Andreas Bihrer: Begegnungen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und England (850-1100). Kontakte - Konstellationen - Funktionalisierungen - Wirkungen (= Mittelalter-Forschungen; Bd. 39), Ostfildern: Thorbecke 2012, 668 S., ISBN 978-3-7995-4290-6, EUR 82,00
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Die anzuzeigende Freiburger Habilitationsschrift schließt zeitlich an Wilhelm Levisons England and the continent in the eighth century [1] an, steht also in einer ehrwürdigen Tradition und passt zugleich zur gewachsenen Aufmerksamkeit für transkulturelle Vergleiche. In Levisons Klassiker stand eine Zeit im Mittelpunkt, in der von angelsächsischer Seite aus im Bemühen um Mission ein Kontakt zu den als verwandt angesehenen Sachsen gesucht wurde. Neuere Analysen haben inzwischen dieses Missionsmotiv relativiert [2], aber dennoch kann man sagen, dass die Kontakte teilweise davon geprägt waren, dass man Begegnung bewusst erfuhr. Demgegenüber sieht Bihrer seinen Untersuchungszeitraum geprägt von Kontingenz der Kontakte in den "Beziehungen mittlerer Reichweite" (47 und 511f.). Ergebnisse sollen nicht auf einen gelungenen Kulturkontakt hin antizipiert werden, woraus sich ein skeptischer Grundtenor ergibt.
In der Einleitung (11-48) beschäftigt sich Bihrer mit den einschlägigen Theorien für Kulturkontakte, setzt seine Vorgehensweise von "dominierenden Kategorien wie Staatensystem, Nation und Territorium" ab und lässt sich von den "stärker akteurszentrierten" Theorieangeboten inspirieren, die in der Kulturtransferforschung der Neuzeit entstanden. Er weist indes deutlich darauf hin, dass diese Methoden nur Anregung für ein erweitertes Problembewusstsein sein können, da die spärliche Quellenlage eine Übernahme nicht erlaubt (38). Seine Untersuchung gliedert er in drei Wirkungsebenen, die regiones, die regna und die christianitas, die "durch Austausch und Diskurs interessegeleiteter Akteure geschaffen" werden und die er gerade als "Produkt und Resultat der Begegnung" verstanden wissen möchte (46-48). Eine rein beschreibende, chronologische und geographische Ordnung versucht Bihrer zu vermeiden.
Die drei Wirkungsebenen werden im Hauptteil ohne Lücken erfasst, wobei die Konzentration auf die Akteure bedingt, dass manche aufgrund ihrer vielschichtigen Interessen mehrmals abgehandelt werden. Die Frage nach der Identität der Akteure tritt gegenüber der nach ihren Interessen deutlich und gelegentlich zu weit zurück. Im abschließenden Teil erweist sich das Spektrum der behandelten Kontakte als schwierig zu handhaben, da sie sich kaum auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen.
Auf der ersten Wirkungsebene der regiones (49-226), welche Bihrer als Begegnungsräume definiert, die durch Kontakte entstanden, werden von den Händlern, Pilgern, Exilanten, Ehefrauen und Arbeitsmigranten bis zu den Geistlichen verschiedenen Standes alle Akteure erfasst. Die Vollständigkeit lässt keine Wünsche offen; es sei nur angemerkt, dass sich bei den Händlern (53-84) angesichts des Befundes, dass Handel hauptsächlich Kanalhandel bedeutete (83f.), die Frage stellt, ob man hier von einer "Beziehung mittlerer Reichweite" sprechen kann. Die Motive der Akteure, die sich aus den unterschiedlichen Arten der Kontakte ergeben und mit ihren Identitäten zusammenhängen, lassen sich in den Quellen dabei nicht immer nachvollziehen und werden von Bihrer nicht eigens thematisiert. Es ist davon auszugehen, dass deren ostfränkische oder englische Identität in den meisten Fällen hinter anderen Identitäten, wie etwa der als Geistlicher oder Händler zurückgetreten sein dürfte, aber die Beschreibung der Begegnungen zwischen England und dem Ostfrankenreich, die Bihrer vornimmt, resultiert aus der Verortung der Akteure in diesen beiden regna. Von daher ergibt sich der Widerspruch, dass die Akteure nach einem Kriterium in die Untersuchung aufgenommen werden, das für den Kontakt selbst nur von ephemerer Bedeutung war.
Angesichts der Disparatheit der Akteure kann Bihrers Ergebnis für die regiones nur darauf hinauslaufen, dass die Verbindungen aus kurzlebigen Interessen geknüpft wurden und an einer Perpetuierung nicht gearbeitet wurde. Bihrer zwängt dem disparaten Befund kein Erklärungsschema auf und hält als wichtiges Ergebnis fest, dass die Wirkungsebene der regiones keine Besonderheit der ostfränkisch-englischen Beziehung erkennen lässt.
Die zweite Wirkungsebene der regna (227-380) hat gegenüber der ersten den Vorteil, dass die Motive der Akteure für Kontaktaufnahmen sich einheitlich auf das jeweilige Königreich beziehen. Entsprechend der Zielsetzung der Begegnungen spielen die Versuche, Kontakte zu verstetigen eine größere Rolle, so dass nicht von ungefähr die Bindungsformen von Bihrer ausführlich in den Blick genommen werden (266-314). Geschenken etwa kam bei der Übergabe eine besondere symbolische Bedeutung für die Herrscherinszenierung zu, also eine argumentative Nutzung im je eigenen Kontext. Die recht nachlässige Behandlung der Geschenke späterhin lässt darauf schließen, dass ihnen kein Symbolcharakter für die Verbindung zum anderen Herrscherhaus anhaftete. Eine Verstetigung der Beziehungen gelang selbst durch Heirat nicht und wurde wohl gar nicht versucht. Aus der besseren Quellenlage für den Wirkungsbereich der regna ergibt sich auch ein weiteres Unterkapitel: die Frage nach der gegenseitigen Wahrnehmung der regna (353-380). Bihrer kann insbesondere für die Chronik Aethelwards (375-380) eine Instrumentalisierung der englischen Verwandtschaft der Äbtissin Mathilde zur Betonung des eigenen, von zwei Seiten her königlichen Status deutlich machen. In zwei Fällen hätte die Frage nach der Identität und den daraus folgenden Motiven für angelsächsisch-ostfränkische Begegnungen intensiver diskutiert werden können: Bihrer schildert die Darstellung König Knuts in der Kirchengeschichte des Adam von Bremen. Adams Interesse an Knut als Gegenstand seiner Schrift ist geweckt worden, weil er König von Dänemark war, so dass Adam die Engländer nur als Feinde und sodann als Untertanen von Knut wahrnahm (157-265). Liegt in diesem Fall also nicht eher eine ostfränkisch-skandinavische Begegnung vor, bei der sich der Aspekt einer weiteren Identität Knuts einschleicht? Bei der Behandlung der Vita Alfredi des Asser (358-363) ergibt sich umgekehrt die Frage nach der Identität des Schreibers. Assers walisische Herkunft hat seine Darstellung der Universalität von Alfreds Herrschaft entscheidend beeinflusst. Ist dies also nicht eher eine walisisch-ostfränkische Begegnung?
Das Hauptergebnis in Bezug auf die regna läuft auf eine erhebliche Relativierung des bisherigen Bildes einer gegenseitigen Beeinflussung des Ostfrankenreiches und Englands hinaus. Im Vordergrund der Kontakte stand keine langfristige Bündniskonzeption, sondern die Instrumentalisierung der Kontakte für den eigenen Status im eigenen regnum. Bihrer warnt davor, wichtige innere Entwicklungen der regna durch die Kulturkontakte zu erklären.
Der christianitas wendet sich Bihrer dann als dritter Wirkungsebene zu (387-507). Gemäß der Natur der Christenheit als einer "imaginierten Gruppe" (389) stellt Bihrer hier Objekte und Konzepte als Mittel des Austausches in den Vordergrund. Motiv für den Austausch war die Förderung des Christentums, so dass sich die Frage nach englischer oder ostfränkischer Herkunft der Objekte oder Personen nicht stellt. Ein Theologe wie Hrabanus Maurus wurde wegen seiner Ideen rezipiert, und nicht weil die ostfränkische Theologie berühmt war. Austausch vollzog sich daher gerade nicht vor dem Hintergrund eines sogenannten "Kulturgefälles", das die Zeitgenossen ohnehin nicht empfanden (506). Nur im Bereich der monastischen Reformen wollten die Engländer vom Kontinent beeinflusst werden und griffen absichtlich auf karolingische Traditionen zurück. Hier fand indes kein Austausch mit dem Ost-, sondern nur mit dem Westfrankenreich statt (414-424).
Im Fazit (509-516) fasst Bihrer die Ergebnisse seiner Untersuchungen auf den verschiedenen Wirkungsebenen zusammen und schlägt den Bogen zurück zur Theoriediskussion in der Einleitung: Die Kontakte waren nicht so eng und ausdauernd, wie man bisher angenommen hat. Es ist zur Zeit der ottonisch-westsächsischen Heirat keine Intensivierung der Beziehung zu bemerken, und die Vorstellung eines "Kulturgefälles" zwischen beiden gentes, das verursacht hätte, dass man von englischer Seite absichtsvoll nach Vorbildern suchte, ist eine moderne Interpretation. Eine wichtige Differenzierung ist in diesem Zusammenhang die zeitliche Verschiebung eines Einflusses. Die Suche Alfreds des Großen nach karolingischen Vorbildern ist eher ein Phänomen der Rezeption als des Kulturaustausches. In diesem abschließenden Kapitel betont Bihrer, dass ihm die Instrumentalisierung und Wirkung der Kontakte im unmittelbaren Umfeld gegenüber der Frage nach Identität und Alterität das vorrangige Thema zu sein scheint. Sicher ist Bihrer darin zuzustimmen, dass Identität und Alterität als alleinige Hilfsmittel zur Erfassung der von ihm behandelten Begegnungen nicht taugen, aber gelegentlich hätte das Thema der Identitäten der Akteure vertieft werden können, zumal sie gerade in dem Fall, dass Kontakte absichtlich gesucht werden, alles andere als unerheblich sind.
Bihrer hat eine umfassende Studie vorgelegt und dabei sowohl dicht an den Quellen gearbeitet als auch die nicht gerade geringe Literaturmenge bewältigt. Seine in der Einleitung und im Schluss formulierten Überlegungen zum theoretischen Vorgehen bei der Behandlung von Kulturkontakten sind überaus bedenkenswert. Für die englisch-ostfränkischen Begegnungen wird Bihrers Monographie in Zukunft das Referenzwerk sein.
Anmerkungen:
[1] Wilhelm Levison: England and the Continent in the eighth Century (= The Ford Lectures delivered in the University of Oxford in the Hilary term 1943), Oxford 1946.
[2] James T. Palmer: Anglo-Saxons in a Frankish world, 690-900 (= Studies in the Early Middle Ages; 19), Turnhout 2009.
Alheydis Plassmann