Isabella Woldt / Tadeusz J. Żuchowski (Hgg.): Im Schatten von Berlin und Warschau. Adelssitze im Herzogtum Preußen und Nordpolen 1650-1850, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2010, 394 S., ISBN 978-3-496-01410-2, EUR 69,00
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Das vorliegende Werk ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts, an dem sich die kunstgeschichtlichen Institute der Universitäten Hamburgs und Posens beteiligt haben. Die Adelshäuser im heutigen Nordpolen wurden bereist und von den binationalen Teams unter die Lupe genommen. Die sehr sorgfältig edierte Publikation versammelt die aus diesen Forschungen entstandenen Beiträge. Vorangestellt sind zwei Einführungstexte der beiden Herausgeber, in denen die Schlossarchitektur der polnisch-litauischen Monarchie des 17. Jahrhundert im Hinblick auf ihre mögliche Vorbildhaftigkeit im Herzogtum Preußen untersucht wird. Tadeusz Żuchowski setzte sich mit dem Schlossbau der Vasa-Zeit (1587-1668), Isabella Woldt mit der nachfolgenden Periode Johanns III. Sobieski (1672-1696) und dessen Hofarchitekten Tilman van Gameren auseinander. Es folgen die Beiträge der studentischen Exkursionsteilnehmer, in denen verschiedene Adelssitze thematisiert werden: der Sitz der Amtsleute Königlich-Preußens - Ostrometzko (Ostromecko), das "alte Schloss" der Familie Mostowski -, die Schlösser der prominenten Adelsfamilien Dohna, Finckenstein, Dönhoff und Lehndorff im Herzogtum beziehungsweise Königreich Preußen des 17.-18. Jahrhundert - Steinort (Sztynort), Eichmedien (Nakomiady), Schlodien (Gładysze), Dönhoffstädt (Drogosze), Finckenstein (Kamieniec Suski) und Schlobitten (Słobity) - sowie des 19. Jahrhundert - Ostrometzko, das "neue Schloss" der Familie Schönborn, und Groß Bellschwitz (Białoszyce), der Landsitz der Familie von Brünneck. Hinzu kommen Schlösser der polnischen Familien Narzymski und Krasiński aus dem westpreußischen Kulmerland und dem Norden Masowiens - Goßlershausen (Jabłonowo Pomorskie), Opinogóra - sowie die Residenz der Familie Pac in Dowspuda, die sich in den Grenzen des Großherzogtums Litauens und ab 1815 Kongresspolens befand.
Die übergeordneten Kapitel ordnen das Material barocken Adelssitzen Preußens ("Anfänge der preußischen Adelsresidenz im Barock", "Genese der großen Barockresidenzen") sowie den Themen "Der Adelssitz und der gesellschaftspolitische Aufstieg im 18. und 19. Jahrhundert" und "Neogotik und ihre Gesichter" zu. Nicht dem Modell der Stilgeschichte verpflichtet ist das dritte Kapitel zum Adelssitz, in dem ein Sammelsurium von Modi und ethnisch-politischen Referenzen (preußischer Barock in Schlobitten, sächsischer Barock, vermutlich vom Wettiner Warschauer Bauamt erbautes altes Schloss in Ostrometzko, dem Schinkelschen Erdmannsdorf nachempfundener Tudorbau in Groß Bellwitz, schließlich klassizistisch-neubarockes neues Schloss in Ostrometzko) untergebracht wurde. Die Auswahl der Schlösser variiert zwischen monumentalen Anlagen wie Finckenstein, die Höhepunkte des Barocks im preußischen Staat repräsentieren, über gelungene Beispiele der romantischen Neogotik (Opinogóra) bis hin zu in beträchtlichem Maße umgebauten Objekten wie Steinort, dessen kunsthistorischer Wert jedoch weit hinter seiner geschichtlichen Brisanz zurücksteht.
Eine Betrachtung wert ist die geografische Eingrenzung des Forschungsgegenstandes, der sehr unterschiedliche politische Räume umfasst. Das seit 1657 unabhängige Herzogtum Preußen, danach das Königreich Preußen beziehungsweise das Deutsche Reich mit dessen Provinzen Ost- und Westpreußen tritt als historische Bühne ebenso in Erscheinung wie die polnisch-litauische Rzeczpospolita und, nach deren Kollaps, verschiedene Vasallenstaaten von Napoleons oder Petersburgs Gnaden. In der bisherigen Forschungstradition blickte man bei ostpreußischen Schlössern stets nach Berlin und in die deutschen Lande, bei den polnischen auf die einheimischen Traditionen, wo Italianismen vorherrschten. Die beiden Traditionen gingen keine Beziehung miteinander ein, standen sich vielmehr oftmals feindlich gegenüber. Die aufkommende Paradigmenwende ist als positive Entwicklung zu sehen, die wissenschaftlich erfrischend wirkt. Aus diesem neuen Blickwinkel lassen sich eine Reihe neuer Vorbildhaftigkeiten und Interferenzen entdecken, beispielsweise, wenn man einen merklichen Einfluss auf den Schlossbau Preußens durch den in Polen-Litauen tätigen Niederländer Tilman van Gameren konstatiert (so in Eichmedien) oder die Faszination des polnischen Adels für Berliner Architekten (so in Goßlershausen, entworfen für die Familie Narzymski von Friedrich August Stüler) anhand von Quellen belegt. Den Nachteil dieser Arbeit bildet die inkonsequente diachrone Vorgehensweise - im Barock sind es vorwiegend Bauten Preußens, in der Neogotik Bauten polnischer Auftraggeber, mehrheitlich aus dem nicht-preußischen Gebiet. Zum Zwecke einer besseren Vergleichbarkeit hätte man sich einen Streifzug durch den brandenburgischen barocken Schlossbau, und - als Pendant zu Opinogóra und Dowspuda - etwas mehr ostpreußische Bauten des frühen Historismus, wie beispielsweise Skandau (Skandawa), Prassen (Prosna), Karnitten (Karnity) oder Sorquitten (Sorkwity), gewünscht. Aber auch ohne die Erwähnung einiger weiterer Vergleichsobjekte und trotz einer etwas chaotischen Gliederung ist die hier vorgeschlagene neue Blickrichtung verdienstvoll.
Das Buch ist mit einem guten wissenschaftlichen Apparat - Literatur- und Quellenverzeichnis, Konkordanzindizes et cetera - ausgestattet und ansprechend bebildert. Generell ordnen die Autoren die jeweiligen Bauten treffend in das gesamteuropäische Geflecht der frühneuzeitlichen Residenzarchitektur ein. Oftmals wird eine neue, gut nachvollziehbare Datierung und Händescheidung vorgeschlagen. Überraschend wirkt die These, nach der es in Dönhoffstädt keine zwei Bauphasen gegeben habe - so der Tenor in der älteren Literatur - und der Bau samt Seitenflügel vollständig bis 1714 errichtet worden sei.
Nur gelegentlich finden sich Fehler, die einem genaueren Lektorat hätten weichen sollen: uneinheitliche Namenschreibweisen, hochtrabende, inhaltslose Titel ("Architektur als diplomatischer Ausdruck eines gesellschaftlichen Spannungsfeldes", so bei Dönhoffstädt), fehlende Berücksichtigung neuerer Forschungsarbeiten (so Jan Salms zu Schlobitten [1]) oder ein etwas legerer Sprachduktus (so bei Groß Bellschwitz). Das sind aber sekundäre Mängel, die derartigen Publikationen stets anhaften. Als ein Sammelband von Nachwuchs-Kunsthistorikern ist das Werk auf jeden Fall eine respektable Arbeit. Nicht zuletzt erschließt es eine Bautengruppe, ob homo- oder heterogen sei hier dahingestellt, die im Untergang begriffen ist. Neben deren kunstgeschichtlichem Wert dokumentiert der Band auch Schlossruinen wie Finckenstein, Schlodien und Schlobitten, deren Tage gezählt sind. Er führt somit gleichzeitig Desiderate für die weitere Forschung auf, zusammen mit dem Aufruf, diese Anlagen vielleicht doch noch zu retten.
Anmerkung:
[1] Jan Salm: Barokowy folwark w Słobitach i jego okna iluzjonistyczne [Der barocke Gutshof in Schlobitten und seine illusionistischen Fenster], in: Janusz Krawczyk (Hrsg.): Conservatio est aeterna creatio. Księga dedykowana prof. Janowi Tajchmanowi, Toruń 1999, S. 227-237; ders., Renata Mikielewicz: Polnisch-Deutsches Studienprojekt "Slobity/Schlobitten", in: Das Bauzentrum 43 (1995), 7, 126-130.
Tomasz Torbus