.
Der Frage nach dem Bild im Plural, wie sie in dem vorliegenden, Felix Thürlemann auch gewidmeten Band gestellt wird, geht eine doppelte Abgrenzung voraus. Die Herausgeber wenden sich mit dieser Frage genauso gegen den "Kult des Meisterwerks" (9) wie gegen die "Klage über die massenmediale Bilderflut" (ebd.), die sich zum Bildkult komplementär verhalte (vgl. ebd.). Sie haben zwei Aufsätze von Thürlemann, die sie als wesentlich für die Erschließung des neuen Forschungsgebiets der Bildkombinatorik erachten, jeweils an den Anfang und an das Ende des Buches gestellt. Der erste ist der oben zusammengefasste; der zweite trägt den Titel "Bild gegen Bild. Für eine Theorie des vergleichenden Sehens"; - er ist 2005 erstmals erschienen und steht am Ende des Bandes. Die Autoren hatten die Aufgabe, sich von diesen beiden Aufsätzen hinsichtlich der Wahl ihrer Gegenstände und Herangehensweisen inspirieren zu lassen. Die Beiträge, das Ergebnis dieses "Experiments" (12), hat man unter die Stichworte "Spielregeln", "Autorschaft" und "Räume und Medien" sowie "Wahrnehmungsmuster im Konflikt" und "Grenzfälle der Differenz" subsumiert.
Da die Beiträger aus unterschiedlichen Disziplinen kommen, ist die Vielfalt der Themen relativ groß. Die meisten behandeln die Suche nach Suprazeichen dabei als ein Spiel mit einem gewissen Reiz. Aleida Assmann schreibt über "Bilder im Kopf" unter den Aspekten von Präfiguration, Prämediation und Resonanz (47). Steffen Bogen macht sich Gedanken über "ästhetische Pendantbildung und spielerische Kombinatorik" am Beispiel des Memory-Spiels (73). David Ganz erläutert die "Sezierung des Pendantsystems" anhand von Mechels und Pigages Galerie Électorale von 1778 (155). Wolfgang Kemp schreibt in seinem Aufsatz "Hinauf-Hinunter, Vorher-Nachher" über zwei Pendants von Hokusai und Max Klinger (317). Die eingangs schon erwähnte Christiane Kruse möchte jede einzelne Tafel von Richters Bilderatlas im Anschluss an Thürlemann als hyperimage verstanden wissen, als ein aus vielen verschiedenen Einzelbildern komponiertes Suprazeichen. In ihrer Analyse von zwei Tafeln der ersten 14 Atlas-Tafeln der 1960er Jahre arbeitet sie ein Verfahren minimaler Bildstörungen heraus. Auch in manchen der aus diesen Tafeln hervorgegangenen Gemälden werde dieses Verfahren sichtbar. Erst das vergleichende Sehen zwischen den Gemälden und den entsprechenden Fotos der Tafeln lenke den Blick auf mögliche Brüche in der Zeitgeschichte, die sonst in der "nivellierende[n] Bildkultur der Massenmedien" (311) unsichtbar blieben.
Das Bewegtbild steht im Zentrum mehrerer Beiträge. Renate Lachmann schreibt u.a. über die Montagetheorie Eisensteins. Joachim Paech widmet seinen Beitrag dem Verfahren des Split-Screen im Film, von Michael Gordons Pillow Talk (1959) bis zu Mike Figgis' Time Code (2000). Peter Geimer beschäftigt sich mit David Claerbouts Videoinstallation Vietnam, 1967, near Duc Pho (Reconstruction after Hiromichi Mine), die im Frühjahr 2001 erstmals veröffentlicht wurde und auf ein eher randständiges Ereignis des Vietnamkrieges zu rekurrieren scheint (den versehentlichen Abschuss eines US-Kampfflugzeugs von den eigenen Truppen). Zu sehen ist eine historische Fotografie des im Landeanflug getroffenen Fliegers, die einer nachträglichen Filmaufnahme des heutigen Schauplatzes eingefügt wurde. Geimer meint angesichts dieser Bild-Bild-Beziehung, dass es nicht den Anschein habe, als wolle Claerbout mit seiner Installation eine spezifische Stellungnahme zum Vietnamkrieg abgeben (vgl. 384). Im Fokus stehe "offenbar" (ebd.) die Frage nach den "Bedingungen, unter denen ein vergangenes Ereignis in der Gegenwart "rekonstruiert" werden kann." (ebd.). Das Werk als bloße experimentelle Versuchsanordnung? Das mag ein Aspekt der Deutung sein. Das lässt allerdings viele Fragen offen, z.B. die nach möglichen weiteren Bedeutungsdimensionen des doch recht konkreten Werk-Titels. Auf der Ebene der Thematik des Sammelbands ist auch dieser Beitrag Beleg für eine Auswahl geeigneter Einsatzbereiche für die Praktiken der Bildkombinatorik.
Was den Forschungskontext anbelangt, stellt Thürlemanns Ansatz eine methodologische Position innerhalb der jüngeren Kunstgeschichte dar, die auf bereits vorhandenen Ansätzen aufbaut. Sie ist als eine Weiterentwicklung kunsthistorischer Rezeptionsästhetik zu verstehen, die sich vor allem mit dem Namen von Wolfgang Kemp verbindet. Die rezeptionsästhetische Analyse der Bilder im Plural befasst sich in erster Linie mit den festen Bildsystemen der Erzählbilder, wie Kemp sie etwa für die frühchristliche Freskenmalerei untersucht hat [1], worauf Thürlemann hinweist (vgl. Anm. 3 u. 5, 42). Der Ansatz von Thürlemann zielt hingegen auf Phänomene bildlicher Bedeutungsproduktion, die grundsätzlich der "Möglichkeit des Neuarrangements" (25) unterliegen. Der neue Begriff hyperimage wird in allen Beiträgen sehr knapp definiert. Eine Definition, die sich stärker an der geisteswissenschaftlichen Rezeption des Forschungsstands der Informatik orientiert hätte, wie sie bislang etwa in Teilen die Kommunikationswissenschaft geleistet hat und leistet, hätte womöglich mehr Neugier auf den Begriff geweckt. In jedem Fall aber ist der neue Ansatz geeignet, um auch veränderliche, flexible Bildsysteme und die ihnen zugrundeliegenden syntagmatischen Regeln als Forschungsfeld des Fachs zu etablieren.
Anmerkung:
[1] Vgl. Wolfgang Kemp: Christliche Kunst. Ihre Anfänge, ihre Strukturen, München / Paris / London 1994.
Jennifer Bleek